Der Glaziologe Dr. Wolfgang Rack über das Schelfeis der Antarktis

Eisberge, insgesamt so groß wie das Saarland (etwa 2600 Quadratkilometer), sind vor einigen Tagen vom nördlichen Larsen-Schelfeis an der antarktischen Halbinsel abgebrochen. Das ist ein natürlicher Vorgang, der jedoch durch eine starke regionale Klimaänderung beschleunigt wurde. Durch das aktuelle Ereignis ging außerordentlich viel Schelfeis verloren – Eis, das auf dem Meerwasser schwimmt, dem auf festem Grund aufliegenden Gletscher vorgelagert ist und diesen stabilisiert. Schelfeis bildet sich stetig durch den Zufluss aus Gletschern und aus lokalen Niederschlägen.

Dr. Wolfgang Rack beschäftigt sich mit Kollegen aus Innsbruck und Argentinien am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung seit Jahren mit dem Zusammenspiel von Gletschern und Schelfeis in der Antarktis.

Frage: Was finden Geowissenschaftler an diesem Ereignis „außerordentlich“?

Es handelt sich nicht um ein regelmäßig wiederkehrendes „Kalben“. Das Larsen-Schelfeis besteht aus drei Teilen. Bei Larsen B, der jetzt betroffen ist, deuten laufende Untersuchungen darauf hin, dass sich das Eis jetzt zum ersten Mal seit Beginn des Holozäns zurückgezogen hat – das sind ca. 11.500 Jahre, seitdem es den modernen Menschen gibt. Eine Untersuchung der Meeressedimente unter dem vor sechs Jahren zerbrochenen Larsen A Schelfeis durch amerikanische Kollegen ergab, dass Larsen A zumindest eine Zeit lang innerhalb der letzten 5.000 Jahren nicht existierte. Das nördliche Larsen Schelfeis (Larsen A und B) bildet insgesamt ein recht kleines Gebiet – durch den Rückzug der letzten Jahre ist es nur noch 4500 km2 gross.

Frage: Wer ist denn an der Klimaerwärmung schuld, die die Eisberge abbrechen ließ?

Es handelt sich um ein regionales Klimaphänomen. Der Temperaturanstieg, der in dieser Gegend gemessen wird, liegt viel höher als das globale Mittel, passt also nicht wirklich zum globalen Temperaturanstieg. Außerdem spielt der Ozean für das Schelfeis eine große Rolle. Noch können wir außerdem nicht wirklich erklären, wieso gerade diese Region so sensibel reagiert.
Möglicherweise hat sich das Zirkulationsmuster in West-Ost Richtung verlagert. Leider gibt es zu wenige Messstationen entlang dieses Breitenkreises, so dass wir noch nicht klären konnten, ob und welche Verbindungen es zu anderen Regionen gibt.

Frage: Drohen durch das Ereignis Gefahren für die Schifffahrt?

Nein: Die Eisberge treiben im Südatlantik in einem relativ kleinen Gebiet. Die Eisberge des Larsen-Schelfeises werden zunächst in das Weddellmeer driften und treten anschließend im Zirkumpolarstrom eine Reise um die Antarktis an. Dabei schmelzen sie sehr langsam: grosse Eisberge schaffen es rund um die Antarktis. Angetrieben werden sie durch eine kreisrunde Strömung im Uhrzeigersinn rund um den antarktischen Kontinent. Dadurch ist der Kontinent ab etwa 60 Grad südlicher Breite praktisch vom Rest der Welt abgetrennt.

Frage: Und die Tierwelt?

Leben rührt sich auf dem Schelfeis kaum. Pinguinkolonien gab es dort nicht. Das Schelfeis ragt bis zu 30 Meter aus dem Wasser heraus, da ist es für viele Tierarten sehr schwer, hinaufzukommen – allenfalls Vögel leben auf im Eis eingeschlossenen Inseln. Erst, wenn das Schelfeis durch Meereis ersetzt wird, hält die Natur Einzug. Das heißt: Für Pinguine könnte man das Ereignis vielleicht „gut“ nennen. Die könnten jetzt kommen.

Frage: Was lernen Sie aus dem Ereignis?

Das Schelfeis Larsen B könnte für uns ein Modell werden, mit dem wir das Zusammenspiel zwischen Gletscher und Schelfeis genauer verstehen lernen. Im Vergleich mit Daten vom 1995 zerbrochenen Larsen A beobachten wir, dass das Gletschereis schneller wird, wenn das Schelfeis fehlt: Die Ausflussgletscher, die in Richtung Meer fließen – hier beispielsweise der Drygalski-Gletscher -, beschleunigten von einem Meter auf inzwischen etwa drei bis vier Meter pro Tag. Offensichtlich wirkt also das Schelfeis stabilisierend auf Gletscher.

Frage: Die Antarktis ist internationales Gebiet. Welchen Nationen bricht denn jetzt das Eis weg?

Die Gebietsansprüche in der Antarktis ruhen während der Laufzeit des Antarktisvertrages, sie sind sozusagen auf Eis gelegt. Für das Gebiet des Larsen Schelfeises wären die Ansprüche von Großbritannien, Argentinien und Chile betroffen.

2002 ist das „Jahr der Geowissenschaften“. Ziel ist es, das Spektrum der geowissenschaftlichen Forschung transparenter zu machen, einen lebendigen Dialog zwischen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit anzuregen und zu fördern. Das „Jahr der Geowissenschaften“ geht ebenso wie das „Jahr der Physik“ 2000 und das „Jahr der Lebenswissenschaften“ 2001 auf die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ zurück, die von Bundesministerin Bulmahn, dem Stifterverband und den großen Forschungsorganisationen 1999 ins Leben gerufen wurde.

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Lutz Peschke idw

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