Aspern: Ein Stadtentwicklungsprojekt auf Weltklasseniveau
Auf einem verlassenen Flugfeld am nordöstlichen Stadtrand von Wien schafft Österreich eine Versuchsumgebung für Technologien, die Städte energieeffizienter machen könnten.
Heute, rund zwei Jahre nach Baubeginn, ist auf dem Flugfeld eine Kleinstadt entstanden – vielleicht die erste Kleinstadt überhaupt, die gebaut wurde, damit Wissenschaftler und Stadtplaner erforschen können, wie das Zusammenspiel von Gebäuden, erneuerbaren Energiequellen, lokalen Stromverteilnetzen und dem gesamten Stromnetz optimiert werden kann, um die Effizienz zu maximieren und den Gesamtenergieverbrauch zu minimieren.
Die als „Aspern – Die Seestadt Wiens“ bekannte neue Technologiehochburg könnte wichtige Erkenntnisse für andere Städte bringen. Der Kampf gegen den Klimawandel muss in den Städten ausgefochten und gewonnen werden, denn sie sind für 75 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und 85 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Das 240 Hektar umfassende Gebiet von Aspern ist eines der größten europäischen Stadtentwicklungsprojekte. Rund 3.420 Wohnungen, Teile eines Bildungscampus, ein Wohnheim und ein Forschungszentrum für die Analyse moderner Fertigungstechniken (siehe Infobox rechts) wurden bereits fertiggestellt.
Bis 2028 soll Aspern rund 8.500 Wohnungen, 20.000 Arbeitsplätze und ein Gewerbegebiet besitzen – nur 25 U-Bahn-Minuten vom Wiener Stadtzentrum entfernt. Auch der Hauptbahnhof von Bratislava (Slowakei) ist sehr gut zu erreichen. Die Zugfahrt dauert gerade einmal 28 Minuten.
Energieeffizienz in der Stadt messen
Aspern ist nicht einfach nur ein großes Stadtentwicklungsprojekt, sondern ein Joint Venture zwischen der Stadt Wien, den städtischen Versorgungsunternehmen (Wien Energie und Wiener Netze) sowie Siemens, dem einzigen Industriepartner des Projekts. Mit diesem Joint Venture im Wert von 40 Millionen Euro hebt sich Aspern von Dutzenden anderer Großprojekte weltweit ab.
Ein koordinierter Forschungsplan, der von Siemens Corporate Technology (CT) und den Siemens-Divisionen Energy Management und Building Technologies vorangetrieben wird, soll die Stadt zu einer Versuchsumgebung für die Integration von Technologien machen, die Energieeffizienz und nachhaltige Stadtentwicklung fördern.
Wien ist zwar bereits die Nummer Eins beim Livable Cities Index der Vereinten Nationen und steht ganz oben auf der Top-10-Liste der „Smart Cities on the Planet“, doch die Stadt will ihren ökologischen Fußabdruck weiter verringern. Um diesem Ziel deutlich näher zu kommen, muss der aktuelle Stand in Sachen Energieeffizienz zunächst objektiv bestimmt werden. Dieser erste Schritt ermöglicht die Messung der Verbesserungen über einen bestimmten Zeitraum hinweg.
Genau das hat Siemens in Aspern vor. Das Unternehmen hat ein dreiteiliges Paket zusammengestellt. Die wichtigsten Bestandteile sind Technologien für das Energiemanagement in intelligenten Gebäuden, Lösungen für das Niederspannungsnetz – das Stromverteilungssystem von Transformatoren bis zu den einzelnen Gebäuden und Wohnungen – sowie Lösungen zur Verwaltung der großen Datenmengen, einschließlich der Einrichtung eines städtischen Rechenzentrums. Im Gegensatz zu fast allen anderen großen Stadtentwicklungsprojekten müssen in Aspern alle Elemente dieser Systeme, egal von welchem Hersteller, miteinander kommunizieren, um Daten austauschen zu können.
Das 240 Hektar umfassende Gebiet von Aspern ist eines der größten europäischen Stadtentwicklungsprojekte.
Wenn Gebäude sprechen
Doch diese Herausforderung zu meistern, hat ihren Preis, zumindest bei der Anstoßfinanzierung. Daher übernimmt das Aspern Joint Venture die Kostendifferenz zwischen konventionellen und intelligenten Komponenten sowie die Installation zahlreicher Systeme für erneuerbare Energien. Aus demselben Grund werden diese Systeme zunächst nur in eine repräsentative Auswahl der Gebäude eingebaut.
Um möglichst viel über die Optimierung des Energieverbrauchs zu lernen, fördert das Joint Venture die Installation unterschiedlicher Technologie-Kombinationen, von Photovoltaik-Modulen und Wärmepumpen bis zu unterschiedlichen Energiespeicherlösungen. Die Forschung konzentriert sich nicht nur auf die Optimierung des Energieverbrauchs in den Gebäuden, sondern auch auf das Potenzial der Gebäude, flexibel Energie zu erzeugen und ins Netz einzuspeisen.
Dazu werden zwei Systeme benötigt. Zum einen ein gebäudeeigenes Energiemanagementsystem (Building Energy Management System – BEMS), das in regelmäßigen Abständen den Energieverbrauch eines Gebäudes und den Grad der Energieflexibilität misst, zum anderen ein Energiepool-Manager, der als Schnittstelle zwischen den einzelnen Gebäuden und einer Strombörse fungiert.
Mit der ausdrücklichen Genehmigung von über 100 Haushalten werden nun Daten für dieses Forschungsprojekt gesammelt, unter anderem zum Stromverbrauch, zur Luftqualität und zur Raumtemperatur, und mit Daten aus dem Stromnetz sowie Informationen über das Echtzeitwetter und öffentliche Veranstaltungen zusammengeführt.
Zudem wird Asperns neues Niederspannungsnetz, das aus 12 Netzstationen und 24 Transformatoren besteht, mit einem Netzwerk aus Sensoren für die Echtzeitmessung der Netzwerkdaten ausgestattet. Schließlich werden alle von diesen Systemen generierten Daten in einem städtischen Rechenzentrum verarbeitet. Das Aspern Joint Venture analysiert, welche Arten des Technologiemixes am effizientesten sind und wie der jeweilige Mix das Verhalten der Endverbraucher beeinflusst. Von dieser hochmodernen Kombination von IT-Infrastrukturen versprechen sich die Joint Venture Partner Einblicke in die Wechselbeziehungen zwischen den zugrundeliegenden Systemen. So soll das umfassende Dienstleistungsangebot verbessert werden.
Hybride Daten besser verstehen können
Es wird jedoch alles andere als einfach sein, diese Wechselbeziehungen zu interpretieren. So ist die Überwachung eines Niederspannungsnetzes prinzipiell ein neues Forschungsgebiet. Wissenschaftler fangen bereits an, die vom Gebäudemanagement bereitgestellten Daten auszuwerten, um die Beziehungen zwischen den Variablen und die sowohl das Netz als auch die Gebäude betreffenden Faktoren zu verstehen. Dafür müssen wiederum spezielle Algorithmen entwickelt werden, die die neuen Daten auswerten können. Die daraus resultierenden Informationen werden besonders wichtig sein, da ein hoher Integrationsgrad der erneuerbaren Energiesysteme erreicht werden soll. Daher werden die Forscher analysieren, welche Auswirkungen unterschiedliche Energiequellen in verschiedener Kombination und unter wechselnden Wetterbedingungen auf das Netz und die Gebäude haben – mit dem Ziel, die Prognosen zu optimieren und die Energieeffizienz kontinuierlich zu erhöhen.
Zu den vielen Besonderheiten des „lebenden Labors“ von Aspern gehört auch, dass die Kosteneffizienz seines Stromnetzes nicht auf einem klassischen bedarfsgesteuerten System beruht. Stattdessen soll der Strom weitestgehend lokal erzeugt, gespeichert und verbraucht werden. Die nächste Forschungsebene konzentriert sich auf die verbesserte Interaktion der lokalen Energieerzeugung und -nachfrage mit dem intelligenten Niederspannungsnetz. Dadurch wird die Energiekoordination zwischen Gebäuden und dem Netz ermöglicht.
Zu diesem Zweck wird in Gebäuden, die mit den energiesparenden Technologien des Aspern Joint Ventures ausgestattet sind, ein spezielles Gebäudemanagementsystem die Koordination der Energieversorgung von den Photovoltaik- oder Solarthermie-Anlagen zu den gebäudeeigenen Wärmepumpen übernehmen. Die Systeme können das leisten, indem sie Daten aus der Prognose des Energieverbrauchs, der Energieerzeugung und dem Speichermanagement nutzen – eine große Herausforderung für die Datenintegration.
Kurz gesagt ist Aspern auf dem besten Weg, ein besonders wichtiger Prüfstein für intelligente Stromnetze zu werden – ein lebendes Labor, in das Gebäude, Produktionsanlagen und multi-modale Energiesysteme integriert sind und das den abschließenden Beweis erbringt, dass eine Smart City wirklich funktionieren kann.
Arthur F. Pease
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