Kann Hiddensee auseinanderbrechen?
Simulation der Ostseewellen am TUD-Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft
Der Südteil der Insel Hiddensee ist Naturschutzgebiet, in dem sämtliche Eingriffe – also auch solche des Küstenschutzes – strikt verboten sind. Das führt zu der auch politisch brisanten Frage, ob die Insel wegen des fehlenden Küstenschutzes durchbrechen kann und welche Folgen dies hätte. Prof. Dr.-Ing. Ulrich Zanke und das Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der TU Darmstadt erhielten deshalb vom Land Mecklenburg-Vorpommern den Auftrag zu klären, ob die Insel möglicherweise bei einer hohen Sturmflut durchbrechen könnte und welche Folgen dies hätte.
Für die Antwort auf diese Fragen wurden verschiedene numerische Simulationsmodelle erarbeitet. Berechnet wurden die Strömungen und Sedimentbewegungen mit dem Programmsystem TIMOR3 (Zanke). Die seegangsgetriebenen Prozesse wurden mit dem Modell SWAN (Holthuijsen et al.) simuliert, das zur Berechnung des vollständigen, wind- und wellenbedingten Strömungsfeldes mit TIMOR3 gekoppelt betrieben wurde. Die daraus ermittelten Bodenschubspannungen sind verantwortlich für den Sedimenttransport und die morpho-dynamische Entwicklung. Dieses prozessbasierte Modellsystem ist in Deutschland einmalig.
Für die Simulationen wurde von den Mitarbeitern des Instituts Dipl.-Ing. Markus Witting und Dr.-Ing. Peter Mewis ein Modellgebiet von ca. 50 x 60 km Ausdehnung aufgebaut, das die gesamte Insel Rügen umfasst und westlich bis zum Darßer Ort reicht. So konnten die Wasserstandsverhältnisse um Hiddensee sehr gut modelliert werden. Die Modellsimulationen ergaben, dass mittel- bis langfristig ein Abtrag der Schutzdüne möglich ist. Bei sehr hohen Sturmfluten kann die Düne dann überströmt werden, wobei die Überströmung, sobald sie einsetzt, sehr heftig ist. Grund für die heftige Strömung ist das windstau-bedingt erhebliche Wasserspiegelgefälle von der Seeseite zum rückwärtigen Bodden, wie die Schnitte mit den eingetragenen Wasserspiegellagen entlang der Durchbruchsachse zeigen.
Der in der Simulation entstandene ca. 170 m breite und ca. vier bis fünf Meter tiefe Durchbruch zeigt deutliche Ähnlichkeit zu dem an anderer Stelle eingetretenen historischen Durchbruch aus dem Jahr 1868. Nachdem sich dieser Durchbruch nicht selbst wieder schloss und mehrfache Versuche fehlgeschlagen waren, mit geringen Mitteln einen Abschluss des Durchbruchs zu erreichen, war damals eine Abordnung der Hiddenseer nach Berlin gefahren und hatte erreicht, dass Kaiser Wilhelm I. Mittel für einen Sicherungsdamm zusagte.
Die beigefügte Abbildung zeigt die Entwicklung des Durchbruchs in der Draufsicht, wie sie sich in der Simulation einer extremen Sturmflut im hydro-morphodynamischen Modell ergab. Zu sehen sind mehrere Phasen vom Anlaufen bis zum Ablaufen der Sturmflut. Wie beim historischen Durchbruch von 1868 schloss sich auch der im numerischen Modell entstandene Durchbruch nicht wieder von selbst. Die Ursachen dafür konnten analysiert werden: Sie liegen in den windstau-bedingten Wasserstandsschwankungen begründet, als deren Folge ständig wechselnde Wasserstandsgefälle zwischen Seeseite und Boddenseite eintreten, die zu permanenten Durchströmungen des Durchbruchs führen und ihn offen halten. Schließlich wurde im numerischen Modell TIMOR3 ermittelt, dass Vorspülungen die Sicherheit gegen einen Durchbruch erhöhen. Diese Ergebnisse der Simulation sind Grundlage für eine Vorlage im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern zur Entscheidung über zukünftige Küstenschutzmaßnahmen zur Bestandssicherung der Insel Hiddensee.
Weitere Informationen: Prof.Dr.-Ing. Ulrich Zanke, Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der TU Darmstadt, Tel. 06151/16 2523, E-Mail zanke@aol.com
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