Sicherheitsplanung für urbane Gebiete vereinfacht

Risikoanalyse eines Stadtgebiets in Oslo. © Fraunhofer EMI

Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Städten. Laut einer aktuellen Prognose der UN wächst der Anteil der urbanen Weltbevölkerung bis 2030 auf etwa 60 Prozent. Dies entspricht einer Verdoppelung seit den 1950er Jahren. Die meisten Menschen werden dann Städter sein.

Eine ähnliche Entwicklung ist auch in Deutschland zu beobachten, und für die Zukunft gehen viele Experten von einer Verschärfung der Situation aus. Dennoch ist die zivile Sicherheit der Stadtbewohner aus städtebaulicher Sicht bisher ein Randthema gewesen. Angesichts von Klimawandel, Terrorismus oder sozialen Konflikten müssen sich Städteplaner umfassend und methodisch mit diesem Thema beschäftigen.

Das Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI aus Freiburg zeigt auf der Messe BAU 2017 mit VITRUV eine Software, mit der sich erstmals Sicherheitsaspekte in den Prozess der Stadtplanung direkt einbinden lassen. Die Forscher entwickelten die Software im gleichnamigen EU-Projekt.

Sie kann bereits in der Entwurfsphase die Struktur eines kompletten urbanen Gebiets auf Sicherheitsaspekte hin analysieren, um darin Schwachstellen zu identifizieren. Die Wissenschaftler konnten den Prozess der strukturellen Risikoanalyse radikal vereinfachen. Bislang ist die Vorgehensweise sehr komplex: Einzelne Gutachten und Expertenmeinungen müssen ausgewertet werden.

Schnell zum bestmöglichen Entwurf

VITRUV unterstützt Städteplaner in allen drei Phasen ihrer Arbeit. In der Konzeptphase wird eine schnelle Einschätzung der sicherheitsrelevanten Themen vorgenommen. In der Planungsphase liefert das Tool Erkenntnisse über Anfälligkeit, Schwachstellen und konkrete Risikobereiche. In der Detailplanung schließlich erarbeitet es konkrete Maßnahmen, um Risiken zu minimieren. Durch die iterative Vorgehensweise können Städteplaner ihre Entwürfe Schritt für Schritt optimieren, um sich schließlich für den bestmöglichen Entwurf zu entscheiden.

Während der Konzeptphase führt die Software eine empirische Risikoanalyse durch. Das Tool nutzt historische Daten, die es aus bestehenden Wissensdatenbanken wie beispielsweise Securipedia einholt, um die Anfälligkeit bestimmter Gebiete zu bewerten. Statistische Häufigkeiten visualisiert sie in Abhängigkeit der Bedrohungsart, des bedrohten Objekts, der Region und der Exposition.

Neuralgische Punkte identifizieren

In den beiden Planungsphasen analysiert VITRUV städtische Strukturen sowie einzelne Gebäude und liefert Erkenntnisse über die zu erwartenden Konsequenzen für Menschen, Gebäude und Infrastruktur im Schadensfall. »Mit der Software kann man für eine bestimmte Region alle Punkte, an denen etwas passieren könnte, durchspielen und die Ergebnisse überlagern«, sagt Dr. Alexander Stolz, Abteilungsleiter Sicherheitstechnologie und Baulicher Schutz am Fraunhofer EMI.

»Damit lassen sich die neuralgischen Punkte in der Stadtplanung identifizieren, an denen hohe Schäden entstehen könnten. Durch eine Umgestaltung der Struktur, beispielsweise durch eine neue Anordnung der Gebäude oder die Veränderung ihrer Nutzung, lässt sich das Risiko minimieren.«

Mögliche Schäden berechnet ein validiertes physikalisches Ingenieurmodell mithilfe einer quantitativen Risikoanalyse. VITRUV betrachtet dabei unterschiedliche Szenarien wie Erdbeben, Explosionen oder Terrorangriffe. Bei der Berechnung der möglichen Schäden sind für die einzelnen Gebäude oder Elemente der Verkehrsinfrastruktur unterschiedliche Leistungskriterien abrufbar, darunter die Anzahl der betroffenen Personen sowie strukturelle oder monetäre Schäden.

Urbane Resilienz verbessert

Die Software unterstützt Städteplaner auch dabei, passende Schutzmaßnahmen zu bestimmen. Eine ganze Reihe solcher Maßnahmen, die die Auswirkungen eines Vorfalls minimieren und die Wiederinbetriebnahme von Straßen oder Infrastrukturen optimieren können, sind bereits in der Software implementiert und liefern eine Grundlage für Kosten-Nutzen-Analysen seitens der Entscheidungsträger.

Durch die Maßnahmen lässt sich die urbane Resilienz, die Robustheit der Städte gegenüber Störungen, verbessern. Besonders durch letztere Eigenschaft lassen sich bestehende Infrastrukturen mit VITRUV optimieren. Städteplaner können einerseits Risiken identifizieren und quantifizieren, andererseits ermitteln, wie effektiv und wie teuer einzelne Verstärkungsmaßnahmen sind, um bestehende Gebäude gezielt zu verstärken.

https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2016/dezember/sicherheit…

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Birgit Bindnagel Fraunhofer Forschung Kompakt

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