Bio ist nicht immer auch Öko
Das Konzept einer nachhaltigen Landwirtschaft rückt derzeit immer stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit. Nachhaltige Landwirtschaft meint dabei einerseits die Umweltverträglichkeit der Anbaumethoden, andererseits aber auch die Wirtschaftlichkeit und soziale Akzeptanz der landwirtschaftlichen Produktion. Gemeinhin wird angenommen, dass ökologische Anbaumethoden inklusive der Nutzung biologischer Pestizide einen geringeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen, das heißt geringere Auswirkungen auf die Umwelt haben als konventionelle, synthetische Pflanzenschutzmittel. Eine Studie zeigt nun, dass nicht alles „öko“ ist, was „bio“ heißt.
Die Wissenschaftler untersuchten die Umweltauswirkungen von sechs Insektiziden zur Bekämpfung der Soja-Blattlaus (Aphis glycines) in Kanada. Die gefräßige Blattlaus ernährt sich vom Pflanzensaft kommerziell angebauter Sojapflanzen und verursacht damit jährlich große Ernteverluste. Für die etwa 1,2 Mio. Hektar großen Sojaplantagen in Kanada sind die kleinen Läuse die bedeutendsten Fressfeinde. Sie entziehen den Pflanzen wichtige Nährstoffe, wodurch das Pflanzenwachstum gehemmt wird. Zudem übertragen die Blattläuse auch Krankheitserreger wie Viren, die die Pflanzen nachhaltig schädigen können. Gegen die Plage gibt es synthetische wie auch ökologische Pestizide. Wie effektiv diese Mittel wirken und welche Auswirkungen sie auf die Schädlinge und auf andere Insekten in der Umgebung der Sojapflanzen haben, wollten die Forscher herausfinden.
Die Zielgenauigkeit im Blick
Hierzu verglichen sie zunächst unter Laborbedingungen und später im Freilandversuch die Wirkung von zwei neu entwickelten synthetischen Pflanzenschutzmitteln (Spirotetramat und Flonicamid) und zwei neuen biologischen Wirkstoffen (Mineralöl und der insektenschädigende Pilz Beauveria bassiana). Als Kontrollgruppen dienten zwei gebräuchliche synthetische Pestizide (Cyhalothrin-λ und Dimethoate) sowie als dritte Gruppe nicht behandelte Pflanzen. Untersuchungskriterien waren zum einen die Effektivität der Schädlingsbekämpfung, zum anderen die Zielgenauigkeit der Wirkung. Je zielgenauer ein Pestizid wirkt, desto geringer ist deren Auswirkung auf Nichtzielorganismen, also auf andere Lebewesen in der Nähe der behandelten Pflanzen. Schädlingsbekämpfung hat oftmals einen Einfluss auf natürliche Nahrungsketten. Für die Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln ist die Zielgenauigkeit daher sehr wichtig. In der Studie wurde der Einfluss der Pestizide auf zwei natürliche Fressfeinde der Blattläuse, den vielfarbigen Asiatischen Marienkäfer (Harmonia axyridis) und die gemeine Blumenwanze (Orius insidiosus) untersucht.
Im Labor wurden zunächst Sojapflanzen mit den sechs verschiedenen Pestiziden behandelt und die Blumenwanzen und Marienkäfer mit den pestizidbehandelten Sojapflanzen sowie mit der unbehandelten Kontrollgruppe in Kontakt gebracht. Die Experimente konnten zeigen, dass die beiden bewährten synthetischen Pestizide für die beiden Nützlinge, Marienkäfer und Blumenwanzen, am giftigsten wirkten. Weniger toxisch wirkten die beiden biologischen Pflanzenschutzmittel und die neuen synthetischen Wirkstoffe. Jedoch hatten die biologischen Mittel im Labor eine giftigere Wirkung auf die Nützlinge als die neuen synthetischen Wirkstoffe.
Um die Ergebnisse zu überprüfen, wurden Freilandexperimente auf vier Sojafeldern durchgeführt. Für jedes Pestizid sollte der Environmental Impact Quotient (EIQ), also der ökologische Fußabdruck, berechnet werden. Dieser ermöglicht eine Einschätzung der Umweltauswirkungen eines Pestizids. Dieser Wert bezieht sich auf die Giftigkeit eines Stoffs für Schädlinge, Nutzinsekten und andere Tiere und Pflanzen, für den Menschen sowie für Boden und Wasser.
Im Freiland zeigten das konventionelle Pestizid Dimethoate und die beiden biologischen Pflanzenschutzmittel die größten Umweltauswirkungen. Die Auswirkungen des biologischen Mineralölpestizids waren aufgrund der nötigen höheren Dosierung sogar etwa 10-mal größer als die von Dimethoate. Zudem erbrachten die biologischen Mittel im Vergleich zu den nicht behandelten Pflanzen die geringste Schutzwirkung. Gleichzeitig wirkten sie am wenigsten selektiv, töteten also neben den Schädlingen auch die Nutzinsekten.
Intelligentes Schädlingsmanagement
Aus ihren Ergebnissen schlussfolgern die Forscher, dass es eher kontraproduktiv ist, biologische Pflanzenschutzmittel generell als umweltfreundlicher zu betrachten. Vielmehr sei es notwendig, die Umweltauswirkungen jedes einzelnen Pestizids, egal ob konventionell oder biologisch, genau zu untersuchen. Ein gut durchdachtes Schädlingsmanagement versucht, mit geringem Umwelteinfluss gezielt die Schadinsekten zu bekämpfen und die Nutzinsekten als eine natürliche Schädlingskontrolle zu erhalten.
Je nach regionalen Gegebenheiten, den verwendeten Sorten und der wirtschaftlichen Zielstellung kann es sinnvoll sein, eine rein ökologische oder eine konventionelle oder auch eine integrierte Landwirtschaft zu betreiben. Die integrierte Landwirtschaft setzt je nach Bedarf, Standortbedingungen und Sorten die optimale Schädlingsbekämpfung ein und kombiniert so die Vorteile des ökologischen Landbaus (z.B. Biodiversität, Regionalität) mit denen der konventionellen Landwirtschaft (z.B. höhere Erträge). Sie beschränkt sich also nicht von vornherein auf nur biologische oder nur konventionelle Mittel.
Verbraucher zahlen gern ein bisschen mehr Geld für Lebensmittel aus ökologischem Anbau, weil sie glauben, diese verursachten einen geringeren ökologischen Fußabdruck als konventionelle Produkte. Die Studie zeigt, dass dies in Bezug auf das Schädlingsmanagement nicht immer so sein muss. Um möglichst geringe Umweltauswirkungen der landwirtschaftlichen Produktion zu gewährleisten, fordern die Wissenschaftler daher eine unideologische Diskussion, die sich bei der Bewertung von Produkten auf wissenschaftliche Fakten beruft.
Quelle:
Christine, Bahlai et al. (2010): Choosing Organic Pesticides over Synthetic Pesticides May Not Effectively Mitigate Environmental Risk in Soybeans. PLoS ONE 5(6): e11250. doi:10.1371/journal.pone.0011250
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