Proteinreiche Kartoffel gegen Unterernährung
Weltweit leiden nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) rund 925 Millionen Menschen an Unterernährung. Die überwiegende Mehrheit davon (etwa 850 Millionen) lebt in Entwicklungsländern.
Bausteine des Lebens
Proteine (Eiweiße) geben der Nahrung ihren Nährwert. Sie sind daher elementare Bestandteile einer ausgewogenen und gesunden Ernährung. Eiweiße bestehen aus Aminosäuren und sind ein Grundbaustein aller Zellen. Sie verleihen der Zelle ihre Struktur und sind die molekularen „Maschinen“, die Stoffe transportieren, chemische Reaktionen katalysieren und Signalstoffe erkennen. Für die Proteinsynthese im Körper sind 21 verschiedene Aminosäuren nötig. Da der Mensch nur 10 dieser Aminosäuren selbst herstellen kann, ist er darauf angewiesen, die anderen mit der Nahrung aufzunehmen. Eine eiweißarme Mangelernährung kann schwere Folgen haben: sie beeinträchtigt die physische und psychische Entwicklung von Kindern, schwächt das Immunsystem, kann krank machen und sogar zum Tod führen.
Für die Mehrheit der ärmeren Weltbevölkerung sind Reis, Mais, Hirse oder Kartoffeln wichtige Grundnahrungsmittel. Milch und Fleisch, als hochkonzentrierte Proteinquellen, stellen hingegen eine Ausnahme auf dem Speiseplan dar. Viele Kulturpflanzen enthalten ein eingeschränktes Eiweißmuster, was Qualität und Quantität angeht. Nur wenige Pflanzen besitzen alle lebensnotwendigen, also essentiellen Aminosäuren. Um Mangelerscheinungen einer eiweißarmen Ernährung zu bekämpfen, versuchen Forscher Kulturpflanzen zu züchten, die mehr Proteine als ihre natürlichen Verwandten enthalten – bislang mit mäßigem Erfolg.
Kartoffel gegen Eiweißmangel
Indischen Wissenschaftlern ist es nun gelungen, eine besonders eiweißreiche Kartoffel zu entwickeln. Sie schleusten in die Knolle ein Gen des zur Familie der Fuchsschwanzgewächse gehörenden Amaranthus ein. Der Amarant ist eine der ältesten jedoch heute selten angebauten Kulturpflanzen. Im Vergleich zu herkömmlichen Kartoffelsorten erhöhte das AmA1-Gen (Amaranth Albumin1) die Eiweißproduktion in der Knolle um bis zu 60%. Frühere Studien konnten bereits zeigen, dass die Produktion einzelner Aminosäuren in Pflanzen durch genetische Veränderungen erhöht werden kann. Jedoch führten diese Veränderungen häufig zu einer gleichzeitigen Reduzierung anderer Aminosäuren. Das AmA1-Gen erwies sich als sehr ausgewogen, da es die Produktion diverser Aminosäuren erhöht, ohne dabei andere Aminosäuren in ihrer Konzentration zu verringern.
Performanceunterschiede
Die genetischen Unterschiede zwischen Kartoffelsorten und die Standortbedingungen, unter denen sie wachsen(Bodenqualität, Klima etc.), wirken sich direkt auf Ertrag und Nährwert der Kartoffeln aus. Eine neue Kartoffelgeneration kann daher nur dann wirtschaftlich erfolgreich sein, wenn sie unter verschiedenen Bedingungen gleichbleibend gute Erträge und Eiweißgehalte verspricht. Für ihre Experimente nutzten die Forscher daher sieben an unterschiedliche Klimata angepasste Kartoffelsorten.
In Labor-, Gewächshaus- und Freilandversuchen verglichen die Wissenschaftler Wachstum, Protein- bzw. Aminosäuregehalt, Phänotyp und andere Eigenschaften der neuen „Eiweißkartoffel“ mit herkömmlichen Kartoffelpflanzen. Dabei konnten sie in der äußeren Erscheinung (Phänotyp) keine Unterschiede zwischen den genetisch veränderten Pflanzen und den unveränderten Kontrollpflanzen feststellen. Aufschluss über den Eiweißgehalt der Pflanzen brachte die Analyse des in den Knollen gebundenen Stickstoffs. Die genetisch veränderten Kartoffeln wiesen im Vergleich zu konventionellen Kartoffeln einen je nach Sorte um 35-60% erhöhten Proteingehalt auf. Die Gehalte der Aminosäuren in der Knolle waren zudem deutlich höher als bei den Vergleichspflanzen. Dieser Anstieg konnte sogar bei den Aminosäuren Lysin, Tyrosin und Schwefel festgestellt werden, die in Kartoffelknollen sonst nur in sehr geringem Maße enthalten sind. Die Wissenschaftler stellten bei den genetisch veränderten Pflanzen weiterhin eine erhöhte Photosyntheserate (+27%) und einen Anstieg der Biomasseproduktion (7-20%) fest. Im Vergleich zum Wildtyp fielen die Ernteerträge bei den neuen Eiweißkartoffeln zudem um 15-25% höher aus.
Lebensmittelsicherheit
Um mögliche schädliche Auswirkungen der genetisch veränderten Knollen einschätzen zu können, überprüften die Forscher die Lebensmittelsicherheit der neuen Kartoffel in Tierexperimenten. Ihr Resultat: nach Verzehr und Kontakt konnten bei Ratten und Hasen keine allergischen oder toxischen Reaktionen festgestellt werden.
Zwischen Euphorie und Skepsis
Die Strategie der Forscher ging auf: ihnen gelang es, ein effizientes, schnelles und Genotyp-unabhängiges Verfahren zu entwickeln, mit dem der Proteingehalt in Kartoffeln deutlich erhöht werden kann. Ihre Ergebnisse sprechen für eine vielversprechende neue Kartoffelzüchtung mit dem Potential, die Unterernährung in bestimmten Teilen der Welt zu lindern. Ob die neue Kartoffel zukünftig den Weg auf den Teller der Weltbevölkerung findet, bleibt jedoch abzuwarten. Hierzu sind noch weitere Tests zu Performance im Feld, zu Fragen der biologischen Sicherheit und der Lebensmittelsicherheit nötig. In zahlreichen Ländern und insbesondere in Europa überwiegt die Skepsis bei gentechnisch veränderten Nahrungspflanzen. Die Akzeptanz der Verbraucher entscheidet somit auch über das Marktpotenzial der eiweißreichen Kartoffel.
Quelle:
Subhra Chakraborty et al. (2010): Next-generation protein-rich potato expressing the seed protein gene AmA1 is a result of proteome rebalancing in transgenic tuber. In: PNAS, Vol. 107, no. 41, S. 17533-17538, doi: 10.1073/pnas.1006265107 (abstract).
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