Besser gewappnet gegen den Tsunami
Völlig zerstörte Einfamilienhäuser, ineinander verkeilte Schiffe zwischen Gebäuden, meterhohe Trümmer vor den Toren einer Lagerhalle, unterspülte Mauern – der durch ein Erdbeben ausgelöste Tsunami vom 28. September 2018 traf die indonesische Stadt Palu mit voller Wucht. Wissenschaftler der Technischen Universität Braunschweig, aus Kanada, USA und Japan haben die Schäden vor Ort dokumentiert und die Auswirkungen auf Infrastruktur und Gebäude untersucht. Ziel ihrer Studien ist es unter anderem, in Baurichtlinien die Bemessungsansätze für Tsunami-sichere Städte zu verbessern.
Der Erdbeben-Tsunami mit einer Welle zwischen etwa zwei und sieben Metern verwüstete weite Teile der Stadt Palu und andere Orte an der Küste. Vor Ort sahen die Wissenschaftler, wie durch die Flutwelle die Waren mehrerer Lagerhallen großflächig verteilt wurden und sich an tragenden Gebäudestützen anhäuften. Dadurch waren die Säulen stark belastet und stürzten oftmals ein.
Diese Ansammlungen von Trümmerteilen, auch als „Debris Dam“ bezeichnet, sah das Forschungsteam in Palu ebenso bei Schiffen: So drückte der Tsunami zwei ineinander verzahnte Schiffe zwischen zwei Gebäude. Die hydrodynamische Belastung wurde über die Schiffe auf die Gebäude weitergeleitet und gleichzeitig der Wasserstand vor den Schiffen erhöht. „Beide Effekte führen zu einem Anstieg der Bauwerksbelastungen, der bisher noch nicht in den Baurichtlinien berücksichtigt wurde und daher weiter untersucht werden muss“, so Clemens Krautwald, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leichtweiß-Institut für Wasserbau (LWI) der TU Braunschweig, der gemeinsam mit seinem kanadischen Kollegen Jacob Stolle einen Monat nach der Tsunami-Katastrophe für die Felduntersuchungen nach Asien reiste. Grundlage sind die amerikanischen Baurichtlinien „Minimum Design Loads and Associated Criteria for Buildings and Structures“ (ASCE 7-16, 2017) der American Society of Civil Engineering (ASCE). Sie gelten weltweit als Maßstab für die Bemessung von tsunami-sicheren Bauwerken. Forschungslücken und offene Fragestellungen zu Belastungen von Bauwerken durch Tsunami decken die Wissenschaftler in zwei kürzlich in Fachzeitschriften erschienenen Veröffentlichungen auf.
So wirken sich nicht nur umherschwimmende Trümmer und mögliche hydrodynamische Belastungen auf die Standfestigkeit von Bauwerken nach einer solchen Katastrophe aus. Als weiteres Problem nennt Clemens Krautwald die Kolkbildung, also die Entstehung einer wassergefüllten Vertiefung, an Gebäudestrukturen. Das betrifft zum Beispiel Stahlbetonkonstruktionen, die in Palu zwar überwiegend intakt blieben, jedoch nach dem Tsunami weniger stabil waren, da tragfähiger Boden verloren ging.
Auskolkungen an Gebäudeecken, umströmten Pfeilern und hinter überströmten Mauern haben die Wissenschaftler in Indonesien vermessen. Dabei konnten die Forschenden beobachten, dass Gebäudestrukturen unterschiedlich im Boden verankert waren, je nach Bodenzusammensetzung. „Während einer Tsunamiüberschwemmung wird ein hoher Druck aufgebaut, der sich auf das Wasser in den Poren im Boden überträgt. Fällt der Druck aufgrund des vorübergegangenen Tsunamis abrupt ab, muss der Boden diesen überschüssigen Druck abbauen. Nachteilige Bodenzusammensetzungen können den Druckabbau verhindern, sodass verstärkt Erosionen oder Kolkungen entstehen“, so Clemens Krautwald.
Diese Prozesse können zwar in Felduntersuchungen beschrieben und deren Schäden begutachtet, jedoch nicht immer mit verlässlichen Messwerten belegt werden. Sie sind jedoch notwendig, um zu wissen, wie tief beispielsweise die Pfeiler einer Brücke in den Boden gebaut werden müssen.
Wissenschaftliche Untersuchungen zu derartigen Fragestellungen erfordern die Wiederholbarkeit der Prozesse in großskaligen Versuchseinrichtungen, beispielsweise im Großen Wellenkanal (GWK) des Forschungszentrums Küste (FZK) der TU Braunschweig und der Leibniz Universität Hannover. Deshalb hat ein internationales Forschungsteam, bestehend aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Leichtweiß-Instituts für Wasserbau der TU Braunschweig, des Ludwig-Franzius Instituts der Leibniz Universität Hannover sowie der University of Ottawa in Kanada, Experimente zur Kolkbildung bei Tsunami um pfeilerartige Strukturen durchgeführt. Die zeitliche Entwicklung der Porenwasserdrücke und der Kolktiefen während einer Tsunami-ähnlichen Überschwemmung stellt eine Forschungslücke dar, die mit diesem Forschungsvorhaben weiter untersucht wird. Nach der Versuchsreihe im GWK sind weitere Experimente in der Versuchshalle des LWI geplant.
Im Magazin der TU Braunschweig gibt es einen Einblick in die Versuche mit Tsunami-ähnlichen Wellen inklusive Videos:
https://magazin.tu-braunschweig.de/m-post/tsunami-im-wellenkanal/
Publikation
Stolle, J., C. Krautwald, I. Robertson, H. Achiari, T. Mikami, R. Nakamura, T. Takabatake, Y. Nishida, T. Shibayama, M. Esteban, I. Nistor, and N. Goseberg: “Engineering lessons from the 28 September 2018 Indonesian tsunami: debris loading”. Canadian Journal of Civil Engineering (CJCE). 2020, 47(1): 1-12.
https://doi.org/10.1139/cjce-2019-0049
Krautwald, C., J. Stolle, I. Robertson, H. Achiari, T. Mikami, R. Nakamura, T. Takabatake, Y. Nishida, T. Shibayama, M. Esteban, N. Goseberg and I. Nistor: “Engineering Lessons from the 28 September 2018 Indonesian Tsunami: Scouring Mechanisms and Effects on Infrastructure”. Journal of Waterway, Port, Coastal and Ocean Engineering. https://doi.org/10.1061/(ASCE)WW.1943-5460.0000620
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Nils Goseberg
Technische Universität Braunschweig
Leichtweiß-Institut für Wasserbau
Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau
Beethovenstraße 51a
38106 Braunschweig
Tel.: 0531 391-3930
E-Mail: n.goseberg@tu-braunschweig.de
www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku
Clemens Krautwald
Technische Universität Braunschweig
Leichtweiß-Institut für Wasserbau
Abteilung Hydromechanik, Küsteningenieurwesen und Seebau
Beethovenstraße 51a
38106 Braunschweig
Tel.: 0531 391-3967
E-Mail: c.krautwald@tu-braunschweig.de
www.tu-braunschweig.de/lwi/hyku
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