Charité erprobt erstmals am Menschen neues Mittel gegen Organabstoßung nach Transplantation

Organtransplantationen, wie sie heute an vielen Universitätskliniken erfolgreich durchgeführt werden, sind erst möglich geworden, nachdem Medikamente entwickelt wurden, die die Abstoßung des verpflanzten Fremdorgans zu verhindern vermögen. Auch heute noch kann kein Patient nach Organtransplantation auf solche Immunsuppressiva verzichten. Die bisher verfügbaren Mittel unterdrücken mehr oder weniger stark die Bildung der weißen Blutkörperchen des Organempfängers, die darauf spezialisiert sind, fremdes Gewebe abzustoßen. Die Substanzen haben aber, besonders nach längerer Anwendung, auch unerwünschte Wirkungen, etwa auf die Nieren.
Jetzt hat die Firma Novartis, Basel, aus einem Pilz (Isaria sinclarii) einen Wirkstoff synthetisiert, der sich in Tierversuchen als sehr wirksam zur Verhinderung der Organabstoßung erwiesen hatte, ohne wesentliche Nebenwirkungen hervorzurufen.
Dr. Klemens Budde, Oberarzt der “Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie” der Charité hat – in Zusammenarbeit mit Forschern aus Hannover – diesen Wirkstoff (in einer sogenannten Phase 1 Studie) erstmals am Menschen angewandt und die dabei gewonnen Erkenntnisse soeben im angesehenen Fachblatt “Journal of the American Society of Nephrology” (13: 1073-1083 [2002]) veröffentlicht.
Die Wirksubstanz mit dem Prüfnamen FTY wurde zwanzig Patienten nach einer Nierentransplantation in jeweils nur einer Dosis unterschiedlicher Stärke verabreicht. Anschließend wurden durch Blutuntersuchungen und andere Labortests die Aufnahme der Substanz, ihre Verteilung im Organismus und ihre Verstoffwechselung einschließlich Ausscheidung dokumentiert. Dabei bestätigte sich zum Einen, was aus Tierversuchen bekannt war: Zum anderen aber konnten Budde und seine Arbeitsgruppe zwei wesentliche Besonderheiten feststellen:
Bestätigt wurde die aus Tierversuchen bekannte dosisabhängige Wirksamkeit des Mittels bei gleichzeitig außerordentlich guter Verträglichkeit. Ebenfalls in Analogie zum Tierversuch wird die neue Substanz beim Menschen langandauernd (bis zu 12 Stunden) im Darm absorbiert. Ihre Konzentration im Blut bleibt entsprechend lange erhöht und fällt erst im Verlauf von Tagen ab. (Eine lange Wirkdauer von Medikamenten hat für den Patienten prinzipiell den Vorteil langer Pausen zwischen zwei Medikamenteneinnahmen.)
Erfreulicherweise, so fanden Budde und sein Team weiter, verringert sich die Zahl der Lymphozyten, also jener Zellen, die eine Abstoßung vermitteln, schon zwei Stunden nach Einmalgabe des Mittels. Damit eignet es sich auch für den unmittelbaren Einsatz bei Transplantationen.
Außerdem ergab die Studie, dass FTY sich mit dem Standardmittel der Immunsuppression, “Sandimmun” (CyclosporinA) verträgt, ohne dass die Wirkung eines der beiden Mittel beeinträchtigt würde.
Bemerkenswert waren aber vor allem zwei Beobachtungen:
· FTY repräsentiert eine ganz neue Wirkgruppe von Immunsuppressiva. Denn die Substanz verringert zwar, ebenso wie bereits bekannte Mittel, die Zahl der Lymphozyten im Blut der Patienten (insbesondere die sogenannten CD4, CD8 und CD3-Zellen). Dies ist aber nicht auf einen Zelluntergang (Apoptose) oder auf eine verminderte Produktion der Immunzellen zurückzuführen. Vielmehr ziehen sich die Lymphoyten wahrscheinlich zurück in Lymphknoten und in bestimmte Bereiche der Darmwand (in die sogenannten “Payerschen Plaques”). Dort behalten die Zellen interessanterweise ihre Abwehrkraft gegen krankmachende Keime (was Untersuchungen anderer Forscher ergaben). Dieser Rückzug (“homing”) der Zellen in Lymphgewebe weist auf einen ganz neuen Wirkmechnismus der Substanz im Sinne einer Immunmodulation statt einer Immunsuppression hin.
· Weiter entdeckte die Gruppe um Budde ein Phänomen, das ebenfalls bei den vorangegangenen Tierversuchen nicht zu Tage getreten war: Unter höheren Dosierungen von FTY kommt es zur Verringerung des Pulschlages, also zu einer Verlangsamung der Herztätigkeit, wenn auch in einem so geringen Ausmaß, dass die Patienten dies nicht selbst bemerkten. Die Substanz wirkt offenbar nicht nur auf die Lymphozyten, sondern auch auf Herzmuskelzellen in einem bisher nicht ganz verstandenen, molekularen Mechnismus ein. Es gibt inzwischen Hinweise darauf, dass beide Zellarten, also Lymphozyten und Herzmuskelzellen, Bindungsstellen (Rezeptoren) an ihren Oberflächen besitzen, an die die Substanz FTY sich anlagern kann.
Die Erkenntnis der Charité-Forscher hat die Firma Novartis zum Anlaß genommen, den Ursachen der Verlangsamung des Herzschlages nachzugehen.In weiteren Untersuchungen in der Charité und Hannover, so wie in USA und Brasilien zeigte sich an allerdings bisher noch kleinen Fallzahlen, dass der Abfall der Pulszahl offenbar ein Phänomen der ersten Gabe der Substanz ist und sich der Pulsschlag anschließend wieder nahezu normalisiert. In diesen Untersuchungen erwies sich FTY erstmals auch als gut wirksam zur Verhinderung der Abstoßung von Nierentransplantaten. Sollte sich dies weiterhin bestätigen, stünde der Medizin ein Immunmodulator zur Verfügung, der sich – worauf Studien anderer Untersucher verweisen – auch bei Autoimmunkrankheiten einsetzen ließe.

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Dr. med. Silvia Schattenfroh idw

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