Die Stadt wird zur Bühne und Häuser zu Leinwänden

Prof. Hannelore Deubzer erforscht die Wirkung des Lichts in der Architektur. Andreas Heddergott / TUM

Welchen Einfluss hat Licht auf unsere Wahrnehmung?

Hannelore Deubzer: Wenn Sie im Restaurant sitzen und ein schönes Glas Rotwein auf dem Tisch stehen haben, ist es das Licht, dass es so wirken lässt. Eine Theke im Supermarkt wird speziell ausgeleuchtet, damit die Ware frisch wirkt. Es wäre naiv zu glauben, dass es an der Wursttheke aufhört. Die Werbung nutzt natürlich genauso Lichteffekte.

Wie wird Licht in der Architektur genutzt?

Deubzer: Zuallererst geht es um die Wirkung des Tageslichts. Weil es das Licht ist, das wir alle brauchen. Ich kann nicht irgendwo bauen und anderen das Licht wegnehmen. Da gibt es Verabredungen in der Gesellschaft, wie weit der Abstand sein soll, um die Qualität des Objektes und der Räume im Objekt zu sichern. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich mit künstlichem Licht jedoch noch eine zusätzliche Dimension eröffnet. Durch die neuen Leuchtmittel sind enorme Möglichkeiten entstanden, gerade durch LED-Leuchtmittel.

Woran denken Sie dabei?

Deubzer: Es gibt zum Beispiel die organischen Leuchtdioden. In einem dunklen Raum könnten Sie mit dieser Technik Fenster simulieren und den Tageslichtverlauf nachstellen. Daran sehen Sie, dass wir uns in Extremen bewegen. Es ist viel möglich. Aber was nützt uns das? Wohin führt uns das? Ist das ein Fortschritt? Die Stadt wird so langsam zur Bühne und Häuser zu Leinwänden. Als die Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron in Hamburg eröffnet wurde, war sie fast zur Karikatur verfälscht, durch diese wahnsinnigen Lichter. Das war zu viel. Es geht heutzutage oft nicht mehr um das bewusste Erfahren, sondern um das Erlebnis.

Was ist der Unterschied zwischen Erfahren und Erleben?

Deubzer: Ein Erlebnis ist für mich etwas, was einen kurzzeitigen Halt bedeutet, eine Ablenkung, einen Zeitvertreib. Erfahrung ist das Gegenteil. Das ist etwas, wodurch jemand eine Erkenntnis gewinnt. Ein sehr viel anstrengender, bewusster, konstruktiver Prozess. Wenn die Balance zwischen beiden nicht stimmt, wird es kritisch.

Wenn wir die Allianzarena nehmen, zählt diese eher zu einem Erlebnis?

Deubzer: Wenn Sie so wollen, ist sie ein Jahrmarkt. Da gibt es einen Riesenunterschied zum Olympiastadion, das eine ganz andere Aussage trägt. Die Allianzarena ist visuell kaum verbunden mit dem Ort. Sie ist wie ein großer Zirkus, wo Zelte hingestellt werden, in denen die Aufführungen stattfinden und das Ensemble dann weiterzieht. Diese Stimmung ist spürbar. Deshalb ist Architektur so spannend: Sie ist Ausdruck von etwas. Die Allianzarena ist ein erstaunliches Objekt, weil sie genau diese Stimmung einer unterhaltsamen Nebensache ausdrückt.

Sie hatten das Olympiastadion als Beispiel für eine Erfahrung erwähnt. Was ist dort so besonders?

Deubzer: Das Olympiastadion ist eingebettet in eine große Landschaftserzählung, in diese wunderbare Landschaft von Grzimek. Das Stadion begleitet diesen großen Atem der Landschaft. Aus diesem Grund ist es mit dem natürlichen Licht verbunden. So wie das Licht während des Tages über diese schöne Parklandschaft zieht, so begleitet es auch diese bauliche Maßnahme, die unter anderem ein offenes Dach hat. Das prägt sich ein, mit einem extrem hohen Erinnerungswert. Diese großartigen Eindrücke zu vermitteln, das ist Aufgabe der Architektur.

Wenn ein Architekt etwas plant, muss er also zunächst überlegen, welche Wirkung er erzielen will und dann bedenken, welches Licht dazu passt?

Deubzer: Genau. Der Prozess ist extrem langwierig. Ein Künstler ist nur sich selbst verpflichtet, kann provozieren, machen was er will – bei uns ist es anders. Was wir machen, muss brauchbar sein, muss genutzt werden können, das ist das allererste, zu dem wir uns verpflichten. Wichtig ist auch, wer der Bauherr ist, woher kommt die Initiative, was steht für eine Absicht dahinter, in welchem Zusammenhang wird eine zusätzliche Nutzung gefordert. Diese analytische Leistung, die ganz am Beginn jedes Entwurfsprozesses steht, ist außerordentlich wichtig, denn darauf gründet dann die Empfehlung, die wir geben hinsichtlich der räumlichen Umsetzung eines Programms. Bei jedem Satz, den ich spreche, bei jedem Musikstück gibt es ein Thema, gibt es einen Rhythmus und eine Struktur. Erst wenn diese vorhanden ist steht, fangen wir an, über die baulichen Mittel nachzudenken, die wir einsetzen, um eine ganz bestimmte Aussage zu erzielen. Licht ist eines der wesentlichen Ausdrucksmittel, ohne Licht keine Architektur.

Wohin entwickelt sich die Baukultur in Deutschland momentan?

Deubzer: Bei den Gebäuden, die im 19. Jahrhundert entstanden sind, gab es Bauherren, deren eigene Biographie in die Bauprojekte eingeflossen ist. Das ist heute anders. Es gibt im Städtebau vor allem große Investoren. Dadurch entsteht eine Art Gebrauchsarchitektur. Vieles, was uns umgibt, ist nicht mehr spezifisch, sondern Sie finden es überall. Ich denke, das hat viel mit unserer Gesellschaft zu tun. Wir leben ja nicht mehr in eng begrenzten Lebensräumen. Ich konnte mir vor Jahren nicht vorstellen, warum eine Hotelkette an jedem Flughafen das gleiche Hotel baut. Die Leute, die um die Welt reisen, wollen immer im gleichen Zimmer aufwachen. Mit Architektur im eigentlichen Sinn hat das aber nichts mehr zu tun.

Bilder zur redaktionellen Verwendung:
https://mediatum.ub.tum.de/1364610

Kontakt:
Prof. Dipl.-Ing. Hannelore Deubzer
Technische Universität München
Lehrstuhl für Raumkunst und Lichtgestaltung
hannelore.deubzer@tum.de
+49 (89) 289 – 22502

Media Contact

Dr. Ulrich Marsch Technische Universität München

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