Dank Neurosimulator "FAUN" landet ein Raumgleiter optimiert
Wenn in Zukunft Raumgleiter auf optimierten Bahnen im Ziel landen, Industrieroboter ihre Lasten intelligenter, ohne unnötigen gelenkbelastenden Kräfteeinsatz von A nach B befördern, Autofahrer einem Geisterfahrer, von einem intelligenten System unterstützt, schneller ausweichen, oder Abwehrraketen eine feindliche, ballistische Rakete mit höherer Trefferquote zerstören, dann wird das, unter anderem, Herrn Privatdozenten Dr. habil. Michael Breitner vom Fachbereich Mathematik und Informatik der TU Clausthal zuzuschreiben sein.
In den vergangenen zehn Jahren, von der Diplomarbeit bis zur Habilitation, befasste sich Dr. Breitner mit der Steuerung von Systemen deren Verhalten nur ungefähr bekannt ist.
„Ein Raumgleiter muß bei seinem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre von einer Geschwindigkeit von rund 29.000 Kilometer pro Stunde auf 200-300 Kilometer pro Stunde abgebremst werden, und dies allein, wie bei einem Segelflugzeug, durch den Luftwiderstand der dünnen, und zunehmend dichter werdenden Erdatmosphäre. Nun kennt man aber nicht die Dichte exakt, folglich trudelt mit den bisher eingesetzten Steuerungssystemen der Raumgleiter um die optimale Bahnkurve herum, gleich einem Wellenreiter auf dem Meer“, erklärt Dr. Breitner.
Deshalb entwickelte Dr. Breitner eine Echtzeit-Steuerung, die bei einer Abweichung von der ursprünglich angenommenen Luftdichte nicht mit den bislang unvermeidlichen Überschwingern versucht, auf die alte, zuerst angestrebte Bahnkurve zurück zu kommen, sondern von dem neuen Bahnpunkt den Weg fast optimal, und damit glatter ins Ziel findet.
Die Steuerung wird mit dem, von ihm entwickelten Neurosimulator FAUN (Fast approximation with universal neural networks) trainiert, was CPU-Tage oder auch -Wochen dauern kann. Die trainierte Steuerung kann dann aber selbst vom sehr langsamen Bordrechner des Raumgleiters in Sekundenbruchteilen ausgewertet werden.
„Die glattere Bahnkurve bewirkt, dass die Aufheizung an der Unterseite des Raumgleiters von bis zu 1700 Grad Celsius auf unter 1200 Grad Celsius sinkt. Die gleichmäßigere Aufheizung ist zudem materialschonender“, erläutert Dr. Breitner. Die Nutzlast kann erhöht werden, da der Hitzeschild für geringere Belastungen ausgelegt werden kann.
„Die mathematische Theorie, die hinter all dem steckt, lässt sich auf viele andere Fragestellungen anwenden. Ein Industrieroboter, der eine Fensterscheibe greifen soll, muss bei leichteren oder schwereren Fensterscheiben andere, optimierte Bahnen fahren. Damit dies in Bruchteilen von Sekunden möglich ist, müssen einem neuronalen Netz tausende möglicher Bahnkurven antrainiert werden. Das trainierte Netz als Steuerung vergleicht Soll- mit Istwerten und sucht, ist der Roboter einmal von der Sollbahn abgekommen, vom neuen Startpunkt aus einen optimierten Weg“, erklärt Dr. Breitner eine mögliche Anwendung.
„Die USA haben ihr Projekt eines Schutzschildes gegen angreifende Raketen, früher SDI genannt, wiederaufgenommen. Die nächste Generation ballistischer Atomraketen wird in wenigen Jahren mit kleinen Steuerflügeln trudelnde Täuschungsmanöver ausführen. Das ist im Kern die gleiche Aufgabe“, sagt Dr. Breitner: „Finde von dem schlingernden Kurs die zugehörige Bahnkurve und lenke die Abwehrrakete mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit in ihr Ziel!“
Gemeinsam mit der Siemens AG und Professor Dr. Hans-Josef Pesch, jetzt Universität Bayreuth, hält Dr. Breitner ein 1998 erteiltes Patent auf die mathematische Modellierung eines Systems, mit dem ein Autofahrer einem ankommenden Geisterfahrer ausweichen kann. Die Realisierbarkeit eines solchen Systems wies deren beider Doktorand Rainer Lachner in seiner Promotion im Jahr 1997 durch Computersimulationen nach.
Nun verlässt Privatdozent Dr. Breitner die TU Clausthal und tritt zum Sommersemester 2002 eine vorläufig Parallelprofessur am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Hannover an. Denn FAUN kann nicht nur Raumgleiter und Industrieroboter steuern, Autofahrer vor Falschfahrern bewahren, oder ein Schutzschild vor angreifenden Atomraketen entwickeln, sondern auch zur Zinsprognose oder zur Berechnung marktgerechter Optionspreise verwendet werden. Werden die neuronalen Netze „nur“ mit genügend Erfahrungswissen „gefüttert“, wissen sie für (fast) jede zitternde Bahnkurve, sei es ein Aktienkurs oder schlingernder Raumgleiter, welches Verhalten optimal ist.
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