11. Handelsblatt Jahrestagung für die Chemische Industrie

Dr. Gottfried Zaby (ehemaliges Mitglied des Vorstandes der Bayer AG), begrüßte in Köln die rund 100 Teilnehmer der 11. Handelsblatt Jahrestagung für die Chemische Industrie.

Zur Diskussion standen die Auswirkungen der Finanzmarkt- und Bankenkrise auf die chemische Industrie, die Entwicklung der asiatischen Märkte, die Energie- und Rohstoffversorgung, politische Rahmenbedingungen sowie F&E und Personalstrategien. Laut Handelsblatt (18. Mai 2010) sind die Zahlen der Chemischen Industrie erstaunlich positiv: Die europäische Chemieindustrie hat sich in den letzten Monaten schneller erholt, als zu Jahresbeginn erwartet. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat seine Prognose für den Produktionsanstieg in diesem Jahr von bisher fünf auf 8,5 Prozent angehoben. Bei den großen Chemieherstellern in Europa haben sich die Betriebsgewinne nach Berechnungen des Handelsblatts gegenüber dem Schlussquartal 2009 mehr als verdoppelt und gegenüber dem sehr schwachen ersten Quartal des Vorjahres mehr als vervierfacht. Damit lagen die Erträge in der Summe nur noch 13 Prozent unter den Ergebnissen des ersten Quartals 2008.

Krise wird dauern
Prof. Dr. Rolf J. Langhammer (Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel IfW) erörterte in seinem Beitrag, ob das mittelfristige Wachstumspotenzial in Deutschland krisenbedingt Schaden genommen habe und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. „Die Weltwirtschaft schafft nur langsam Tritt, und ist getragen von den Schwellenländern“, prognostiziert Langhammer. Beunruhigend sei, dass die „giftigen Papiere“ noch nicht verschwunden seien und der genaue Wert noch nicht ermittelt sei. In den USA nehme der Anteil der notleidenden Hypotheken und notleidenden Krediten weiter zu, und die Nachfrage nach strukturierten finanzmarktpolitischen Produkten sei praktisch zusammengebrochen, stellte der Finanzexperte fest. Insgesamt werde das Wachstum weiter nachlassen und deutlich unter den Werten liegen, die für einen nachhaltigen Abbau der Staatsschulden benötigt würden. Gründe dafür seien, dass sektorspezifische Überkapazitäten abgebaut werden müssten, Kapital teurer werde und das Wachstum eher „jobless“ vonstatten gehe, da Arbeit eingespart werde.

Deutsche Wirtschaft erst ab 2013 wieder auf Kurs
Auch müsse sich die Realwirtschaft auf Verschiebungen der regionalen und sektoralen Nachfragemuster einstellen. „Aber: genau wissen wir es erst ex post, wir können es nicht ex ante messen“, stellt Langhammer fest und erklärt weiter. „Griechenland ist nur die Spitze des Eisberges. Wir wissen nicht, wann die Krise vorbei ist. Und wo es passiert. Das sind die großen Probleme, die uns erwarten!“ und führt aus: „Die Budgetdefizite sind riesig, auch Deutschland ist weit von Maastricht entfernt, steht aber mit einem Defizit von -5,2 in diesem Jahr im europäischen Vergleich noch ganz gut da.“ Trotz der enormen Belastungen hält er die Hilfen für Griechenland für notwendig, von einer Entlassung hoch verschuldeter Länder aus der EU-Gemeinschaft hält er nichts.

Langhammers Fazit: Nach einer Maxi-Rezension (minus fünf Prozent) wird es keine Maxi-Erholung in 2010 geben. Die deutsche Wirtschaft werde wahrscheinlich erst 2013 wieder das Niveau der Produktion von 2008 erreichen. Der Wirtschaftsexperte konstatierte allerdings einen erstaunlich robusten Arbeitsmarkt in Deutschland, dank der Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Mittelfristig sieht er das deutsche Exportmodell unter Druck, da zum Beispiel der Konsolidierungsbedarf in Deutschland und in der EU wachse. Und: „Die fiskalische Stimulierung läuft 2010 aus und sie muss auch auslaufen!“ Langhammer wies darauf hin, dass die Schwellenländer auch abhängig von den Entwicklungen in Europa und den USA seien.

Deutsche Chemie ist gut aufgestellt
Trotz der Krise und dem hohen strukturellen Anpassungsdruck für die chemische Industrie sieht Dr. Wolfgang Falter (AlixPartners) die deutsche Chemie gut gewappnet. Er macht in drei Kategorien wesentliche Veränderungen für die deutsche chemische Industrie die horizontale Spezialisierung, eine vertikale Dekonstruktion und regionales Wachstum. Die horizontale Spezialisierung bedeute: Chemiekonzerne mit starken Wurzeln im Heimatmarkt entwickelten sich zu globalen Segmentführern. Durch Ölkrisen und Finanz-Krise gäbe es allerdings wieder eine verstärkte Rückbesinnung auf das Kerngeschäft. Und es werde noch zu weiteren Konsolidierungen kommen, so Falter.

Weiter sieht Falter, dass Teile der integrierten Wertschöpfungskette zunehmend ausgelagert werden, zum Beispiel logistische Prozesse, Instandhaltung, Personalwesen sowie Datenverarbeitung und selbst Bereiche, die die Kundenbeziehungen betreffen, werden ausgegliedert. So komme es von einer tiefen, vertikalen Integration zu flachen, virtuellen Wertschöpfungsnetzwerken, erläutert Falter.

Nachfrage von Chemieprodukten aus Asien wird steigen
Die dritte Entwicklung betrifft die veränderte Rolle der asiatischen Märkte. Das Wirtschafts- und damit auch das Chemiewachstum werde von China und Indien geprägt. Der mittlere Osten und Asien werden die Führerrolle übernehmen, ist Falter überzeugt. Kamen 2010 noch gut 50 Prozent der chemischen Nachfrage aus den Triademärkten und rund 30 Prozent aus den asiatischen Märkten verschiebe sich die Nachfrage bis 2020 und werde in den Triademärkten unter 40 Prozent gehen und dafür in den asiatischen Ländern steigen. „China und Indien sind die künftigen Wachstumsmotoren und 2012 wird China wirtschaftlich stärker als alle 27 EU Staaten zusammen sein“, stellt Falter fest. Weiter sieht er eine Verschiebung bei den Chemieunternehmen: 2015 werden nur noch 40 Prozent der Chemieunternehmen aus der EU und den USA kommen und 60 Prozent aus dem Mittleren Osten und Asien. Als künftige Nr. 1 in der Chemie sieht Falter Sabic, einen Chemiekonzern aus Saudi-Arabien.

Viele europäische und vor allem deutsche Chemieunternehmen wachsen und seien profitabler als der Wettbewerb, aber den Herausforderungen aus dem Mittleren Osten haben sich noch nicht alle gestellt, stellt Falter weiterhin fest. „Dabei erschließt sich hier ein wachsender interessanter Binnenmarkt im Mittleren Osten mit 350 Millionen Menschen, die künftig über eine hohe Kaufkraft verfügen.“ Ein Vorteil der deutschen Chemie sei die technologische Führerschaft, aber Technologievorbehalte in weiten Teilen der Bevölkerung und auch in der Politik, zum Beispiel im Bereich der Gentechnik, seien hemmend. „Viele Unternehmen haben nachhaltige Geschäftsportfolien und Kostenstrukturen, aber die regulatorischen und steuerpolitischen Rahmenbedingungen gefährden die Wettbewerbsfähigkeit in den Heimatmärkten“, konstatiert Falter. Ein weiteres Manko sei das geringe Interesse an mathematisch-naturwissenschaftlichen (MINT) Studiengängen und die sich verändernde Demographie in Europa. Es werde außerdem zuwenig in Forschung und Entwicklung (F&E) investiert und die Finanzierung für Start Ups gestalte sich schwierig. Auch das europäische Patentwesen hält Falter für wenig wettbewerbsfähig. Dahingegen habe der Mittlere Osten zahlreiche strukturelle Vorteile. Hier werde massiv in große, kostengünstige Anlagen investiert. So wachse beispielsweise die Produktion der Polyolefine gesamt um 9,0 Millionen mt.

Falters Fazit: „Die Deutsche Chemieindustrie ist gut aufgestellt und hat allen Grund vorsichtig optimistisch in die Zukunft zu blicken.“ Die meisten Unternehmen partizipieren aktiv und mittlerweile profitabel an den globalen Wachstumstrends, vor allem in Asien. Es werde erwartet, dass spätestens 2011 das Absatzniveau von 2008 wieder überschritten wird.

Deutsche Chemiestandorte müssen wettbewerbsfähig werden
„Um die deutschen Chemieunternehmen muss man sich weniger Sorgen machen, sondern eher um die deutschen Chemiestandorte, die sich künftig stärker im globalen Wettbewerb stellen und beweisen müssen“, so der Branchenexperte. Es gibt über 62 Chemiestandorte, 38 Chemieparks in fünf Chemieregionen in Deutschland, davon seien allerdings viele nicht ausgelastet und kostenseitig nicht wettbewerbsfähig. “Der Dreiklang zwischen Produzenten, chemienahen Dienstleistern und Standortbetreibern ist notwendig und muss zum Einklang werden“, fordert Falter.

Rabigh – das weltgrößte integrierte Raffinerie- und Petrochemieprojekt
Osamu Ishitobi (Sumitomo Chemical Co) stellte auf der Handelsblatt Tagung das Rabigh-Projekt vor. Sumitomo Chemical ist ein japanisches Chemieunternehmen mit Firmensitz in Sendai. Es gehört zum Sumitomo-Konzern. Das Unternehmen wurde 1913 als Düngemittelfabrik gegründet. Heute gehören weltweit 126 Tochtergesellschaften zur Sumitomo Chemical-Gruppe, die u.a. in den Branchen Industrie-, Fein- und Petrochemie, Kunststoffproduktion, Pharmazeutik und Agrarspezifische Chemie vertreten ist.

Der Petro-Rabigh-Komplex in der Stadt Rabigh im Westen Saudi-Arabiens ist eines der weltgrößten integrierten Raffinerie- und Petrochemieprojekte, das jemals auf einen Schlag errichtet wurde. Zu dem Komplex zählen eine Raffinerie mit einer Kapazität von 400.000 Barrel pro Tag und ein Cracker auf Ethan-Basis. „Der Standort sei darauf ausgelegt, jährlich etwa 1,3 Millionen Tonnen Ethylen und 900.000 Tonnen Propylen zu produzieren“, erklärte Ishitobi. Zudem können täglich 60.000 Barrel Benzin hergestellt werden. Die Vorprodukte werden in einem zweiten Schritt in petrochemischen Einheiten zu verschiedenen Downstream-Produkten (unter anderem Polyethylen, Polypropylen, Ethylenoxid, Propylenoxid) weiterverarbeitet. Das Projekt ist ein Joint Venture zwischen Sumitomo Chemical aus Japan- und dem größten Ölkonzern der Welt, Saudi Aramco. Es gäbe bereits Pläne für eine Erweiterung des Petrochemie-Komplexes am Standort: Im Jahr 2014 soll neben einer Aufstockung der Crackerkapazität um etwa ein Drittel ein Aromatenkomplex gebaut werden, der von rund drei Millionen jato Naphtha gespeist werde. Eine ganze Reihe von Folgelinien sollen unter anderem Phenol, Caprolactam und Polyamide, Acrylsäure und MMA/PMMA sowie TPO und PE-LD/EVA herstellen. Die Machbarkeitsstudie für Petro Rabigh II soll bis Ende 2010 vorliegen.

Sumitomo Chemical’s Business-Strategie
Die Sicherung der „feed stocks“ – vornehmlich Ethane und Naphtha – als Grundelemente für die Produktion von Petrochemikalien, Produkte für wachsende Märkte produzieren, Wettbewerbsfähigkeit durch Kostenreduktion wahren sowie die Expansion durch Weiterentwicklung des Downstream-Business, also des Verteilungs- und Retailgeschäfts seien die vier wesentlichen Bestandteile der Business-Strategie, die hinter diesen Großprojekten stünde, so Ishitobi.

Komplexe Anlagen sinnvoll managen
Dr. Bernhard Nick (BASF SE) erläuterte, wie Komplexität in der Produktion ressourceneffizient gemanagt werden kann. Eine wichtige Erkenntnis sei „Zentral steuern, aber auch in der Krise dezentrale operative Entscheidungen der Mitarbeiter zulassen und auf deren Know how und Eigenverantwortlichkeit vertrauen“, so Nick. Das Bilden von Verbünden und das Vernetzen mit Partnern sei eine Stärke im Wettbewerb. Viele Produktionsanlagen an einem Standort zu integrieren habe Vorteile. Man sei so in der Lage, sich als Voreiter für wirtschaftliche Leistungen zu etablieren und die Umwelt profitiere zum Beispiel von Emissions-Reduzierung und weniger Abfällen. Viele Nebenprodukte können wieder für andere chemische Prozesse genutzt werden.

Eine effektive Steuerung sei durch Kommissionen gewährleistet, die alle wichtigen strategischen Entscheidungen als Empfehlung an den Vorstand gebe. In der Kommission seien Experten aus Unternehmen, der Region, aber auch aus der Personalabteilung zusammen gekommen. Der Vorstand sei eingebunden bei größeren Investitionen, bei allen Finanzakquisen, bei Personalentscheidungen ab einem bestimmten Level sowie bei allen IT-Entscheidungen. In der Krise habe man sich dreimal in der Woche mit Unternehmensvertretern aus den verschiedenen Bereichen getroffen und Erfahrungen ausgetauscht. So haben man schnell handeln können und frühzeitig Anlagen still gelegt bzw. reduziert und Personal transferiert. Die Kurzarbeit blieb auf ein Minimum beschränkt.

Fazit Dr. Nick: „Komplexität ist managbar! Wesentlich sind die Überlegungen über zentrale und dezentrale Steuerungen und Entscheidungen.“ Von der Politik erwarte er, dass sie die Anstrengungen zur Energieeffizienz anerkenne und den Wettbewerb nicht durch neue Regeln gefährde.

Energieversorgung und Klimaschutzpolitik gestalten: Produktions- und Innovationsnetzwerke stärken
Dr. Klaus Schäfer (VCI, Currenta) verdeutlichte unmittelbar die besondere Bedeutung der Industrie in Deutschland: diese beschäftige 6,1 Millionen Menschen, das seien 22 Prozent aller Beschäftigten, erwirtschafte 23,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und habe damit europaweit den höchsten Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung. „Die Industrie hat für Deutschland eine sehr viel höhere Bedeutung als für die EU-Nachbarländer. Daher hat es auch eher die Möglichkeit, aus der Krise herauszukommen“, urteilt der Currenta-Chef.
Die Industrie investierte 51,3 Milliarden Euro in Forschung & Entwicklung (2008), also rund 90 Prozent aller F&E-Aufwendungen der gesamten Wirtschaft. „Das bedeutet ja, dass 77 Prozent der restlichen Wirtschaft nur zehn Prozent der F&E Leistung liefert“, so Schäfer. Die chemische Industrie setzte letztes Jahr 154,5 Milliarden Euro um und gab 2008 8,37 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. „80 Prozent der Chemieerzeugnisse werden in anderen Branchen weiterverarbeitet und am Ende basieren fast alle industriell gefertigten Produkte auf Ausgangsstoffen aus der Chemie-Industrie.“

Synergien durch Chemieparks
Wichtig seien Netzwerke und Verbünde: „Man muss in der Chemie auch immer über Chemieparks als wesentliche Gestalter sprechen“, erklärt Schäfer. Gemeinsame Infrastruktur schaffe Synergien und insbesondere kleinere Unternehmen, die sich keine eigenen Kraftwerke oder Entsorgungsbetriebe leisten können, profitierten von optimalen Produktionsbedingungen. Gerade die zuverlässige Energielieferung sei nicht in allen Ländern gewährleistet, und daher ein wichtiger Standortvorteil, betonte Schäfer und merkte kritisch an: „ Das Konstrukt Chemiepark ist in der Politik nicht wirklich verankert, hier wird viel Aufklärungsarbeit durch den Verband betrieben.“

Einer VCI-Umfrage zufolge wollen 50 Prozent der Unternehmen die Verbesserung der Umweltverträglichkeit ihrer Endprodukte weiter ausbauen. „Chemische Produkte wie Isolierung im Haus sparen über ihren Lebensweg mehr als doppelt so viele Treibhausgase ein wie bei ihrer Herstellung entstehen“, konstatierte der VCI-Vorsitzende. Probleme sieht er in zu hohe Steuern und in bürokratischen Hürden. Der Chemiestandort Deutschland müsse sich mit anderen Standorten weltweit messen lassen. Beim Bau von Neuanlagen stehe Deutschland im Wettbewerb mit anderen europäischen Ländern. Wichtige Faktoren seien hier bezahlbare Energien und sichere Rohstoff-Versorgung.

Fazit Dr. Schäfer: Chemische Industrie unterstützt die Klimaschutzziele der EU, die Kosten dürfen aber nicht dazu führen, dass Chemie als Enabler gefährdet wird. „Energieintensive Industrien sind Motor der Innovation. Derzeit habe man enorme Nachteile durch Energiekosten. Die Regulierung darf Innovationskraft nicht dämpfen, da auch Innovationspotenzial für den Klimaschutz eingesetzt werde.

Xiameter – größtes Silicon-Portal online
Klaus Hoffmann (Xiameter®, Dow Corning) berichtete über die Entscheidung bei Dow Corning, das größte Silicon-Portal im Internet zu schaffen: „Dow Corning ist in sechs Industriebereichen aktiv -Automobil, Elektronik, Papier- und Textil, Solar und Life Science, mit ganz unterschiedlichen Produkten. Wir stellten fest, dass Lebenszyklen kürzer werden, die Wettbewerbssituation sich verändert, der Kostendruck zunimmt und Kunden mehr Optionen, mehr Flexibilität und Variabilität fordern“, beschreibt Hoffmann die Situation. Es wurde klar, dass ein neues Geschäftsmodell gefragt war. Xiameter wurde 2002 eingeführt, etablierte sich im Markt und heute können alle 2100 Standard-Produkte nur noch über das Online-Portal bezogen werden. Man investierte in die Silizium-Wissenschaft und expandierte in zahlreichen Regionen, vor allen in Osteuropa und im Mittleren Osten. Wichtig war die permanente Veränderung der Geschäftsprozesse, um die Kunden besser zu unterstützen. Bestellverfahren, Nachverfolgen der Waren, Rechnungsnachweise seien nun komplett online möglich, damit wurden Kundenwünsche umgesetzt und auch Overheadkosten gesenkt, erklärte Hoffmann. Entgegen der anfänglichen Planungen, in denen Chemie-Distributeure keine Systempartner waren, setze DowCorning nun verstärkt auf deren Mitarbeit, zum Beispiel in der anwendungsspezifischen Beratung beim Kunden oder in anderen Dienstleistungen.

Fazit Hoffmann: „Innovation rund um neue Geschäftsverfahren sind eine große Herausforderung und ein wahrhaft innovatives Unternehmen muss das Geschäft als Ganzes zu betrachten.“

Neue Geschäftsfelder für tesa
Thomas Schlegel (tesa SE) berichtet über die Entwicklung neuer Geschäftsfelder am Beispiel von Klebeanwendungen für Touch Panel Technologien. Die tesa SE ist weltweit der zweitgrößte Hersteller von selbstklebenden Produkten. 78 Prozent des Umsatzes von rund 860 Millionen Euro (2008) entfallen auf das Industriegeschäft, 22 Prozent auf das Geschäft mit Produkten für Konsumenten.

Ab 2006 stiegen die Anforderungen: Im Bereich Consumer Electronics gab es mit dem Verkleben von Bauteilen in elektronischen Endgeräten neue Anforderungen, wie zum Beispiel eine hohe optische Transparenz und keine Reaktion der Klebmasse mit der elektrischer Beschichtung. Das Klebeband ist hier funktionales Teil der Elektronik. Weiterhin werden Elektronikprodukte immer kleiner und komplexer und somit sind die Toleranzen sehr eng, erklärte Schleger. Auch werden Spezialklebemassen notwendig, deren Anforderungen über das reine Verkleben weit hinausgehen, so der tesa-CEO. .Auch mit dem transdermalen Pflaster wagte tesa den Eintritt in ein völlig neues Gebiet. Das nicht vorhandene pharmakologische Know how wurde mit der Akquise von Labtec dazugekauft.

Fazit Schlegel: „Der Markt ist sehr schnelllebig und erfordert schnelle und flexible Reaktion auf Kundenbedarfe: Die Entwicklungszeiten und Produktzyklen sind oftmals nur wenige Monate lang. Der größte Markt sind Touchpanel für Mobiltelefone. Wichtig war, von Anfang an Marketing, F&E-Abteilung sowie Design Center und Entwicklung bei der Produktentwicklung mit einzubeziehen. Besondere Bedeutung misst Schlegel der Bereitschaft zu, grundsätzliche Änderungen in angestammten Prozessen vorzunehmen. So wurde zum Beispiel in Reinraumtechnologie investiert und Entwicklungsressourcen für Testprojekte zur Verfügung gestellt. Und: „Sie brauchen eine durchgängige technische Qualifikation“, betont tesa-CEO Schlegel, dies bedeutete einen Paradigmenwechsel bei der Auswahl und Schulung sämtlicher Vertriebsmitarbeiter. Auch müsse man das Risiko eingehen, eine große Investition vorzufinanzieren, die sich erst in 8-12 Jahren bezahlt mache, so Schlegel, denn nur so bekomme man Zugang in ganz neue Marktsegmente.

Das Sorgenkind Reach
Peter Brandhofer (HELM AG) zeigte die Rolle des Chemiehandels unter Reach und brachte seine Besorgnis zum Ausdruck. Die Registrierungsfrist ende im November 2010 und es sind noch viele wichtige Aspekte ungeklärt oder es gebe keine Praxis dazu. Konkret benannte der Reach-Experte fehlende Leitlinien und mangelnde Erfahrung mit dem IT-System. Die notwendigen IT-Tools seien nicht fertig, die volle Umfänglichkeit zur Registrierung fehle und auch der Standard der Datenblätter sei noch völlig ungeklärt. „Als Importeure treibt uns um, dass es bei den Stoffen, die nur noch außerhalb Europas produziert werden, Probleme bei Registrierung gibt. Es wurde zwar ein Gremium dazu gebildet, die Frist in Ausnahmen zu verlängern, aber das sind erste Ausweichschritte der EU-Kommission, um der Probleme Herr zu werden“, kommentiert Brandhofer die Lage. Weiteres Problem sei, dass die nachgeschalteten Anwender noch gar nicht wissen, was sie erwartet. Deren Pflichten werden zu einer verstärkten Kommunikation in der Lieferkette führen. Aber: „Sinnvolle Kommunikation in der Lieferkette ist sehr wichtig, sonst entsteht sehr viel Datenmüll! Manchmal ist es sinnvoller, nicht zu kommunizieren“, bemerkt Brandhofer und meint weiter:
„Was wir dringend innerhalb der Lieferkette benötigen, ist endlich eine Struktur, um Sicherheitsdatenblätter elektronisch auszutauschen!“ Die Technik sei dabei nicht das Problem, sondern: „Die Industrie muss jetzt tätig zu werden, um ein entsprechendes Format zu entwickeln.“

Rahmenbedingungen für die chemische Industrie
Dr. Hubert Mandery (Cefic) beschäftigte sich auf dem Handelsblatt Branchentreff
mit den Rahmenbedingungen für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige chemische Industrie in Europa. „Es gibt 1,2 Millionen Beschäftige in der chemischen Industrie. Weiß die Politik eigentlich, welche Bedeutung die chemische Industrie hat?“ fragte Mandery. 29 000 Firmen erwirtschafteten 455 Milliarden Euro Umsatz und 96 Prozent davon seien KMUs. Allerdings verliere die europäische Chemie Anteile am weltweiten Markt. Wie seine Vorredner hob auch Mandery die Bedeutung der asiatischen Märkte hervor. An die EU adressierte er: “Die indische Chemie sehen wir auf Augenhöhe und sehen hier ungern Vorzugsbehandlungen.“ und zielte damit zum Beispiel auf Ungleichgewichte bei der Anwendung von anti-dumping Strafzöllen. Die Vielzahl der Regelungen sowie deren Inkonsistenzen, mangelnde Koordination und fehlende Durchsetzung machten der chemischen Industrie das Leben schwer. Als Beispiel nannte er die Biozid-Richtlinie. Hier sei bereits eine Milliarde Euro ohne Ergebnis aufgebracht worden. „Seit zehn Jahren auf dem Markt und nur zehn Prozent der Anforderungen sind umgesetzt. Die Ziele wie Umweltschutz wurden sträflich vernachlässigt“, kommentierte der Cefic-Generaldirektor die Situation.

Manderys Fazit: Eine neue Qualität in der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik ist notwendig, Innovationen sind nötig sowie eine smarte Gesetzgebung. Offene Märkte und fairer Handel sind wichtige Aufgaben.

Reul: „Politik muss für Rahmenbedingungen sorgen und nicht Technologien bewerten“
Herbert Reul (Europäisches Parlament) sieht es als Aufgabe der Politik, für ordentliche und verlässliche Rahmenbedingungen zu sorgen und nicht jede Woche etwas Neues zu beschließen. „Wichtig ist: Investieren in Bildung, Forschung, Ausbildung, da ist noch Potenzial, da passiert noch nicht genug“, so der Europa-Abgeordnete, der auch wenig davon hält, bis 2020 den Ausstoß der Treibhausgase in Europa um 30 statt um 20 Prozent zu senken. „Weltrettungsmaßnahmen müssen immer sofort realisiert werden, das führt zu übereilten Maßnahmen. Es wird sich nicht genügend Zeit genommen, um zum Beispiel Alternativen zu prüfen“, kommentiert er den Vorstoß der Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard. Auch zum Thema Reach findet er deutliche Worte: „Macht das Ding noch mal neu!“

Reul sieht es auch nicht als Aufgabe der Politik, Aussagen über Technologien zu machen wie „Grüne Technologie ist die die Zukunft.“ „Die Behauptung ist ungeheuerlich! Es ist nicht Job der Politik, dies festzustellen, Politik soll für die Rahmenbedingungen sorgen“, so Reul. An die Industrie-Vertreter der Tagung appellierte Reul den Gesprächsfaden mit der Politik nicht abreißen zu lassen. Gerade Abgeordnete, die aus „chemiefernen“ Regionen stammten, wüssten oftmals nicht, welche Wertschöpfung diese Industrie für die Gesellschaft schaffe.

Einfluss der Gewerkschaft
Auch wenn IG BCE-Chef Michael Vassiliadis nicht vor Ort sein konnte, wurde er am 19. Mai vom DGB-Kongress zur Handelsblatt Tagung zugeschaltet. In einem Exklusiv-Interview mit Handelsblatt-Veranstaltungen schilderte er seine Eindrücke vom 19. Bundeskongress in Berlin und bezog Stellung zu verschiedenen Fragen, wie zum Beispiel zur Rolle des IG BCE hinsichtlich der deutschen Chemie-Industrie – Stichwort Standortsicherung und zum Flächentarifvertrag, vor allem zur Zunahme der Öffnungsklauseln. Das Interview ist im Internet abrufbar unter www.euroforum.tv

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