Im Zeichen der vier Ringe – Chemnitzer Historiker erforschen die Geschichte der Auto Union

Weltrekord: 406 Stundenkilometer fuhr Bernd Rosemeyer 1937 auf der Reichsautobahn Frankfurt a.M. - Darmstadt mit diesem Auto Union. Bei einem neuen Rekordversuch verunglückte er Anfang 1938 tödlich. Foto: Steinebach

In den dreißiger Jahren war sie nach Opel die größte deutsche Automobilfirma: die Auto Union mit ihren Marken Horch, Audi, DKW und Wanderer. Der Konzern war in Chemnitz ansässig, wo heute noch die Akten der Firma lagern. Jetzt haben Historiker der Chemnitzer Uni erstmals gründlich die rund 270 Regalmeter an Werbeprospekten, Plakaten, technischen Zeichnungen, Personalakten und auch Akten über den Zwangsarbeitereinsatz im Zweiten Weltkrieg gesichtet.

Er war so etwas wie der Michael Schumacher der dreißiger Jahre und ein Liebling der Frauen dazu: der Rennfahrer Bernd Rosemeyer. 1937 siegte er auf dem Nürburgring. Im Oktober des gleichen Jahres stellte Rosemeyer auf der kurz zuvor fertiggewordenen Autobahn Frankfurt-Mannheim mit über 400 Stundenkilometern einen Straßen-Weltrekord auf. Nach jedem Sieg gab’s eine rauschende Feier – im Chemnitzer Hof. Das Luxushotel gibt es noch immer, schräg gegenüber vom Hauptgebäude der Chemnitzer Uni an der Straße der Nationen. Bei einem neuen Rekordversuch am 26. Januar 1938 verunglückte Rosemeyer tödlich. Noch heute schmücken Rennsportfans die Unglückstelle regelmäßig mit frischen Blumen. Rosemeyers Wagen: ein Auto Union.

Kaum einer unter den Jüngeren kennt diese Automarke heute noch, und dabei war die Herstellerfirma in den dreißiger Jahren nach Opel der zweitgrößte deutsche Automobilproduzent. Ihr Marktanteil lag bei rund 25 Prozent. Rund 275 Millionen Reichsmark Umsatz erreichte die Auto Union AG 1938, 59.000 Motorräder und 67.000 Autos verließen die sieben Werke damals pro Jahr, 23.000 Menschen arbeiteten dort. Der Firmensitz der Auto Union AG: Chemnitz.

Eine viertel Million Mark für Chemnitz

Prof. Rudolf Boch von der Professur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Chemnitzer Universität und sein Mitarbeiter Dr. Martin Kukowski haben jetzt die Geschichte der Firma erforscht. Die Akten des untergegangenen Autobauers liegen nämlich im Sächsischen Staatsarchiv in Chemnitz, dem größten Wirtschaftsarchiv in den neuen Bundesländern. Finanziert wurden die Forschungen mit 250.000 Mark von der Auto Union GmbH, der Traditionsgesellschaft der Audi AG im bayerischen Ingolstadt. Tochter- und Muttergesellschaft sind nicht mit der früheren Auto Union AG identisch, sondern nach dem Krieg neugegründet worden. Die Audi AG besitzt aber noch die Namensrechte an den früheren Auto-Union-Gesellschaften.

Rund 270 laufende Regalmeter Akten der Auto Union, insgesamt fast 15.000 Bände, liegen in dem Chemnitzer Archiv: Werbeprospekte, Plakate, technische Zeichnungen, Fotos, Werksleiter- und Fabrikationsprotokolle und auch Material über den Einsatz von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs – der größte noch erhaltene Archivbestand einer deutschen Autofirma aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. All diese Papiere wurden nun mit Computerhilfe erfasst und ausgewertet. Die wichtigsten Dokumente wurden zudem auf Mikrofilm aufgenommen. Herausgekommen sind dabei zwei dicke „Findbücher“, die die beiden Wissenschaftler am 6. Oktober in Chemnitz vorstellen werden. Sie führen minutiös die noch erhaltenen Akten auf. Aus einem Protokoll von 1940 wissen die Forscher, dass ursprünglich sogar einmal 170.000 Bände vorhanden waren. Der größte Teil davon wurde allerdings im Zweiten Weltkrieg zur Papierherstellung benutzt. Der vorhandene Bestand reicht bis ins Jahr 1945, teilweise auch darüber hinaus.

Horch, da kommt ein Audi

Angefangen hatte alles mit August Horch. Der hatte zu Ende des vergangenen Jahrhunderts das Technikum Mittweida besucht, die heutige Hochschule für Technik und Wirtschaft. Nach seinem Examen ging der begabte Rheinländer zu Benz & Cie. nach Mannheim, wurde dort rasch Abteilungsleiter. Mit 31 Jahren gründete er seine eigene Autofirma, die 1904 nach Zwickau umzog. Als erster baute er Motoren und Getriebegehäuse aus Aluminiumguss, für das Getriebe selbst benutzte er hochfeste Stähle. Schnell galten die Horch – Autos als besonders zuverlässig, die Verkaufszahlen stiegen. Doch der geniale Autobauer verkrachte sich mit Vorstand und Aufsichtsrat seines Unternehmens und musste es 1909 verlassen.

Horch wäre nicht Horch gewesen, hätte er nicht auf der Stelle eine neue Autofabrik gegründet. Da die Namensrechte bei seiner ehemaligen Firma geblieben waren, verfiel er auf einen Trick: Er übersetzte einfach seinen Namen ins Lateinische – heraus kam „Audi“, der neue Markenname war geboren. Schnell gelangten die Audis zu Ansehen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg gewannen sie gleich dreimal hintereinander das schwierigste Langstreckenrennen der Welt, die Internationale Österreichische Alpenfahrt. Nach Kriegsende überraschte Horch seine Kunden abermals mit bahnbrechenden Neuerungen. So versetzte er das Lenkrad auf die linke Seite und den Gangschaltungshebel in die Mitte. Bis dahin waren alle Serienwagen mit Rechtslenkung ausgestattet. Ferner stattete er seine Audis mit einem Luftfilter und hydraulischen Vierradbremsen aus, Jahre vor anderen Autos. Die Zylinderzahl erhöhte sich von vier auf sechs und schließlich gar auf acht. Bei den „eigentlichen“ Horch-Werken konstruierte inzwischen Paul Daimler, ein Sohn des Autopioniers Gottlieb Daimler, die Motoren. Die Achtzylindertriebwerke galten als überaus zuverlässig und dienten vielen anderen Firmen als Vorbild. 1931 stellten die Horch-Werke auf dem Pariser Autosalon gar einen Zwölfzylinder vor, eingebaut in ein luxuriöses knallgelbes Cabrio – es galt schnell als schönster Wagen der Welt. Aber er hatte ein Problem: Es gab nicht genügend reiche Leute, die ihn sich leisten konnten. Nur 80 Exemplare setzten die Horch-Werke in zwei Jahren davon ab. Insgesamt verkaufte die Firma, deren andere Autos ebenfalls zur Luxusklasse gehörten, 1932 nur etwa 1.100 Horchs. Leben konnte das Unternehmen davon nicht – es schrieb tiefrote Zahlen.

Die Union der vier Ringe

Den Audi-Werken freilich ging es auch nicht besser. Bereits 1928 hatte Horch sie an DKW verkaufen müssen, einen weiteren sächsischen Autobauer. Die Zschopauer Firma gehörte dem Dänen Jørgen Skafte Rasmussen. Der hatte, ebenso wie Horch, in Mittweida am Technikum studiert. Anschließend machte er sich in Deutschland selbständig. Rasmussen hatte erkannt: Gefragt waren nicht großkalibrige Luxuslimousinen, sondern zuverlässige Kleinwagen mit Zweitaktmotor. Einen solchen Wagen ließ er bei Audi entwickeln. Der Wagen hatte eine Holzkarosserie und Frontantrieb. Der DKW Front, so sein Name, wurde in Zwickau gebaut und dort mit Motoren aus Zschopau ausgerüstet. In den dreißiger Jahren war er eines der meistverkauften Autos.

Auch ein weiterer sächsischer Autobauer, die Wanderer-Werke in Chemnitz, hatte damals mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Ursprünglich hatte man bei Wanderer Fahrräder gebaut, dann auch Werkzeugmaschinen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg kamen zusätzlich Autos hinzu. Die Wanderer-Autos galten als robust, zuverlässig und modern. Doch auch bei Wanderer wurden immer weniger Autos verkauft. Während der Werkzeugbau Gewinne machte, fuhr die Auto-Abteilung herbe Verluste ein. Angesichts dieser Lage schlossen sich daher 1932 die Horchwerke und der Fahrzeugbau der Wanderer-Werke mit den DKW-Fabriken, zu denen Audi ja bereits seit 1928 gehörte, zusammen. Als neuer Name wurde „Auto Union“ gewählt, obwohl es sich faktisch um eine Übernahme durch DKW handelte. Das Logo der neuen Firma bildeten vier ineinander verschlungene Ringe.

Panzer statt Kleinwagen

Von da an ging’s bergauf: Umsatz und Autoproduktion vervierfachten sich innerhalb von sechs Jahren, es wurden fünfmal soviel Motorräder gebaut, die Belegschaft stieg auf das Dreifache. Doch der Zweite Weltkrieg warf seine Schatten schon voraus. 1937 machte die Auto-Union bereits ein Fünftel ihres Umsatzes mit staatlichen Stellen, vor allem der Wehrmacht. Längst hatten sich auch die Manager korrumpieren lassen, die Auto Union wurde langsam, aber sicher, zu einem Rüstungskonzern: Panzermotoren und Kettenfahrzeuge statt Kleinwagen und Sportcabrios. Und es kam noch schlimmer: Nachdem Hitlers Truppen Polen und Frankreich überrannt hatten und tief in der Sowjetunion standen, wurden von dort Arbeitskräfte geholt. Teilweise warb man sie mit Druck und falschen Versprechungen an, teilweise wurden sie brutal zwangsverpflichtet. Jedes Werk der Auto-Union hatte auch ein Ausländerlager, rund 13.000 Zwangsarbeiter waren 1944 für die Firmengruppe tätig. Vorstandsvorsitzender der Auto-Union war seit 1932 Dr. Richard Bruhn, der im Krieg zum „Wehrwirtschaftsführer“ mit besonderen Privilegien ernannt wurde. Es kam, wie es kommen musste: Der Krieg ging verloren, alliierte Truppen besetzten Deutschland. In Zwickau waren dies zunächst die Amerikaner, die später wieder abzogen und das von ihnen eroberte Gebiet gegen West-Berlin eintauschten, in Zschopau und Chemnitz, zwei weiteren Hauptstandorten der Auto-Union, die Russen.

Ein Rolls-Royce namens Horch?

Zu diesem Zeitpunkt war das höhere Management bereits im Westen, wo es kurz darauf in Ingolstadt die Auto Union neu gründete. In den sechziger Jahren fusionierte die Auto Union mit NSU zur Audi-NSU, die schließlich 1985 in Audi AG umbenannt wurde. Schon vorher war Audi-NSU von Volkswagen übernommen worden. Aber noch immer tragen die Audis auf ihrem Kühlergrill das Symbol der Auto Union – die vier ineinander verschlungenen Ringe. Die im Osten verbliebenen Werke bildeten den Grundstock der späteren VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau, die den Trabant auf die Räder stellten, sowie des Motorradherstellers MZ und des Lastwagenbauers Barkas.

Gut möglich übrigens, dass der Name des genialen Autokonstrukteurs August Horch bald wieder aufersteht. Der Volkswagen-Konzern hat nämlich vor einigen Jahren den englischen Autobauer Rolls-Royce gekauft, besitzt daran aber keine Namensrechte. Die liegen nämlich bei dem Flugzeugtriebwerk-Hersteller Rolls-Royce, der schon vor Jahrzehnten aus dem Autokonzern ausgegliedert wurde – und an dem ist BMW beteiligt. Die Bayern werden die Rechte wohl auch nicht herausrücken. Also muss sich VW nach einem neuen Namen umsehen. Im Gespräch: „Horch“ – denn dessen Rechte liegen bei den Wolfsburgern. Und auch der Name „Rosemeyer“ wird vielleicht bald einen Supersportwagen schmücken: Bei Audi hat man gerade ein Auto unter diesem Namen entwickelt, das auch äußerlich den Auto-Union-Rennwagen aus den dreißiger Jahren gleicht. Ob der als „Designstudie“ bezeichnete Prototyp tatsächlich auf den Markt kommt, steht allerdings noch nicht fest.

(Autor: Hubert J. Gieß)

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