Wohngruppen unter der Lupe – Gute Nachbarn konsumieren ökologisch

Mischformen zwischen privaten und öffentlichen Räumen fördern nachhaltige Konsummuster, wie es im Quartier Rummelsburger Bucht angestrebt wird. <br>Foto: TU Berlin

Eine funktionierende Nachbarschaft und ein positives „Wir-Gefühl“ beeinflussen nachhaltig das Konsumverhalten der Bewohner eines Wohngebietes. Das ist das Ergebnis eines umfassenden Forschungsprojektes an der TU Berlin. Dazu muss die Architektur ein Wohnumfeld schaffen, das das soziale Leben eines Quartiers fördern hilft. Wohlbefinden und Wohnzufriedenheit begünstigen ressourcenschonendes Konsumverhalten. Speziell das „Müllverhalten“ wird stark durch die Nachbarschaft geprägt.

Die Notwendigkeit, das Konsumverhalten einzelner Wohngruppen genauer zu untersuchen, ergibt sich schon allein daraus, dass 30 bis 40 Prozent der Umweltbelastungen in Deutschland auf den privaten Konsum zurückzuführen sind. Allein durch den Kauf und Gebrauch von zehn ausgewählten Produkten wie z.B. Herde und Spülmaschinen, Pkw oder Waschmaschinen werden nahezu zwei Drittel der Materialströme in Deutschland erzeugt. Obwohl das Problembewusstsein bei der Bevölkerung stark gestiegen ist, mangelt es noch an Möglichkeiten, umweltbewusstes Konsumverhalten zu beeinflussen und zu fördern.

Welchen konkreten Einfluss die direkt erlebte Wohnumgebung auf das Konsumverhalten ihrer Bewohner hat, untersucht das interdisziplinäre Projekt „Die Bedeutung von Wohngruppen für die Bildung nachhaltiger Konsummuster“ der TU Berlin. Seit Anfang 1998 bis Ende September 2001 wird das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 900.000 DM finanzierte Projekt von Wissenschaftlern der verschiedensten Fachrichtungen unter Leitung des Sozialpsychologen Prof. Dr. Hans Joachim Harloff durchgeführt. Beteiligt sind Architekten, Ökonomen und Psychologen sowie niederländische Wissenschaftler.

Als Untersuchungsgebiete wurden zwölf Berliner und zum Vergleich zwei niederländische Wohnquartiere ausgewählt. In Berlin sind diese Wohnquartiere über das ganze Stadtgebiet verteilt und unterscheiden sich deutlich in Größe, Art, Alter und Sozialstruktur der Häuser sowie der Bewohnerschaft.

Im ersten Teilbereich des Projektes gingen die TU-Wissenschaftler zunächst der Frage nach, unter welchen Bedingungen soziale Netze in der Wohnnachbarschaft überhaupt entstehen können. Herauszufinden, wie diese sozialen Netze das Konsumverhalten der Bewohner der ausgewählten Häuser und Siedlungen beeinflussen, war dann ein nächster Schritt. Rund 80 Bewohner und Bewohnerinnen der einzelnen Quartiere wurden dazu von Psychologen der TU Berlin interviewt.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Ursachen für umweltschonendes oder umweltschädigendes Verhalten offensichtlich nicht nur bei einzelnen Personen liegen. Vielmehr hängen die gebaute Umwelt und die alltäglich erfahrene Wohnumgebung mit dem Entstehen nachhaltiger Konsummuster eng zusammen.

Die Auswertung des Datenberges von mehreren tausend Seiten ergab ein deutliches Bild davon, dass sich in sozial schwachen Gebieten, wie es beispielsweise das Quartier Pulvermühle an der Oberhavel ist, kaum soziale Netze aufbauen. Viele Bewohner fühlen sich hier von den anderen gestört oder grenzen sich ab.

Auf diese Art könne kaum ein nachbarschaftlicher Kontakt zwischen den Anwohnern entstehen. Das Wohlbefinden im Wohnumfeld sei gering und dies führe wiederum dazu, dass mit den gemeinsam nutzbaren Flächen nicht sorgsam umgegangen wird. Anders sieht es dagegen in der ebenfalls neuen Siedlung in der Rummelsburger Bucht aus. Das soziale Niveau, Bildung und Einkommen liegen hier deutlich höher. Nicht zu unterschätzen ist auch der Faktor Zeit. Denn ein Minimum an Zeit gehört dazu, um mit der Nachbarschaft in Kontakt zu treten. Arbeitslosigkeit bzw. viel verfügbare Zeit fördere dagegen wegen anderer Begleiterscheinungen – dazu kann auch der Alkoholismus gehören – nicht die erstrebenswerten Kontakte in der Nachbarschaft.

In einem funktionierenden sozialen Netz wird durch Nachbarschaftshilfe der Alltag oft leichter, da Dienste wie Babysitten, Schlüsseldienste oder Blumengießen während der Abwesenheit gegenseitig übernommen werden. In einem intakten Wohnumfeld ist die Vereinsamung der Bewohner auch deutlich geringer, so die TU-Wissenschaftler.

Wichtige Voraussetzung für den Aufbau und das Funktionieren eines sozialen Netzes sei die ähnliche Interessenlage der Bewohner. So wird sich eine Familie mit Kindern vom spielenden Nachwuchs fremder Eltern weniger gestört fühlen als Personen ohne Kinder oder mit schon erwachsenen Töchtern und Söhnen. Die TU-Wissenschaftler betonen auch, dass der Architektur eine zentrale Aufgabe bei der Entstehung der sozialen Netze zukomme. Die Ergebnisse dieses Projektes werden in Kooperation mit Wohnungsbaugesellschaften, Stadtplanern und Vertretern der kommunalen Verwaltungen diskutiert, um Interventionsmethoden entwickeln und erproben zu können. Abschließend werden Handlungsempfehlungen für Architekten, Wohnungsbauunternehmen, Konsumentenvereinigungen, Verbände und Kommunen abgegeben. Aus dem Projekt sind bzw. werden mehrere Diplomarbeiten sowie Dissertationen und eine Habilitation hervorgehen.

Datenbank
Ansprechpartner: Prof. Dr. Hans Joachim Harloff (Psychologie), Prof. ir. Kees Christiaanse (Architektur), Dr. Gabriele Wendorf (Wirtschaftswissenschaften), Prof. Dipl.-Ing. Klaus Zillich (Architektur).
Kontakt: Koordinator: Dr. Hans-Liudger Dienel, Zentrum Technik und Gesellschaft TU Berlin (ZTG), Hardenbergstr. 4-5, 10623 Berlin, Tel. 030/314-21406, E-Mail: dienel@ztg.tu-berlin, Internetseite: http://www.wohnach.tu-berlin.de
Forschungsgebiet: Psychologie, Architektur, Ökonomie
Forschungsprojekt: „Die Bedeutung von Wohngruppen für die Bildung nachhaltiger
Konsummuster“
Finanzierung: Bundesministerium für Bildung und Forschung

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Ramona Ehret

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