Haushaltsbelastung für die EU-Agrarpolitik durch die Ost-Erweiterung


Durch die Ost-Erweiterung sind zukünftig Haushaltsbelastungen für die EU-Agrarpolitik in Höhe von jährlich 9 bis 11 Milliarden Euro (einschließlich Direktzahlungen) zu erwarten. Zu diesem Ergebnis kommen Studien, die am Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO), Halle und am Institut für Agrarökonomie der Universität Göttingen unter Leitung von Professor Klaus Frohberg (Halle) und Professor Stefan Tangermann (Göttingen) durchgeführt worden sind.

Bei der Vorbereitung auf die Ost-Erweiterung der EU wird immer wieder darüber diskutiert, welche Haushaltsbelastung auf die EU zukommt, wenn auch die Beitrittsländer aus Mittel- und Osteuropa in die Gemeinsame Agrarpolitik einbezogen werden. Schätzungen der Ausgaben für den Agrarhaushalt der EU weichen zum Teil weit voneinander ab.
Es gibt gute Gründe dafür, warum Prognosen der Agrarausgaben für die Beitrittsländer breit streuen können. Die zukünftige Entwicklung auf den Agrarmärkten in den Beitrittsländern ist schwer vorherzusagen, weil die Geschwindigkeit, mit der sich die Landwirtschaft dort vom „Transformations-Schock“ erholt, unterschiedlich eingeschätzt werden kann. Das gleiche gilt für die Reaktionen auf Preisveränderungen, die zu erwarten sind, wenn die Länder Mittel- und Osteuropas der EU beitreten. Die Bandbreite für die erwartbare Entwicklung der Überschüsse auf den Agrarmärkten der Beitrittsländer ist also recht groß. Entsprechend unterschiedlich können auch die Prognosen über Ausgaben für Maßnahmen der Marktpolitik ausfallen, ganz besonders derjenigen für Exporterstattungen, die zudem noch durch Unsicherheiten über die Entwicklung der Weltmarktpreise und Wechselkurse geprägt sind.
Am meisten Unsicherheit besteht aber beim gegenwärtigen Stand der politischen Verhandlungen mit den Beitrittsländern hinsichtlich des größten Ausgabenpostens. Nach wie vor ist nicht klar, ob die Landwirte in den Beitrittsländern die Direktzahlungen erhalten sollen. Deshalb ist erst recht nicht klar, nach welchen Kriterien diese Zahlungen festgesetzt würden, wenn sie auch in den Beitrittsländern geleistet werden sollten. Welche Durchschnittserträge würden für die Flächenbeihilfen herangezogen? Diejenigen aus der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wie in der EU-15 (unwahrscheinlich), diejenigen aus der zweiten Hälfte der neunziger Jahre (wahrscheinlicher), oder diejenigen, die zum Zeitpunkt des Beitritts eingebracht werden (denkbar, aber nicht sehr wahrscheinlich)? Welche Milchquoten werden den Beitrittsländern zugestanden, und was ergibt sich daraus für die zukünftigen Prämien bei Milch? Welche Struktur wird der Rinderbestand in den Beitrittsländern zukünftig haben? Wird die Einführung von Milchquoten dazu führen, dass auch dort mehr Fleischrinder gehalten werden? Werden die Beitrittsländer sich eher auf Mutterkühe oder auf Bullen und Ochsen spezialisieren? Welche Höchstgrenzen werden für prämienberechtigte Mutterkühe vereinbart?
Das Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (Halle) und das Institut für Agrarökonomie der Universität Göttingen haben unabhängig voneinander Schätzungen für die zukünftigen Agrarausgaben in den Beitrittsländern vorgelegt, die aus den genannten Gründen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Professor Frohberg (Halle) und Professor Tangermann (Göttingen) haben die Einzelheiten der jeweiligen Schätzungen jüngst miteinander verglichen und einige Anpassungen vorgenommen. Für die Übertragung der Direktzahlungen nach Agenda 2000 auf alle zehn Beitrittsländer rechnet das Institut in Halle jetzt mit Ausgaben von etwa 8,3 Milliarden Euro in laufenden Preisen, während das Göttinger Institut nun von etwa 8,5 Milliarden Euro ausgeht. Göttingen legt dabei etwas höhere Milchquoten in den Beitrittsländern und höhere Ausgaben bei Rindern zugrunde. Für die übrigen Marktordnungsausgaben rechnet Halle mit knapp 1 Milliarde Euro (alleine Exporterstattungen), während Göttingen etwa 2,5 Milliarden Euro (einschließlich der übrigen Marktinstrumente) erwartet.
In der Summe prognostiziert Halle also derzeit Agrarausgaben für alle zehn Beitrittsländer von knapp 9 Milliarden Euro in laufenden Preisen, während Göttingen eher mit Ausgaben von etwa 11 Milliarden Euro rechnet. Angesichts der Unsicherheit über die zukünftigen Entwicklungen ist diese Bandbreite der Prognosen nicht verwunderlich. Unter etwas anderen Annahmen hinsichtlich der Referenzerträge, die allerdings zur Zeit weder Halle noch Göttingen für wahrscheinlich halten, könnten auch deutlich höhere Ausgaben, möglicherweise 13 Milliarden Euro und mehr prognostiziert werden.
Sowohl das Institut in Halle als auch das Göttinger Institut haben sich bei ihren Prognosen auf die wichtigsten Agrarprodukte konzentriert. Zukünftige Ausgaben für Produkte wie Olivenöl, Obst und Gemüse, Wein, Tabak und Schafe sind in den Schätzungen nicht enthalten. Ebenfalls nicht eingeschlossen sind Ausgaben für die sogenannten flankierenden Maßnahmen. In der EU-15 machen die Ausgaben für diese in den Prognosen nicht erfassten Bereiche etwa 30 Prozent der Gesamtausgaben in der Abteilung Garantie des Agrarhaushalts der EU aus.

Halle und Göttingen, 1. November 2000

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Dr. Michael Kopsidis idw

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