Der Knackpunkt: BSE-Test am lebenden Tier

Auch in Leipzig erwarten Wissenschaftler Proben der infizierten Kälber von der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere auf der Insel Riems

BSE, vor zwei Jahren noch aufgeregt diskutiertes Thema, war inzwischen aus den Schlagzeilen der Titelblätter in die Kurzmeldungsspalten der hinteren Seiten gerückt, als im Januar ein Seufzer die Nation durchzog: „Die armen Kälbchen!“. Das Mitleid galt den 56 jungen Rindern, die im Rahmen eines großangelegten Tierversuches der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) auf der Insel Riems etappenweise mit dem BSE-Erreger infiziert werden.

Was genau läuft ab auf dem kleinen Ostsee-Eiland? Und warum ist dieses Experiment nötig? Für die Forschungen wurde extra ein BSE-Infektionsstall eingerichtet. Britische Wissenschaftler stellten fünf Kilogramm Hirnstammgewebe von an BSE erkrankten Rindern zur Verfügung. Dieses Material wird den hundertprozentig gesunden Kälbern auf die Zunge gelegt, so dass der Zeitpunkt der Infektion – anders als bei natürlich infizierten Tieren – auf die Stunde genau bekannt ist. Fortan soll die Ausbreitung des BSE-Erregers, der Prionen, von der Aufnahme im Magen-Darm-Trakt bis zum Gehirn, unter Überwindung der Immunbarriere genau analysiert werden. Das Ganze nennt sich Pathogenese-Studie, ist also eine Untersuchung zur Gesamtheit der an der Entwicklung der Krankheit beteiligten Faktoren.

Wissenschaftler verschiedener Forschungsinstitute der Bundesrepublik erwarten Ende Februar die ersten Proben von Körperflüssigkeiten der infizierten Tiere (z.B. Blut, Harn, Liquor) später dann Organe bzw. Gewebe der getöteten Tiere. Solche definierten Proben waren bislang ausgesprochen rar. Dank der Initiative des Teams um Priv.-Doz. Dr. Martin Groschup, dem Leiter des Institutes für neue und neuartige Tierseuchenerreger an der BFAV hat sich die Situation für die BSE-Forschung und die Standardisierung der BSE-Diagnostik in Deutschland im letzten Jahr durch den Aufbau einer BSE-Probenbank maßgeblich verbessert. Durch die Organisation der umfangreichen Pathogenesestudie versetzen die Riemser Wissenschaftler der BSE- Forschung in Deutschland erneut wesentliche Impulse. Nicht zuletzt deshalb ist das Thema BSE wieder in die Medien zurückgekehrt. Aus der Studie werden neue Erkenntnisse zum Infektionsverlauf und zur Diagnostik der BSE-Erkrankung beim Rind erwartet, was letztlich zu einer Verbesserung des Verbraucherschutzes führen kann.

Um Probenmaterial aus der BSE-Probenbank der BFAV oder aus der BSE-Pathogenesestudie beziehen zu können, müssen die Interessenten Mitglied der Nationalen TSE-Forschungsplattform sein und den Sinn ihres konkreten Projektes nachgewiesen haben. Diese Plattform vereint im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung alle Projekte, die sich der Erforschung von TSE (Transmissible Spongiforme Enzephalopathien) widmen, also einer Gruppe von Gehirnerkrankungen zu der auch BSE und die Creutzfeld-Jacob-Krankheit des Menschen gehören.

Die Leipziger Veterinärmedizinische Fakultät hatte bereits 2001 ein BSE-Verbundprojekt erarbeitet. In diesem Forschungsverbund waren auch fakultätsübergreifende Projekte von Instituten aus der Medizinischen Fakultät und der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie der Universität Leipzig integriert. Das BSE-Verbundprojekt wurde extern begutachtet und sollte durch die Sächsische Landesregierung gefördert werden. Die Finanzierung der Projekte durch den Freistaat Sachsen war jedoch nicht möglich.

Dennoch ist die BSE-Forschung in Leipzig nicht zum Erliegen gekommen. Innerhalb der vergangenen zwei Jahre hat sich eine fruchtbare Kooperation zwischen Wissenschaftlern der Universität Leipzig, den Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Johannes Seeger, Veterinär-Anatomisches Institut, Veterinärmedizinische Fakultät und Dr. Wolfgang Härtig, Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung, Tierärzten der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen, Standort Leipzig und Forschern der Firma Labor Diagnostik Leipzig entwickelt.

Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der Labor Diagnostik GmbH Leipzig ist der Biologe Dr. Jörg Lehmann. Das junge Leipziger Unternehmen hat sich das ehrgeizige Ziel gesteckt, eine Testmethode zu entwickeln, die das Vorhandensein der BSE-Erreger nicht erst im Hirn des geschlachteten Tieres ermöglicht: „Die bisher zugelassenen BSE-Tests ermöglichen lediglich eine Diagnosestellung post mortem, also nach dem Tod des Tieres und dies auch erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung. Dies bedeutet im Klartext, dass immer noch eine gewisse Sicherheitslücke für den Verbraucher existiert. Problematisch ist aber auch die gesetzlich verordnete Konsequenz bei einem positiven Befund, der aus Sicherheitsgründen die Schlachtung der gesamten Geburtskohorte aus der das positive Tier stammt zur Folge hat. Nur eine Diagnosestellung in vivo, also am lebenden Tier, könnte dem dabei entstehenden immensen wirtschaftlichen Schaden, der u.U. den Ruin der betreffenden Betriebe bedeuten kann, entscheidend eindämmen.“

Der Weg zu solch einer innovativen Testmethode geht u.a. über die Entwicklung von Antikörpern, mit deren Hilfe es ermöglicht wird, die Prionen nachzuweisen. „Hersteller“ dieser Prionen- spezifischen Antikörper, sind nicht etwa Rinder, sondern gentechnisch veränderte Mäuse.

„Bei dem Prion handelt es sich um ein körpereigenes Protein, gegen das normalerweise keine Immunantwort, also auch kein Antikörper entwickelt wird. Das BSE-verursachende pathologische Prion unterscheidet sich lediglich in seiner räumlichen Struktur nicht aber in der Anordnung der einzelnen Bausteine, der Aminosäuren, vom normalen zellulären Prionprotein. Nur Antikörper, die eben diese Unterschiede in der dreidimensionalen Struktur erkennen, ermöglichen eine sichere Differenzierung zwischen normalem und pathologischem Prion. Da die Prionen innerhalb der Säugetiere sehr ähnlich sind, erkennt eine normale Maus auch das Rinderprion meist nicht als ,fremd’, bildet also auch kaum Antikörper dagegen. Größeren Erfolg in dieser Hinsicht verspricht die Immunisierung von Mäusen bei denen das Prion-Gen inaktiviert wurde. Diese sogenannten Prion-„knockout“- Mäuse sind uns von unserem Kooperationspartner Prof. Dr. Adriano Aguzzi von der Universität Zürich zur Verfügung gestellt worden und werden jetzt im Medizinisch-Experimentellen Zentrum der Universität Leipzig gezüchtet.“ , so Lehmann.

Um zu prüfen, wie sensitiv der neue Test ist, d.h. ab welchem Stadium der Erkrankung die pathologisch veränderten Prionen nachweisbar sind, warten die Leipziger Forscher gespannt auf die ersten Proben von der Insel Riems.

Doch ehe man sich an der Universität und bei der Labor Diagnostik GmbH Leipzig auf den Erfolg freuen kann, wird es noch eine Weile dauern. Erstens findet derzeit ein internationaler Forschungs-Wettlauf in Richtung dieser Testmethode statt, dessen Ausgang noch ungewiss ist. Zweitens verlangt die EU-Kommission für die Zulassung eines neuen Tests dessen Wirksamkeitsnachweis an 300 bis 400 erkrankten und an 10.000 gesunden Rindern. Und die müssen erst einmal zur Verfügung stehen. Erfreulicherweise zeichnet sich in der kommenden Evaluierungsrunde für neue BSE-Tests eine Vereinfachung des Verfahrens ab. Die Referenzlaboratorien der EU-Kommision werden die Evaluierung maßgeblich durch die Bereitstellung von Probenmaterial unterstützen. Wie auch immer – sollte es gelingen einen marktreifen In-vivo-Test zu entwickeln würde dies einen entscheidenden Fortschritt im Kampf gegen BSE bringen. Wenn die Diagnose am lebenden Tier erfolgreich praktiziert werden kann, bedeutet dies auch das Ende der Kohortenschlachtungen, was sowohl moralisch als auch ökonomisch von großer Bedeutung wäre.

Aber in Sachen BSE scheint jede beantwortete Frage zwei neue aufzuwerfen. Eine in vierzehn Staaten vorgenommene Untersuchung erbrachte beispielsweise, dass von einer Millionen Rindern eines spontan, also ohne Infektion durch Prionen, an BSE erkrankt. Durch solche Mutationen kann überall auf dieser Welt BSE auftreten. Geblieben ist auch die Frage nach der BSE- Anfälligkeit von Schweinen und anderen Nutztieren, die in die Nahrungskette des Menschen gelangen. Bleiben diese Tiere möglicherweise nur durch ihr geringeres Lebensalter von der finalen Gehirnerkrankung verschont?

Über das sogenannte Risikomaterial, also Rückenmark und Hirn, ist man sich längst im Klaren. Noch immer steht allerdings in Frage, inwieweit beim erkrankten Tier auch Muskelgewebe Prionen beherbergen kann und der Verzehr von Lende und Roulade gefährlich sein könnte.

Auch über die Wirkungsweise des BSE-Erregers im menschlichen Körper herrscht derzeit noch enormer Forschungsbedarf. „Noch ist er nicht nachzuweisen“, so Lehmann. „Wenn unser Test mit den Körperflüssigkeiten des Rindes funktioniert, dann wäre der nächste Schritt, ihn auch auf die Anwendung beim Menschen zu adaptieren. Das wäre ein bedeutender Fortschritt für die Qualitätskontrolle von Blut und Blutprodukten in der Transfusionsmedizin.“

weitere Informationen:
Prof. Dr. Johannes Seeger
Telefon: 0341 97 38030
E-Mail: seeger@vmf.uni-leipzig.de
und
Dr. Jörg Lehmann
Labor Diagnostik GmbH Leipzig
Forschung&Entwicklung
Telefon: 0341 12 3454-51
E-Mail:jl@lab-leipzig.de

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Marlis Heinz Universität Leipzig

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