"Gläserne Produktion" als Reaktion auf die BSE-Krise


Vom Ausbruch der BSE in Deutschland sind nicht nur die Landwirtschaft und die Öffentlichkeit überrascht worden, sondern auch die Politik – und zum Großteil auch die Forschung. Nach Ausbruch der Maul- und Klauenseuche steht in vielen landwirtschaftlichen Betrieben die Existenz auf dem Spiel, denn die Märkte, speziell für Rindfleisch, sind bereits weitgehend zusammengebrochen.

Auf der anderen Seite haben die Verbraucher das Vertrauen verloren. Sie haben Angst vor BSE bzw. der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) und vor Antibiotikaresistenz als Folge des breiten Antibiotikamissbrauchs in der Tierernährung. Sie haben auch kein Verständnis dafür, dass nun große Mengen von Tieren getötet werden müssen – zur Risikoabwehr und zur Marktstabilisierung.

Die Politik hat dieses Mal allerdings schnell und umfassend reagiert:

  • mit dem Tiermehlverfütterungsverbot,
  • mit dem Ausbau der BSE-Untersuchungskapazitäten,
  • mit Vorsorgemaßnahmen bezüglich Maul- und Klauenseuche (MKS) und
  • mit Importstops.

Durch die generelle Krise ist aber deutlich geworden, dass in der Landwirtschaft offensichtlich vieles nicht stimmt. Insofern wird das Problem unter der neuen Landwirtschaftsministerin viel grundsätzlicher angegangen. Ihr politisches Ziel ist ein ökologischer Umbau der gesamten Landwirtschaft, wobei der Verbraucher künftig stärker geschützt werden soll. Einige Stichpunkte aus der Regierungserklärung unterstreichen dieses:

  • „den Verbraucher schützen, und nicht den Verbrauch“
  • „Maßstab ist jetzt Klasse statt Masse“
  • „die Bauern dürfen nicht mehr der billige Jakob sein“
  • „ökologischere Landbewirtschaftung, „artgerechte Tierhaltung“ und
  • „gläserne Produktion: Von den Futtermitteln über Weide und Ställe bis zur Ladentheke muss in Zukunft dokumentiert werden, was mit der Nahrung, geschieht“.

Daraus wird deutlich, dass die Lebensmittel künftig qualitativ besser und vor allem sicherer werden, aber auch teurer!

Welche Rolle kann dabei eine agrartechnische Forschungseinrichtung spielen? Forschung zu BSE als Krankheit ist nicht ihre Aufgabe; hierzu ist sogar vor kurzem an der Bundesanstalt für Viruskrankheiten der Tiere (BFAV) ein neues Institut etabliert worden.
Ein agrartechnisches Institut kann sich allerdings um das Problem der Entsorgung vorhandener Tiermehlbestände kümmern oder um den Anbau und die Verfütterung von eiweißreichen Futterpflanzen als Ersatz für Tiermehl und letztendlich um die Entwicklung von Konzepten für eine „gläserne Produktion“.
Hierdurch soll speziell bei der Rinderproduktion sicher gestellt werden, dass umweltschonend erzeugtes, möglichst betriebseigenes Futter verwendet wird, dass die Tiere weitgehend artgerecht gehalten werden, und dass der Weg des Produktes bis hin zur Ladentheke verfolgt werden kann. Dies alles soll möglichst umfassend dokumentiert werden. Ziel ist es, auf diese Weise das Vertrauen der Verbraucher wiederzugewinnen.

Auch bisher haben progressive Landwirtschaftsbetriebe ihre Feldproduktion und Tierhaltung über „Ackerschlagkartei“, „Stallbuch“ und betriebliche Gesamtbilanzen genau dokumentiert – zunehmend unter Nutzung von PC-Programmen.

Was das ATB will ist eine weitgehende Automatisierung der Datenerfassung und die Entwicklung von Modellen für eine ganzheitlich betrachtete „gläserne Produktion“.

Trotz allem wird der Mensch, der Betriebsleiter, die bedeutendste Rolle in einem solchen System zur Qualitäts-Sicherung spielen.

Dass dieses nicht nur Ansätze aus der Forschung sind, zeigen Vorschläge zur Entwicklung eines Betrieblichen Qualitätsmanagement-Systems (QMS) aus praktischen Landwirtschaftsbetrieben. Hier zielt die Qualitätssicherung nicht nur auf das Produkt, z. B. Rindfleisch sondern auch auf die „Qualität des Prozesses“ einer umweltverträglichen und tiergerechten Produktion.

Zurück zur möglichst automatischen Erfassung und Dokumentation der einzelnen Prozessabschnitte:
– Die Feldproduktion auch von Futter lässt sich über Bordcomputer auf dem Traktor für alle wesentlichen Vorgänge automatisch erfassen.
– Bei neuen Technologien wird „teilflächenspezifisch“ gearbeitet; Düngegaben bzw. Pflanzenbehandlungsmittel werden automatisiert nur nach Bedarf ausgebracht: dichterer Pflanzenbestand = mehr Dünger (Mineraldünger oder auch Gülle bzw. Festmist); Unkrautbekämpfung nur, wo Unkräuter dicht stehen.
Diese Technik reduziert nicht nur den Aufwand und damit die Kosten. In Verbindung mit Satellitennavigation (DGPS) lassen sich die Aufwandmengen über die Gesamtfeldflache im Detail (teilflächenspezifisch) auf einer digitalen Karten auch dokumentieren. Dieses könnte künftig ein wesentliches Element der „gläsernen Produktion“ sein.
– Die Aufbereitung des betriebseigenen Futters erfolgt in verschiedenen, z. T. automatisierten Prozessen, z. B. Silierung, Trocknung, Zerkleinerung, und Lagerung. Diese Prozesse beinhalten oft das Zumischen von Hilfsstoffen. Diese gilt es, sorgfältig auszuwählen und ebenfalls zu dokumentieren.
– In der Tierhaltung, speziell in der Rinderhaltung ist die individuelle Tierkennzeichnung Pflicht. Künftige Verfahren werden statt der Ohrmarken mit elektronischen Chips arbeiten, die am Tier unter die Haut implantiert werden. Diese Methode erlaubt eine elektronische Tiererkennung, z. B. beim Melken, und eine individuelle Fütterung. Die Erfassung der Produktqualität z. B. der frisch gemolkenen Milch kann hier verbunden werden mit einer automatischen Gesundheitsüberwachung und den ökonomischen Vorteilen der automatisierten Kraftfutterzuteilung.

– Dass das zugekaufte Kraftfutter in der Vergangenheit nicht den Qualitätserfordernissen entsprochen hat, war mit ein Grund für die Ausbreitung von BSE. Es darf dabei übrigens nicht übersehen werden, dass auch vor Auftreten der BSE-Krise die Verfütterung von Tiermehl an Rinder nicht gestattet war.

Auf jeden Fall ist zu fordern, dass auf der Verpackung des Kraftfutters die Inhaltsstoffe angegeben werden, wie es übrigens in der DDR der Fall war, und dass der Landwirt selbst beim Kauf Sorgfalt walten lässt.

Bei Schlachtrindern erlaubt die elektronische Tierkennzeichnung nicht nur die Verfolgung des Lebensweges des Schlachttieres; sie ermöglicht auch hier die Dokumentation der Fütterung im Detail. Auf diese Weise könnte noch auf der Verpackung in der Auslage z. B. draufstehen: „Kalbfleisch, aus eigener Aufzucht, mit betriebseigenem Futter ernährt“. Sicher wäre aber ein Qualitätssiegel für den Verbraucher einfacher und aussagekräftiger.

Eine „gläserne Produktion“ mit der Zielrichtung Lebensmittelqualität und -sicherheit lässt sich im Sinne des Stoffkreislaufgedanken noch ausweiten.

Nicht nur der Weg des Futters ist dabei von Bedeutung, sondern auch der Umgang mit den tierischen Exkrementen. Gülle bzw. Festmist sind beste Dünger für die Pflanzenproduktion – auch für die Produktion von Futterpflanzen. Die Dokumentation ihrer Rückführung auf den Acker ist eine wesentliche Aussage über eine umwelt-freundliche und nachhaltige Landnutzung. Nur mit diesem Nachweis macht die Forderung nach Koppelung der Tierhaltung an den Boden (z. B. nicht mehr als zwei Rinder pro Hektar Land) auch Sinn.

Zusammenfassend ist festzustellen: viele Elemente zur Dokumentation ordnungsgemäßer Produktionsabschnitte (im Sinne einer „gläsernen Produktion“) existieren bereits. Auch gibt es Ansätze, diese zu Gesamtkonzepten der Qualitätssicherung sowie des Nachweises einer ökologischeren Produktionsweise zusammenzuführen. Die Forschung ist hier mit der Entwicklung von Modellen auch in Zukunft gefordert. Trotz zunehmender Automatisierung in der Mehrzahl der landwirtschaftlichen Betriebe, auch bei der Datenerfassung: der Betriebsleiter wird der wesentliche Faktor sein, der die Qualität seiner Produkte sowie das Image seines Betriebes bestimmt.


Ansprechpartner:
Gudrun Spaan oder Renate Scheidemann
Institut für Agrartechnik Bornim e.V.
Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 0331/ 5699723 oder 0331/5699714
Fax: 033/ 5699849
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