Als die Synapsen-Bausteine knapp wurden
Bayreuther Biologen erklären Proteinaustausch während der Wirbeltier-Evolution.
Die elektrischen Synapsen in Wirbeltieren sind aus anderen, aber keineswegs leistungsstärkeren Proteinen aufgebaut als die elektrischen Synapsen in den weitaus älteren wirbellosen Tieren. Tierphysiologen der Universität Bayreuth haben für dieses Rätsel der Evolution jetzt erstmals eine Erklärung gefunden: In der Frühphase der Wirbeltierentwicklung kam es zu einem Verlust der Vielfalt genau derjenigen Proteine, die in älteren wirbellosen Tieren für die Signalübertragung verwendet wurden. In der Zeitschrift eLife haben die Wissenschaftler ihre Entdeckung veröffentlicht.
Elektrische Synapsen stellen Verbindungen zwischen benachbarten Zellen her und sind für die Signalübertragung im Organismus von zentraler Bedeutung. Vor der Evolution der Wirbeltiere wurden sie aus Innexinen, einer Familie von Proteinen mit sehr verschiedenartigen Funktionen, gebildet. So übernehmen aus Innexinen bestehende Synapsen beispielsweise wichtige Funktionen in den Nervenschaltungen im Gehirn von Insekten. In Wirbeltieren jedoch, so wurde lange Zeit vermutet, bestehen elektrische Synapsen nicht aus Innexinen, sondern ausschließlich aus Connexinen. Die neue Studie der Bayreuther Tierphysiologen Dr. Georg Welzel und Prof. Dr. Stefan Schuster liefert für diese Annahme jetzt erstmals eine umfassende wissenschaftliche Bestätigung: Es gibt keine wirbellosen Tiere, deren elektrische Synapsen Connexine enthalten. Und umgekehrt finden sich in Wirbeltieren keine elektrischen Synapsen, die aus den in wirbellosen Tieren zur Signalübertragung verwendeten Innexinen bestehen.
Dieser Befund erscheint rätselhaft, weil die aus Connexinen bestehenden Synapsen den Wirbeltieren keinen evolutionären Vorteil verschaffen. Hinsichtlich ihrer Funktionen bei der Signalübertragung sind sie den auf Innexinen basierenden Synapsen nicht überlegen. Mehr noch: Wirbeltiere produzieren nach wie vor Innexine, setzen sie aber nicht in elektrischen Synapsen ein. Es muss daher einen anderen Grund dafür gegeben haben, dass im Verlauf der Evolution der Wirbeltiere die Bausteine der Synapsen ausgewechselt wurden. Die Erklärung haben die Bayreuther Wissenschaftler jetzt entdeckt: In der Frühphase der Wirbeltierentwicklung ist die Vielfalt der Innexine dramatisch zurückgegangen. Übrig blieb nur noch ein einziges Innexin, das für die Verwendung in Synapsen ungeeignet war und andere Funktionen im Organismus der Wirbeltiere – beispielsweise die Freisetzung von Signalmolekülen– übernehmen musste. Nicht eine überlegene Funktionalität der Connexine, sondern ein Mangel an Innexinen hat im Verlauf der Evolution der Wirbeltiere zu einem kompletten Austausch der Synapsen-Proteine geführt. „Unsere Befunde legen nahe, dass ein sogenannter genetischer Flaschenhals zu Beginn der Wirbeltierevolution zu dem massiven Verlust der Innexin-Vielfalt geführt hat“, sagt Dr. Georg Welzel.
Schon in den älteren wirbellosen Tieren haben, wie die Studie ebenfalls belegt, Innexine wichtige Funktionen außerhalb der elektrischen Synapsen. Bei Wirbeltieren haben sich aus dem verbliebenen Innexin drei hoch-konservierte Formen entwickelt, die aber als glykosylierte Proteine vorkommen. Dies bedeutet, dass sie eine chemische Bindung mit Kohlenhydraten eingegangen sind. Dadurch sind sie als Bausteine für Synapsen endgültig ungeeignet, gleichzeitig aber als Bausteine der Evolution konserviert. „Die Fortexistenz der Innexine im Organismus von Wirbeltieren und die extreme Konservierung während der Evolution deuten darauf hin, dass sie ganz andere sehr wichtige Funktionen haben. Trotz ihrer vermutlich großen Bedeutung sind diese Funktionen noch unbekannt, und es ist in Zukunft wichtig, sie herauszufinden“, sagt Prof. Dr. Stefan Schuster.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Stefan Schuster
Tierphysiologie
Universität Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 55-2470
E-Mail: stefan.schuster@uni-bayreuth.de
Originalpublikation:
Georg Welzel, Stefan Schuster: Connexins evolved after early chordates lost innexin diversity. eLife (2022), DOI: https://doi.org/10.7554/eLife.74422
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