Markenmanagement in der Automobilindustrie: Die Marke bildet das zukünftige Asset
Überzeugende Markencharaktere sind aus einem Guss. Die Modellflut bringt die Automarken an ihre Grenzen. Die Marken der Zukunft gehen stärker auf den Kunden zu.
Viele Entwicklungen in der Automobilbranche sorgen dafür, dass die Unternehmen die Konzepte ihrer Automarken neu überdenken müssen: Die zunehmend vergleichbare Technik erschwert die Differenzierung über das Produkt, die Kunden teilen sich in immer mehr Mikrosegmente. Die Modellflut droht die Marken zu überdehnen, neue Marken werden geschaffen und müssen in das Portfolio integriert werden, und die Vertriebs- und Servicelandschaft befindet sich im Umbruch. Für das automobile Markenmanagement entsteht aus diesen Entwicklungen dringender Handlungsbedarf. Das Bild der Automarken wird sich in den nächsten zehn Jahren radikal verändern. Automarken werden zu Mobilitätsmarken, die die Hälfte ihres Images auf Services zurückführen. Heute breit aufgestellte Marken werden sich auf ihren Ursprung zurückbesinnen. Insgesamt wird die Automarkenlandschaft bunter und vielfältiger, aber auch schärfer definiert und in ein Geflecht von Dach-, Sub- und Kooperationsmarken eingebunden.
Markenmanagement ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren in der Automobilindustrie. Gerade die deutschen Unternehmen haben in der Vergangenheit starke Automarken geschaffen, die weltweit zu den von Konsumenten meist geschätzten Marken gehören. Das schlägt sich natürlich auch im Wert nieder. Mercedes steht nach Markenwertuntersuchungen mit einem Wert von 21 Milliarden US-Dollar direkt hinter Marlboro auf Platz 10. BMW schafft Platz 19 mit 15 Milliarden US-Dollar, und VW hält immerhin Platz 42 mit knapp 7 Milliarden US- Dollar an Markenwert.
Um diesen Wert zu erhalten und weiter zu vermehren, haben die Autohersteller eigens Markenvorstände eingerichtet und betreiben einen hohen Aufwand, um die weitere Entwicklung ihrer Marken zu planen und voranzutreiben. Mit Erfolg, wie sich am Beispiel Opel zeigt: Die neue umfassende Markenstrategie, die sich auf alte Stärken der Marke zurückbesinnt, konnte das Unternehmen wieder auf Wachstumskurs bringen.
Branchentrends schaffen Handlungsbedarf
Bei allen Automobilherstellern führen eine Reihe unterschiedlicher Entwicklungen dazu, dass die Marke ganz oben auf der Management- Agenda steht: „Die traditionell über das Produkt definierte Markendifferenzierung ist in Gefahr. Die Konsolidierung der Zulieferindustrie, gemeinsame Entwicklungs- und Produktionsprojekte sowie die Gleichteilepolitik der Hersteller erlauben kaum noch technische Differenzierung, und wenn, dann oft nur noch für einen immer kürzer werdenden Zeitraum“, sagt Ralf Kalmbach, Managing Director und Automobilexperte bei Mercer Management Consulting. So muss die Differenzierung über andere, vom Kunden erlebbare Dimensionen erfolgen. Der deutliche Trend heißt hier „vom Produkt zum Kunden“, also von rein technischen Unterschieden zu solchen in der Erlebniswelt des Kunden, wie zum Beispiel im Service. Vorreiter ist hier derzeit die Marke Audi, die mit ihren Werkstatt- und Service-Centern neue Maßstäbe in der Kundenbetreuung setzt.
Die Massengesellschaft wird zur Individualgesellschaft. Traditionelle Kundensegmente werden immer kleiner, dafür bilden sich zahlreiche neue. Die Automobilindustrie antwortet mit einer enormen Modellvielfalt, die die Marken bis an ihre Grenzen dehnt und gleichzeitig den Wettbewerb unter den Automarken enorm intensiviert. Weil nicht alles unter den vorhandenen Markendächern positioniert werden kann, entstehen neue Marken, wie smart und Mini. Alte Marken werden reaktiviert, wie Maybach und Bugatti. Die ohnehin schon komplexe Abstimmung der Markenstrategien der großen Konzerne wird noch diffiziler.
Die Vertriebs- und Servicestrukturen sind im Umbruch: Unterstützt von der neuen GVO (Gruppenfreistellungsverordnung) wird sich die ohnehin stattfindende Neuordnung des automobilen Vertriebs beschleunigen. In naher Zukunft werden vor allem freie Multi-Marken-Händler, wie heute beispielsweise die Schwabengarage, und unabhängige Werkstattketten, wie Pit Stop, Autofit oder der Bosch Car Service, die Vertriebs- und Servicestrukturen nachhaltig verändern. Die Folgen für die Marken sind weit reichend – und betreffen nicht nur ihre Vertriebs- und Service-Strategien. In Kürze werden auch branchenfremde Markenartikler in der Lage sein, ein Auto auf den Markt zu bringen: Entwickelt bei Porsche, gebaut bei Valmet, vertrieben von Auto Nation und gewartet von Autofit, tritt möglicherweise bald das Camel-Auto gegen Land Rover und das Gucci-Auto gegen Mercedes an.
Die Marken der Zulieferer bahnen sich zunehmend einen Weg in das Bewusstsein der Verbraucher. Co-Branding gibt es bereits seit langem, etwa bei VW mit Recaro-Sitzen oder bei Audi mit Bose-HiFi. In Zukunft wird es immer mehr solcher Co-Branding-Ansätze geben, eventuell sogar bei der Technik („Bordelektrik von Bosch“ oder „Klima von Behr“).
Zurück zum Ursprung
Marken sind traditionell Orientierungspunkte in der Produktwelt. Als solche helfen sie den Kunden, schnell die richtige Entscheidung zu treffen. Aber darüber hinaus haben sie sich auch zu kulturellen Zeichen entwickelt, die die Menschen gezielt nutzen, um sozialen Status oder Lebenseinstellungen zu kommunizieren. „Die Entscheidung etwa zwischen Golf oder Astra ist bei den meisten Käufern weit weniger eine Abwägung darüber, welches Auto sich besser fährt, günstiger ist, zuverlässiger oder besser ausgestattet. Ihre Kaufentscheidung dreht sich vielmehr um die zentrale Frage, welches Bild sie als Besitzer des jeweiligen Autos in ihrer persönlichen Welt abgeben“, so Berater Kalmbach.
Damit das auf einer breiten Basis funktioniert, muss die Marke ein möglichst klares Profil haben. Die meisten Leute besitzen eine klare Vorstellung davon, wie beispielsweise ein VW oder ein Porsche zu sein hat.
Für die Automarken bedeutet das, wieder mehr auf die Erwartungshaltung der Kunden zu achten. Die Marke könnte die Erwartungen des Kunden sehr wohl weiterentwickeln, aber zuerst muss sie die Erwartungen des Kunden erfüllen. Ein Negativ-Beispiel ist beispielsweise der Opel Speedster: Ein Cabrio ohne Verdeck von einer Marke, deren wichtigste Eigenschaften von ihren Käufern als „praktisch, alltagstauglich und solide“ beschrieben werden. Die Devise muss daher lauten, den Markenkern wieder stärker zu betonen, statt ihn bis ins Unkenntliche zu dehnen.
„Derzeit dehnt vor allem der Cayenne die Marke Porsche sehr weit“, betont Kalmbach. Anders als beim ebenfalls VW-untypischen Phaeton, der die traditionellen Markenkunden nicht weiter stört, könnte der Cayenne das einmalige Sportwagenimage von Porsche verändern – und damit das Stammgeschäft mit dem 911 in Gefahr bringen. Als beispielhaft für die schrittweise Weiterentwicklung einer Marke bezeichnet Kalmbach dagegen die Entwicklung bei Audi, wo man sich über den 100 und 200 langsam in die Oberklasse bis zum A8 hinaufgearbeitet hat.
Die Marke braucht ein Gesamtkonzept
Der konsequente zweite Schritt nach der Rückkehr zum Markenkern ist die Umsetzung in eine stimmige und universale Marken-Orchestrierung. Ein solches Gesamtkonzept berücksichtigt alle relevanten Aspekte zur Bildung der Markenpersönlichkeit: Nicht nur Produkt, Werbung und Sponsoring müssen aus einem Guss sein und die Markenpersönlichkeit vermitteln, sondern auch Vertrieb und Kundenservice. Hier, an den „Points of Contact“, findet direkte Markenprägung in ihrer glaubwürdigsten Form statt: von Mensch zu Mensch. Aktuelle Mercer- Analysen zur Kundenzufriedenheit zeigen aber, dass zwischen 20 und 40 Prozent der Kunden mit dem Leistungsangebot in Vertrieb und Kundenservice unzufrieden sind. Die Zukunft gehört den Marken- Erlebniswelten. Mit der VW Autostadt oder der Gläsernen Manufaktur gehen hier viele Hersteller bereits in die richtige Richtung. Das Ziel muss ein umfassendes markenspezifisches Konzept sein, wie es sich vor allem bei den jungen Automarken bereits andeutet: beispielsweise im Lifestyle-Ansatz von Mini oder dem persönlichen Betreuungskonzept bei Maybach.
„Technik und Qualität des Fahrzeugs stehen in Zukunft nicht mehr allein im Mittelpunkt. Die technische und qualitative Angleichung der Autos macht eine Differenzierung über diese Faktoren zunehmend schwerer. Sie werden zu Selbstverständlichkeiten“, sagt Ralf Kalmbach, Leiter der weltweit tätigen Mercer Automotive Group.
Aber auch die Abstimmung von Marken untereinander wird immer wichtiger. Das gilt zunächst für das Markenportfolio innerhalb eines Konzerns. Schließlich sollen sich nicht alle Konzernmarken um die identifizierten Sweet Spots im Produktsortiment balgen und sich so gegenseitig kannibalisieren. Vielmehr müssen klare Grenzen gezogen werden, die sicherstellen, dass die gesamte Palette an Märkten und Käufern systematisch abgedeckt wird. Außerdem sollte systematisch die Zusammenarbeit mit Zuliefermarken geprüft werden: Einige Co- Brandings wie Audi/Bose oder VW/Recaro sind äußerst erfolgreich, andere wurden beendet, wie Mercedes-Benz/Becker.
Sieben Thesen zum Markenmanagement in der Automobilindustrie
1. Das Fundament jeder Markenpersönlichkeit bilden auch zukünftig Grundeigenschaften wie Qualität und Zuverlässigkeit – sie entwickeln sich aber mehr und mehr zu Selbstverständlichkeiten, die sich nicht allein zur Differenzierung gegenüber anderen Marken eignen.
2. An der Markenpersönlichkeit haben alle Bereiche eines Automobilunternehmens Anteil, von der Entwicklung über die Produktion bis zum Händler und zur Werkstatt. Markenmanagement ist deshalb eine umfassende Aufgabe.
3. Neben dem Produkt muss zukünftig der Kunde stärker in den Fokus des Markenmanagements rücken. Von vielen Automobilherstellern bereits erkannt, wurde diese Notwendigkeit bisher nur ansatzweise umgesetzt.
4. Die Kunden haben gegenüber einer Automarke feste Erwartungen. Sie bestimmen sich aus der Geschichte und den Grundwerten der Marke. Wird dieser Rahmen verlassen, werden die Kunden enttäuscht, und die Marke verliert ihre Authentizität und Glaubwürdigkeit.
5. Eine Markenpersönlichkeit ist nicht unendlich dehnbar, denn eine starke Marke braucht ein deutliches Profil. Die Zahl der Automarken wird deshalb weiter zunehmen, breite Marken werden sich wieder stärker fokussieren.
6. Zuliefermarken sind auf dem Vormarsch und werden zukünftig stärker eigenständig im Automobil auftreten. Die Hersteller müssen daher Wege finden, wie sie diese Marken in ein stimmiges Gesamtkonzept einbinden.
7. Die personalisierte und integrierte Kommunikation über Händler, Werkstatt und Direktmarketing wird für die Automobilmarken in Zukunft wichtiger, dafür nimmt die Bedeutung der Massenkommunikation ab.
Neues Markenmanagement-Buch von VDA und Mercer Zur IAA im September 2003 ist ein neues Buch erschienen, das die gesamte Bandbreite des Markenmanagements in der Automobilindustrie veranschaulicht: »Markenmanagement in der Automobilindustrie – Erfolgsstrategien internationaler Top-Manager« wurde herausgegeben von Prof. Dr. Bernd Gottschalk, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), und Ralf Kalmbach, Leiter der weltweiten Automotive Practice von Mercer Management Consulting.
Der erste Teil des Buchs behandelt das Thema Automobilmarke aus verschiedenen externen Blickwinkeln. Die Beiträge behandeln Themen wie Markenstrategien, Markenwert, Markentreue etc. Im zweiten Teil berichten zwölf Top-Manager über ihre Marke und die Arbeit an ihr. Zu Wort kommen Vorstandsvorsitzende, Geschäftsführer, Markenvorstände und Markenchefs von Audi, BMW, Bosch, DaimlerChrysler, Ferrari, Jaguar, Opel, PSA Peugeot Citroën, smart, VW, Volvo und ZF. Der abschließende dritte Teil fasst die Kernelemente erfolgreichen Markenmanagements zusammen und leitet daraus konkrete Handlungsempfehlungen für die Branche ab.
„Markenmanagement in der Automobilindustrie“ ist ein Buch aus der Praxis für die Praxis. Anhand von Fallstudien werden Erfolgsstrategien beschrieben, Vordenker aus Unternehmen, Beratung und Wissenschaft fassen die Kernelemente zusammen und leiten konkrete Denkanstöße für die Ausrichtung und Steuerung von Automobilmarken ab. So entstand ein Standardwerk für das automobile Markenmanagement auf nationaler und internationaler Ebene.
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