Wenn Kälber schon im Mutterleib zu schnell wachsen

Das extreme Wachstum von Kälbern im Mutterleib und die damit verbundenen Folgen stellten lange Zeit Forscher und Züchter gleichermaßen vor dauerhafte Probleme. Zahlreiche Studien zeigten zudem, dass das Wachstum von Säugetieren im Mutterleib auch erheblichen Einfluss auf ihr Leben nach der Geburt hat.

Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie in Dummerstorf ist in Zusammenarbeit mit Forschern des Helmholtz Zentrums München, der Technischen Universität München und japanischen Forschern eine wegweisende Entdeckung zu den erblichen Grundlagen unterschiedlichen fötalen Wachstums im Mutterleib gelungen. Sie identifizierten genetische Mechanismen bei Rindern, die für wesentliche Veränderungen in der vorgeburtlichen Wachstumsphase verantwortlich sind.

Erstmals wurde eine Genvariante im so genannten NCAPG-Gen auf dem Rinderchromosom 6 entschlüsselt, die signifikant die Entwicklung von Föten im Mutterleib beeinflusst (siehe HINTERGRUND). Die zentralen Ergebnisse der Studie zu den Grundlagen des fötalen Wachstums beim Rind werden in der aktuellen November-Ausgabe der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift Genetics (http://www.genetics.org) veröffentlicht. Eine Zusammenfassung des Artikels kann unter http://www.genetics.org/cgi/content/abstract/183/3/951 abgerufen werden.

„Die Veränderung im NCAPG-Gen ist entwicklungsgeschichtlich relativ jung, allerdings bei vielen Rassen verbreitet. Über die Funktion dieses Gens, das bei niederen Organismen wie der Fruchtfliege maßgeblich an der Zellteilung beteiligt ist, war bislang bei Säugetieren noch nichts bekannt“, erläutert Privatdozentin Dr. Christa Kühn vom Forschungsbereich Molekularbiologie des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie.

Im Zentrum der Untersuchungen stand die Frage, welche genetischen Veränderungen für ein hohes Gewicht von Rinderkälbern im Mutterleib ausschlaggebend sind. Ein zu hohes Gewicht führt häufig dazu, dass die Tiere unter schwierigen Bedingungen oder nur noch tot geboren werden. Nun ist es erstmals möglich, über einen Gentest eine Genvariante nachzuweisen, die es ermöglicht, künftig eine gezielte Selektion an Tieren vorzunehmen. Mit dieser Auswahl sollen Kälber mit zu hohen Geburtsgewichten vermieden werden (siehe HINTERGRUND). Die Ergebnisse sind damit für Fragen des Tierschutzes und auch für Züchtungsaspekte in der Rinderproduktion relevant. Darüber hinaus gibt die Studie wichtige Hinweise für die weitere Grundlagenforschung. So hat das extreme Wachstum von Föten häufig erhebliche Konsequenzen für das Leben nach der Geburt. Beim Menschen fördert diese Entwicklung beispielsweise Diabetes oder auch Fettleibigkeit.

Das Leibniz-Institut für Nutztierbiologie zeichnete sich federführend in diesem Projekt. Neben der Konzeption beinhaltete dies die Erfassung der Phänotypen (Erscheinungsbild, Summe aller Merkmale), die genetische Typisierung und auch die Auswertung der Ergebnisse. Die Studie ist wiederum ein Teilprojekt des bereits seit zehn Jahren laufenden Projektes SEGFAM, das die ursächlichen Mechanismen für Unterschiede im Wachstum und der Milchabgabe (Laktation) bei Rindern erforscht. Die Untersuchung zeigt zudem beispielhaft, wie sich die Mission des Instituts, anwendungsorientierte Grundlagenforschung zu betreiben, umsetzen lässt. Am Anfang stand mit der Bearbeitung des hohen Geburtsgewichts von Rindern ein anwendungsbezogenes Problem im Zentrum. Indem neue, möglicherweise wesentliche Mechanismen zur Regulation des fötalen Wachstums beleuchtet werden, wird gleichzeitig auch ein Beitrag zur Grundlagenforschung geleistet.

Die Forschung zum NCAPG-Gen beim Rind, wird künftig in zwei Richtungen fortgesetzt. Es werden einerseits die Einsatzmöglichkeiten von Gentests in der Praxis vertiefend analysiert. Dazu sind bereits Kooperationen mit verschiedenen Rinderzuchtverbänden angelaufen. Andererseits geht es darum weitere Grundlagenuntersuchungen durchzuführen, um mehr über die Funktionsweise des NCAPG-Gens bei Säugetieren zu erfahren.

HINTERGRUND – Ablauf der Studie
Charolais-Bullen und Deutsche Holstein-Kühe, die miteinander gekreuzt wurden, bilden die Basisgeneration (P0) für die spezifisch erstellte Untersuchungspopulation (= Ressourcenpopulation). Über Besamung und Embryotransfer (= Übertragung von befruchteten Eizellen eines Spendertieres auf Empfängertiere) entstand die erste Nachkommengeneration (F1), die wieder durch Verpaarung untereinander mittels Besamung und Embryotransfer zur zweiten Nachkommengeneration (F2) fortgeführt wurde. Empfängermütter beider Nachkommengenerationen waren Deutsche Holstein. Die Gewinnung und der Transfer aller Embryonen erfolgten am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie, in dem auch alle Kälber geboren wurden.

Nach Erstellung der Ressourcenpopulation erfolgte zunächst die erste grobe Identifizierung der für das Wachstum von Föten wichtigen Regionen im Genom des Rindes. Dabei zeichnete sich schnell das Rinderchromosom 6 als ganz wesentlich ab. Der anfangs nur grob eingegrenzte Bereich auf dem Chromosom wurde in einem nächsten Schritt feinkartiert. Anschließend wurde durch die Einbeziehung weiterer wissenschaftlicher Studien, die Analyse der zuvor erstellten Genkarten sowie durch Hinweise der beteiligten Wissenschaftler aus Japan und München das NCAPG-Gen identifiziert. In diesem wurde dann systematisch nach Genvarianten gesucht. Unter ihnen fand sich im Ergebnis die mit dem Wachstum im Mutterleib verknüpfte Mutation (relevante dauerhafte Veränderung des Erbgutes), die das Wachstum der Föten maßgeblich beeinflusst.

Foto FBN: Unter der Federführung des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie ist es erstmals gelungen, genetische Eigenschaften bei einem Rind zu identifizieren, die für wesentliche Veränderungen im Wachstum eines Fötus verantwortlich sind.

Mehr Infos sowie das Inhaltsverzeichnis der aktuellen Genetics-Ausgabe unter: http://www.genetics.org/content/vol183/issue3/?etoc

Das Leibniz-Institut für die Nutztierbiologie in Dummerstorf wurde 1993 als eine Stiftung öffentlichen Rechts gegründet und ist eine Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft. Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören zurzeit 86 Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen für die Forschung sowie drei assoziierte Mitglieder. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten strategisch und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Bund und Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam.

Ansprechpartner
Leibniz-Institut für Nutztierbiologie
Forschungsbereich Molekularbiologie
PD. Dr. Christa Kühn
Wilhelm-Stahl-Allee 2, 18196 Dummerstorf
T +49 38208 68 70 9
F +49 38208 68 70 2
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