Rohrkolben als Baumaterial

Entwurf eines Aussichtturms
Foto: Hochschule Biberach

Architektur-Studierende entwerfen Pavillons für die Landesgartenschau Günzburg.

Rohrkolben sind unkomplizierte Multitalente: sie wachsen schnell, gedeihen selbst in verunreinigten Feuchtgebieten gut und aufgrund ihrer Zellstruktur wirken sie, als Baumaterial verwendet, Feuchtigkeitsregulierend auf das Raumklima. Diese Eigenschaften machen die Pflanze zum idealen Rohstoff für eine ressourcenschonende Architektur. Unter der Leitung von Prof. Benedikt Bosch haben sich zehn Architektur-Studierende seit dem Sommersemester 2023 mit dieser Aufgabenstellung befasst und Entwürfe für einen Pavillon auf der Landesgartenschau Bayern 2029 in Günzburg entworfen. Zum Ende dieses Semesters wurden die Ergebnisse nun an der Hochschule in einer nachhaltigen PopUp-Ausstellung präsentiert.

Prof. Benedikt Bosch und seine Studierenden. Dalfina Aliu (2. von links) und Yasemin Yayla (3. von links) haben im Gespräch von ihren Entwürfen und ihrer Vorgehensweise berichtet.
Prof. Benedikt Bosch und seine Studierenden. Dalfina Aliu (2. von links) und Yasemin Yayla (3. von links) haben im Gespräch von ihren Entwürfen und ihrer Vorgehensweise berichtet. Foto: Hochschule Biberach

Wenn im Jahr 2029 in Günzburg die Landesgartenschau Bayern stattfindet, könnte dort u.a. ein Pavillon der Hochschule Biberach (HBC) präsentiert werden. Entwickelt und entworfen von Studierenden des Bachelor-Studienganges Architektur, aufgebaut als reales Bauwerk. Die Klasse von Professor Benedikt Bosch hat sich seit dem Sommersemester 2023 mit dieser Aufgabenstellung befasst, zum Ende dieses Semesters haben sie ihre Ergebnisse an der Hochschule präsentiert.

Benedikt Bosch geht es dabei um „Visionen für eine ressourcenschonende Architektur“ und so wählte er als Materialvorgabe den Rohrkolben, biologisch Typha. Die Pflanze bietet besondere Eigenschaften und damit entscheidende Vorteile, wenn es um nachhaltiges Bauen geht: Rohrkolben wachsen schnell, besonders gut gedeihen sie in Feuchtgebieten und sogar in verunreinigten Gewässern. Die Stängel und Blätter der Pflanze bestehen aus einer einzigartigen Struktur aus luftgefüllten Kammern und faserigem Gewebe, die besonders belastbar sind. Und: Die Zellstruktur der Rohrkolben können Feuchtigkeit aufnehmen und speichern; als Baumaterial verwendet, wirkt sich die Pflanze also regulierend auf das Raumklima aus. Zudem sind die Kolben von Natur aus schwer entflammbar. „Ein wahres Wunderwerk der Natur“, sagt Prof. Bosch, der gespannt war, wie seine Studierenden „das Material Rohrkolben entwurfsbasiert erforschen und Pavillons für die Bayerische Landesgartenschau entwerfen“.

Entstanden sind neun Arbeiten, die nun innerhalb einer Ausstellung am Campus Stadt präsentiert wurden; zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Arbeiten auch in Günzburg gezeigt werden. Auch dies war Bestandteil der Aufgabenstellung: ein Ausstellungskonzept, das ebenfalls nachhaltig sein und wofür kein Material verschwendet werden sollte. Die Studierenden entschieden sich für eine Konstruktion aus Holz und Seilen. Das überdimensionale Modul wurde nicht verschraubt, sondern vertaut, das Holz ist Eigentum des Studienganges und geht nach Abbau der Ausstellung unversehrt zurück zur Verwendung für weitere Projekte. Auf großen Papierbahnen präsentierte die Architekt*innen-Gruppe ihre Ideen und Pläne; auch fein gearbeitete Modelle stellten sie in den Modulen aus. So konnten die Besucher*innen eine Vorstellung entwickeln, wie das Material Rohrkolben bautechnisch verarbeitet werden kann und wie es ästhetisch wirkt.

Rohrkolben Modelle

Die Studentinnen Dafina Aliu und Yasemin Yayla (inzwischen beide im 7. Semester) beschreiben im Gespräch, wie die Gruppe vorgegangen ist und welche unterschiedlichen Ergebnisse entstanden sind. Zunächst stand die Recherche an, deren Ergebnisse sie später in Vorträgen vorstellten: Was für eine Pflanze ist die Typha, welche Eigenschaften kennzeichnen sie und vor allem: Gibt es Referenzprojekte an anderen Architektur-Fakultäten und Instituten? Die gibt es, wenn auch nur wenige. Als Pioniere auf diesem Gebiet gelten der Münchner Architekt Werner Theuerkorn gemeinsam mit Prof. Manfred Lux (Detmolder Schule für Architektur), auch das Fraunhofer Institut für Bauphysik erforscht die Verwendung von Rohrkolben und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt unterstützt die Nutzung als Baustoff.

Die Biberacher Studierenden orientierten sich für ihre Überlegungen auch an vergleichbaren Materialien, zum Beispiel Stroh, das als Dämmstoff verwendet werden kann. So kommt Stroh als dämmende Ausfachung in Holzständerwerken zum Einsatz, berichtet Yasemin Yayla. Auch der Vergleich zum Reetdach wurde gezogen und entsprechend adaptiert. Am Ende verfolgte jede*r Student*in die eigene Idee, die Rohrkolben wurden konstruktiv für Wand, Decke oder Dach verwendet, „das Material wurde gestapelt, geflochten und statisch wirksam eingesetzt“, erläutert Dafina Aliu.

Rohrkolben Entwurf Turm

Die Studentin hat sich bei ihrem Entwurf – einen Aussichtsturm – dafür entschieden, mit dem Material in die Höhe zu bauen. Dafür hat sie ein tragendes Konstruktionsprinzip entwickelt, das sie schichtweise stapeln kann. Um die gestapelten Ballen vor Regen zu schützen, sieht sie auskragende Holzdecken vor, die gleichzeitig als Aussichtsplattformen genutzt werden. Yasemin Yayla hat sich für einen anderen Weg entschieden. Ihr Pavillon ist eine kuppelartige sich selbsttragende Konstruktion, die auf dem Prinzip des „Tensegrity“ basiert. Hierbei werden die Stiele des Rohrkolbens gebündelt und auf Druck belastet. Wiederum eine andere Idee stammt von ihrer Kommilitonin Leonie Strobel, die die Typha-Pflanze zu Ballen verpresst und diese stapelt. Ihre zentrale Idee für den Pavillon sind Bögen, die sie analog zur klassischen Mauerbauweise anordnet.

Wie Professor Benedikt Bosch auf Rohrkolben als Baumaterial gekommen ist? Zum einen gilt die Pflanze als innovativ und besonders nachhaltig. Gleichzeitig ist das Potenzial der Typha noch nicht hinreichend erforscht, es gibt also viel zu entdecken. Auch geht es Bosch, der an der HBC eine Professur für Konstruktion und Entwerfen innehat, um einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele: die Renaturierung von Mooren. Neunzig Prozent aller Moore in Deutschland, so Bosch, wurden in der Vergangenheit trockengelegt. Allein in Bayern gibt es über 900 000 Hektar Moorgebiete, knapp 3 Prozent der Landesfläche, auch entlang der Donau bei Günzburg, dem Ort der nächsten bayerischen Landesgartenschau, liegt ein Moorgebiet. Werden sie wieder vernässt, werden die Gebiete zu Kohlenstoffspeichern, erklärt Benedikt Bosch, auch könnten sie dann landwirtschaftlich genutzt werden. „Rohrkolben wiederum wachsen in diesen renaturierten Mooren schnell heran – die Pflanze kann geerntet und als Baumaterial sowie als Dämmstoff genutzt werden. Wie vielfältig die Anwendungen sind, zeigen die Entwürfe unserer Studierenden“, freut er sich über die gelungenen Arbeiten seiner Architektur-Klasse.

Entwurfsarbeiten von:

Dafina Aliu
Jana Fetzer
Korbinian Gaull
Verena Hofmayr
Jana Reich
Leonie Strobel
Jan-Luca Sutter
Yasemin Yayla
Seray Ofelya Yumak

Planung und Aufbau der Ausstellung:

Dafina Aliu
Tahir Bhatti
Verena Hofmayr
Hanna Morgana
Leon Rheker
Eva Maria Riess
Samuel Schweikle
Mareike Wiechert
Yasemin Yayla

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

boschb@hochschule-bc.de

Originalpublikation:

https://www.hochschule-biberach.de/rohrkolben-als-baumaterial-architektur-studie…

Media Contact

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