Flieder und Rosskastanie: Entdeckung und Wiederentdeckung

Ein Frühling ohne den Duft des Flieders oder die Blüten der Rosskastanie ist schwer vorstellbar. Beide Pflanzen zieren heute viele Gärten und Parkanlagen nicht nur in West- und Mitteleuropa, sondern in allen gemäßigten Klimazonen der ganzen Welt. In ihrer natürlichen Verbreitung jedoch sind beide Arten auf die Balkanhalbinsel beschränkt, wobei der Flieder auch in einem kleinen, fest umrissenen Gebiet nördlich der Donau im jetzigen Rumänien vorkommt. Erst im 16. Jahrhundert wurden sie erstmals in Mitteleuropa kultiviert. Wie Flieder und Rosskastanie den Weg nach Mitteleuropa fanden, hat Prof. Dr. H. Walter Lack, Direktor am Botanischen Garten und am Botanischen Museum der Freien Universität Berlin, in einer Studie untersucht.

Im 16. Jahrhundert umfasste das Osmanische Reich nicht nur fast den gesamten Balkan, sondern auch das heutige Ungarn sowie Teile der heutigen Staaten Rumänien, Slowakei, Moldawien und Ukraine. Das politische und wirtschaftliche Zentrum dieses riesigen Gebietes war die Hauptstadt Istanbul. Die westlichen Mächte, wie das Heilige Römische Reich oder die Republik Venedig, waren dort durch Diplomaten vertreten. Andere Kontakte waren eher selten, was nicht weiter verwundert, bedenkt man die ständigen bewaffneten Konflikte entlang einer extrem langen Grenze. Abgesehen von den Küstengebieten und den Inseln war die Balkanhalbinsel zu dieser Zeit in Mitteleuropa weitgehend unbekannt, sowohl im Allgemeinen als auch im Hinblick auf ihre Pflanzenwelt.

Die Entdeckung der Rosskastanie

Der erste Bericht über die Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) findet sich in einem Brief von Willem Quackelbeen (1527-1561) an Pier Andrea Mattioli (1501-1578). Der Brief wurde am 26.7.1557 in Istanbul verfasst. Quackelbeen lebte zu dieser Zeit als Arzt von Augier Ghiselin de Busbecq (1522-1592), dem Botschafter von Kaiser Ferdinand I., am Hof Sultan Süleymans II. Der Adressat, Pier Andrea Mattioli, Arzt von Erzherzog Ferdinand, residierte in Prag. In dem Brief heißt es: „Häufig kommt hier eine Art der Kastanie vor, die das Wort Ross als Beinamen hat, weil sie erkrankten Pferden, besonders bei Husten und Wurmkrankheiten, Erleichterung verschafft.“ Mattioli informierte den berühmten Naturforscher Ulisse Aldrovandi (1522-1605) in Bologna über Quackelbeens Entdeckung, wobei er besonders das „sehr große Blatt, bestehend aus fünf Blättchen“ hervorhob. Dies deutet darauf hin, dass Mattioli einen Zweig der Rosskastanie oder zumindest eine Zeichnung in den Händen hatte, da die Blattmerkmale nicht in Quackelbeens Brief erwähnt werden.

Sechs Jahre später veröffentlichte Mattioli in Prag die erste gedruckte Abbildung des berühmten Baumes. Dabei handelt es sich um einen Holzschnitt, der sich in seinem „New Kreüterbuch“ befindet. Mattioli schreibt, die Zeichnung beruhe auf einem Zweig, der ihm „der hochberümpte Augerius, des Christlichen Keysers legat daselbst“ zugesandt habe. Allerdings findet man in Ulisse Aldrovandis berühmtem Herbarium in Bologna ein mit Wasserfarbe gemaltes Bild, das mit dem Holzschnitt im „New Kreüterbuch“ exakt übereinstimmt. Ob der Holzschnitt nun als Vorlage für das Wasserfarbenbild diente oder umgekehrt, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Wie dem auch sei, ein Aspekt bleibt rätselhaft: Wenn man die Dauer einer Reise von Istanbul nach Prag im 16. Jahrhundert bedenkt, so muss der Rosskastanienzweig verwelkt, wenn nicht total vertrocknet dort angekommen sein. Die Zeichnung zeigt aber ein frisches Exemplar, und in dem mit Wasserfarbe gemalten Bild sind die Blätter grün. Verschiedene Erklärungen scheinen plausibel: Entweder arbeitete der Zeichner im Westen und nutzte seine künstlerische Freiheit oder aber er arbeitete im Osten und schickte das Bild an einen Briefpartner im Westen. Denkbar ist auch, dass er ein Bild kopierte, das ursprünglich in Istanbul angefertigt worden war.
Die Entdeckung des Flieders

Drei frühe Illustrationen des Flieders (Syringa vulgaris) sind bekannt: Die erste gehört zur Sammlung des Züricher Arztes Conrad Gesner (1516-1565), die zweite ist enthalten im „Codice Erbario“ des venetianischen Patriziers Pietro Antonio Michiel (1510-1576) und die dritte ist Teil des „Erbario Dipinto“ Ulisse Aldrovandis. Diese drei Illustrationen sind nicht genau zu datieren. Da nach dem Tod der Besitzer keine neuen Zeichnungen mehr zu ihren Sammlungen hinzugefügt wurden, muss Gesners Zeichnung vor 1565, die Michiels vor 1576 und die Aldovandis vor 1601 entstanden sein. Die erste gedruckte Zeichnung des Flieders wurde 1565 in Venedig veröffentlicht. Sie ist enthalten in Mattiolis „Commentarii“ mit der Anmerkung: „Die Pflanze, die wir hier abbilden, wurde aus Istanbul mitgebracht von Augherius de Busbecq. Es war nicht möglich eine lebende Pflanze zu sehen, nur diese auf kunstvolle und sehr exakte Weise gezeichnete.“

Wenn sich auch die genaueren Umstände nicht mehr aufklären lassen, so ist doch zweifelsfrei, dass der Flieder ebenso wie die Rosskastanie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Istanbul aus nach Mitteleuropa gelangte. Von Städten wie Wien, Florenz, Bologna, Venedig oder Padua aus verbreiteten sie sich dann schnell über Mitteleuropa.

Die Wiederentdeckung von Flieder und Rosskastanie

Wie so oft bei Zierpflanzen ging das (ohnehin spärliche) Wissen um ihre Herkunft auch bei Flieder und Rosskastanie schnell verloren. So beschrieb William Curtis 1793 den Flieder als „in Persien heimisch“. Für John Sibthorp (1758-1796), Botanik-Professor an der Universität von Oxford, muss es daher eine große Überraschung gewesen sein, den Flieder im Mai 1794 auf einer Reise von Bukarest nach Istanbul in der Wildnis der Eminska Planina im heutigen Bulgarien zu finden. Sibthorp kannte diesen beliebten Gartenstrauch offenbar gut, denn er bestimmte seinen Fund korrekt und schrieb seinem Freund und Reisebegleiter John Hawkins (1761-1841): „Die Felsen sind bedeckt mit Flieder, der – wie du weißt – bisher als Pflanze Persiens betrachtet wurde“.

Wenig weiß man über die Wiederentdeckung der Rosskastanie durch John Hawkins. Der einzige Hinweis auf seinen Fund ist eine kurze Notiz im „Florae Graecae Prodromus“ (1806-16). Ein nicht veröffentlichter Brief vom 14.9.1795 an seine Mutter zeigt, dass Hawkins im Frühling dieses Jahres das Gebiet des heutigen nordwestlichen Griechenland besuchte. Eine spätere Notiz legt nahe, dass er bis Ioánnina gelangt war und somit in Gebirge, wo auch heute Rosskastanien natürlich vorkommen. Wahrscheinlich begegnete er dem spektakulären Baum dort zum ersten Mal.

Obwohl der Fund im „Florae Graecae Prodromus“ korrekt veröffentlicht worden war, glaubte die Fachwelt Hawkins nicht. Selbst bekannte Baumkundler wie Carl Koch (1809-1867) vertraten die Ansicht, dass die Rosskastanie aus sehr viel weiter östlich gelegenen Regionen, wie dem Himalaya-Gebirge, stamme. Erst 1879, also mehr als 80 Jahre nach Hawkins Entdeckung, konnte Theodor von Heldreich (1822-1902), Direktor des Botanischen Gartens in Athen, dessen Bericht bestätigen. Auf einer Reise durch die nordwestgriechischen Gebirge stieß er ebenfalls auf Rosskastanienbäu-me.

Der Preis, den Sibthorp und Hawkins für ihre Entdeckungen zahlen mussten, war hoch: Beide er-krankten während ihrer Exkursionen mit Malaria, Sibthorp starb im Alter von 38 Jahren. Als Ironie des Schicksals erscheint es da, dass ihre Funde erst viele Jahre nach ihrem Tod gewürdigt wurden.

von Thorsten Lichtblau


Literatur:
Lack, H. Walter: „Lilac and Horse-Chestnut: Discovery and Rediscovery“, in: Curtis’s Botanical Magazine, ser. 6, 17:109-141 (2000).

Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
Prof. Dr. Hans-Walter Lack, ZE Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem der Freien Universität Berlin, Königin-Luise-Str. 6-8, 14191 Berlin-Dahlem, Tel.: 030 / 838-50136, E-Mail: H.W.Lack@mail.bgbm.fu-berlin.de.

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