Bauen mit Textilbeton aus nachwachsenden Rohstoffen
Deutschlands Brücken sind marode. Nach Angaben des TÜV Rheinland ist jedes zweite Bauwerk betroffen. Die Konstruktionen aus Stahlbeton sind korrosionsanfällig. Schäden am Bewehrungsstahl sind zu dem Zeitpunkt, zu dem sie von außen sichtbar werden, weit fortgeschritten.
Künftig sollen Risse im Beton und rostender Stahl der Vergangenheit angehören: Ingenieure und Architekten setzen auf Textilbeton, ein korrosionsfreier Baustoff mit hoher Lebensdauer, der die gleichen statischen Eigenschaften von Stahlbeton aufweist. Zudem zeichnet er sich durch Materialstärken von nur wenigen Zentimetern aus.
Filigrane Leichtbauten sind möglich, die textile Bewehrung passt sich nahezu jeder Geometrie an. Neben Brücken eignet sich der Werkstoff auch für Fassaden und Decken. Designer nutzen ihn für Sitzmöbel oder Skulpturen.
Das Geheimnis des Materials: Ein Hochleistungsbeton, der anstatt durch Stahl, mit Carbon-, Glasfaser- oder Kunststoffgeweben verstärkt ist. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer WKI in Braunschweig wollen diese Fasern durch ein Textil ersetzen, das auf nachwachsenden Rohstoffen basiert und so zum Umwelt- und Klimaschutz beitragen.
Dabei setzen sie auf einheimische Produkte, konkret auf Flachs, der sich im Spinn- oder Webverfahren weiterverarbeiten lässt. Je nach Bauteilanforderung ergänzen die Forscher den Flachs durch einzelne Stränge aus Polymerfaser und kreieren so ein Mixgewebe. Gewebt wird der Materialmix von den Forscherinnen und Forschern des Anwendungszentrums für Holzfaserforschung HOFZET® des Fraunhofer WKI.
Mit Hilfe einer Doppelgreifer-Webmaschine mit Jaquardaufsatz, die in Europa einzigartig ist, sind die Experten in der Lage, innovative Leichtbau-Verbundmaterialien mit komplexen, anwendungsspezifischen Gewebestrukturen und integrierten Funktionen herzustellen.
Die Maschine ermöglicht es, herkömmliche und nachhaltige Materialien wirtschaftlich effizient und technisch komplex zu kombinieren. Damit es nicht verwittert, kommt ein Hochleistungsbeton zum Einsatz, dessen Gefügedichtheit die Fasern praktisch vollständig vor schädlichen Einflüssen schützt. Zudem wird das gewebte Textil mit natürlichen Harzen modifiziert.
Resistent gegen schädliche Umwelteinflüsse
Das Flachstextil wird lagenweise in das jeweilige Bauteil eingebracht. Da die Steifigkeit des Textils einstellbar ist, lässt es sich in die gewünschte Form legen. Denkbar sind etwa gekrümmte Formen wie Kuppeln oder gerundete Wandelemente. Anschließend wird der flüssige Beton auf das Textil gegossen. Der Beton ist eine Eigenentwicklung des Zentrums für leichte und umweltgerechte Bauten, kurz ZELUBA®, im Fraunhofer WKI.
Bei der Entwicklung wurde besonderes Augenmerk darauf gerichtet, nur geringe Mengen an Primärrohstoffen zu verwenden, um ökologische Nachhaltigkeit zu erreichen. Der Materialmix besteht aus einer sehr feinen Gesteinskörnung, Wasser, Betonzusatzstoffen sowie Betonzusatzmitteln sowie aus der Textilbewehrung aus Flachs.
»Der Textilbeton aus Flachs ist höherwertiger als der in Stahlbetonbrücken verbaute Beton. Die Matrix, also das Gefüge, ist so dicht, dass schädliche Substanzen nicht in den Baukörper eindringen können. Somit ergibt sich eine deutlich höhere Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten«, sagt Jan Binde, Wissenschaftler im ZELUBA®.
Verbundwerkstoff mit hoher Lebensdauer
Die Kombination aus Flachs und Beton erwies sich in Tests als idealer Verbundwerkstoff, die Ergebnisse hinsichtlich Dauerhaftigkeit und Tragfähigkeit des neuartigen, umweltschonenden Textilbetons sind positiv. »Die Naturfaser verzahnt sich sehr gut mit dem Baustoff, was auch daran liegt, dass wir steuern können, wie sich das Gewebe im Beton verankert. Die spezifische Oberfläche des Textils lässt sich einstellen«, so der Forscher.
Der Textilbeton aus nachwachsenden Rohstoffen ermöglicht leichte, schlanke Brückenkonstruktionen, die auch von Kraftfahrzeugen überquert werden können. »Eine Stahlbetonbrücke mit einer Spannweite von 15 Metern wäre etwa 35 bis 40 Zentimeter dick, das Pendant aus Flachs hingegen würde mit zwölf bis 16 Zentimeter deutlich flacher ausfallen. Die Materialeinsparung ist beträchtlich. Geringe Schichtdicken sind möglich«, so Binde. Der innovative Baustoff wird permanent optimiert, eine bauaufsichtliche Zulassung steht noch aus.
Auf der Messe BAU vom 14. bis 19. Januar 2019 in München zeigen der Wissenschaftler und seine Kolleginnen und Kollegen den Prototyp einer flachsfasergestützten Brücke ohne Stütze mit einem Querschnitt von fünf Zentimetern, die auf Widerlagern auf Holz aufliegt (Fraunhofer-Gemeinschaftsstand, Halle C2, Stand 528).
https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2018/oktober/bauen-mit-t…
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