Intelligente Fahrzeuge im Stadtverkehr der Zukunft

Versuch am Fahrsimulator zum Head-up-Display Uli Benz / TUM

Immer mehr Menschen zieht es in die Städte, gleichzeitig steigt auch das Bedürfnis, immer mobil sein zu können. Das Verbundprojekt „UR:BAN“ arbeitet an Möglichkeiten, den Verkehr in der Stadt sicherer und effizienter zu gestalten. Dabei befassen sich die 31 Partner aus Industrie und Forschung mit drei Hauptthemen: Kognitive Assistenz, Vernetztes Verkehrssystem und Mensch im Verkehr. „UR:BAN“ wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert.

Mensch und Maschine: Kommunikation ist alles

„Fahrerassistenzsysteme sollen den Menschen vor allem unterstützen, ohne von der Hauptaufgabe Fahren abzulenken“, erklärt Prof. Klaus Bengler vom Lehrstuhl für Ergonomie und Leiter der Projektsäule „Mensch im Verkehr“. Ziel im Projekt UR:BAN sei es, dass der Fahrer weiterhin aktiv am Verkehrsgeschehen beteiligt ist. Erkennen die Systeme aber, dass eine Kollision bald unvermeidlich ist und der Fahrer nicht reagiert, greifen sie ein, zum Beispiel mit einer Notbremsung. „Es ist eine der größten Aufgaben innerhalb des Forschungsprojektes, diesen Zeitpunkt richtig zu treffen.“

Wichtig ist vor allem eine optimale Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. „Im Umfeld des Verkehrsgeschehens steht mittlerweile ein bisher ungeahnter Umfang an Informationen zur Verfügung“, sagt Bengler. „Unterschiedliche Systeme wie die Routenplanung und die Kollisionsvermeidung müssen aufeinander abgestimmt sein und dürfen sich nicht gegenseitig dazwischen funken.“

Optische und haptische Informationen als Gesamtkonzept

Das Teilprojekt „Mensch-Maschine-Interaktion“ beschäftigt sich daher mit der Darstellung der Informationen. Am Lehrstuhl für Ergonomie arbeiten die Wissenschaftler an einem Informationssystem, in dem die Komponenten Head-up-Display, aktives Gaspedal und Instrumenten-Cluster aufeinander abgestimmt werden. Beim Head-up-Display wird die Information in die Scheibe eingespiegelt und schwebt damit sozusagen vor dem Fahrzeug. „Das hat viele Vorteile“, erklärt Bengler. „Der Fahrer muss seinen Blick nicht von der Straße abwenden und kann trotzdem die Informationen wahrnehmen.“

Die Darstellungen im Head-up-Display müssen übersichtlich angeordnet sein, daher teilten die Wissenschaftler die Anzeige in drei Cluster auf. Links werden dynamische Informationen wie die aktuelle Geschwindigkeit eingeblendet, in der Mitte Anzeigen der Fahrerassistenzsysteme, und im rechten Bereich ist die Navigation zu finden. Im Instrumentencluster werden zusätzlich Informationen wie die Tankanzeige oder die Motortemperatur angezeigt. Ergänzt werden diese optischen Hinweise mit haptischen Informationen, die durch ein aktives Gaspedal oder Lenkrad gegeben werden können. „Der Fahrer spürt, dass das Gaspedal verzögert und kann auf dem Display sehen, warum.“

Vernetzte Simulationswelten

Um sinnvolle Warnhinweise zu geben, müssen die Programme die Absichten des Fahrers und auch die anderer Verkehrsteilnehmer erkennen. Diese Daten können durch Beobachtungen oder Simulationen gesammelt werden.

Der Lehrstuhl für Ergonomie führt in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik Versuche mit Lkw- und Pkw-Simulatoren durch. Hier können die Forscher sehen, wann ein Fahrer ermüdet und seine Reaktionszeit sich verlängert oder wie die Probanden auf Ablenkung – etwa durch Kinder auf dem Rücksitz – reagieren. Der Lehrstuhl für Ergonomie entwickelt außerdem einen Fußgänger-Simulator, der das Verhalten dieser Verkehrsteilnehmer auch in Gefahrensituationen realistisch in der virtuellen Realität darstellen kann – und zwar ohne die Probanden wirklichen Risiken auszusetzen.

Um die Interaktion der Verkehrsteilnehmer zu untersuchen, haben die Forscher die Simulatoren vernetzt. Bengler: „So können Fußgänger in einem Laborraum den Fahrern von Fahrsimulatoren, die sich in einem anderen Raum befinden, in einer virtuellen Szene begegnen und wir können die Reaktionszeiten, das Blickverhalten und Verzögerungen in kritischen Situationen beobachten.“

Typisch Radfahrer

Der Lehrstuhl für Verkehrstechnik der TUM beschäftigt sich mit einem der wohl unberechenbarsten Verkehrsteilnehmer: dem Fahrradfahrer. Er bewegt sich schnell und fällt spontane Entscheidungen. Zum Beispiel wechselt er plötzlich von der Straße auf den Gehweg. Zudem gehören Radfahrer zu den sogenannten verletzlichen Verkehrsteilnehmern, sie sind bei einem Unfall besonders gefährdet.

Die Wissenschaftler beobachteten die Radler mithilfe von Kameras, die über verkehrsintensiven Kreuzungen installiert waren. „Uns interessiert ihr taktisches Verhalten, also wie sie sich in einer bestimmten Situation entscheiden“, erklärt Lehrstuhlinhaber Prof. Fritz Busch. Die Analyse der Verhaltensmuster von Fahrradfahrern ist eines von vier Teilprojekten, an dem der Lehrstuhl für Verkehrstechnik innerhalb von „UR:BAN“ beteiligt ist.

Die Forscher interessierte besonders, warum Radfahrer bestimmte Verhaltensweisen zeigen. Wechselt ein Radfahrer zum Beispiel verbotenerweise vom Radweg auf die Straße, weil er sieht, dass er so schneller vorankommt? „Mittlerweile ist es uns gelungen, eine Reihe von typischen Verhaltensweisen zu erkennen“, sagt Busch. Diese fließen in Simulationsmodelle ein. Entwickler von Fahr-Assistenzsystemen nutzen die Modelle, um konkrete Vorhersagen für das Verhalten von Radfahrern zu erstellen. Damit können sie überprüfen, ob ihr System in Gefahrensituationen entsprechend reagiert.

Grüne Welle für Lkw

Ein wenig mehr PS haben die Verkehrsteilnehmer eines weiteren Teilprojektes, an dem der Lehrstuhl forscht und der zur Projektsäule „Vernetzte Verkehrssysteme“ gehört. „Wir versuchen ein sogenanntes Pulk-Management für Lkw einzurichten“, erklärt Busch. Die Ampel-Schaltungen sollen dabei kurzzeitig so verändert werden, dass Lkw möglichst nicht vor einer roten Ampel stehen bleiben müssen. Dabei werden Pulks gebildet.

Dies funktioniert folgendermaßen: Erkennt das System zum Beispiel drei Lkw, die auf die Ampel zufahren, wird die Ampel möglichst so geschaltet, dass sie nicht schon nach dem ersten Lkw auf Rot schaltet, sondern möglichst alle drei Lkw durchfahren lässt. Dabei wird der Verkehr ganzheitlich betrachtet. Nur wenn es für die anderen Verkehrsteilnehmer nicht nachteilig ist, wird die Schaltung durchgeführt.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Lkw brauchen sehr viel länger, um zu beschleunigen als zum Beispiel zwei Pkw, die zusammen die gleiche Länge wie ein Lkw haben. Der Verkehr fließt also schneller. Auch Schadstoffemissionen und Lärm werden so verringert. In einer Pilotanwendung in Düsseldorf haben die Wissenschaftler bereits die technische Machbarkeit des Pulk-Managements gezeigt. Außerdem werden Simulationen durchgeführt, um die Wirkungen im größeren Umfang abzuschätzen.

Die Forschungsprojekte innerhalb von „UR:BAN“ zeigen, dass neue Technologien den Verkehr verändern werden. Doch müssen wir uns darauf einstellen, dass Autos bald ohne Mensch am Steuer durch die Straßen fahren? „Der Wandel wird nicht abrupt vonstatten gehen“, sagt Busch, der zusätzlich für das Teilprojekt „Simulation“ in der Projektsäule „Mensch im Verkehr“ verantwortlich ist. „Es handelt sich eher um eine Evolution als eine Revolution. Bis automatisiertes Fahren in Städten im größeren Stil stattfindet, werden meiner Meinung noch mehrere Jahre bis Jahrzehnte vergehen.“

Ansprechpartner:

Prof. Klaus Bengler
Technische Universität München
Lehrstuhl für Ergonomie
Telefon: +49 89 289 15400
E-Mail: bengler@tum.de
http://www.lfe.mw.tum.de/

Prof. Fritz Busch
Technische Universität München
Lehrstuhl für Verkehrstechnik
Tel: +49 89 289 22437
E-Mail: fritz.busch@tum.de
https://www.vt.bgu.tum.de/

https://mediatum.ub.tum.de/?id=1277874#1277874 Bilder zum Download
https://www.youtube.com/watch?v=RW4eRD1j2ek UR:BAN im Film (Youtube):Prof. Klaus Bengler erklärt das Teilprojekt „Mensch im Verkehr“
http://go.tum.de/518452 Mehr zum Thema Lkw-Pulkmanagement
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Dr. Ulrich Marsch Technische Universität München

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