Antarktis – Weltraum – Düsseldorf: der lange Weg der Flechten

Das Expositionsexperiment EXPOSE-R während der Installation am Swezda-Modul der internationalen Raumstation ISS, mit den Flechtenproben von der HHU. ESA/ROSCOSMOS

Flechten sind keine Pflanzen, sondern symbiotische Lebensgemeinschaften zwischen einem Pilz („Mycobiont“) und einem oder mehreren anderen Partnern, die zur Photosynthese fähig sind („Photobiont“). Typische Photobionten sind Algen. Flechten wachsen in allen Ökosystemen der Welt, wobei sie in Polarregionen die dominante Vegetation bilden können.

Sie zeigen eine hohe Formenmannigfaltigkeit: Sie wachsen flach auf Oberflächen (Krustenflechten), bilden aber auch pflanzenähnliche Strukturen (z.B. Blatt- oder Strauchflechten). Flechten sind aufgrund ihrer Lebensstrategie in der Lage, äußerst schwierige Umweltbedingungen zu meistern. So sind Arten bekannt, die auch hohe Dosen radioaktiver Strahlung überleben.

Die Düsseldorfer Biologin Prof. Dr. Sieglinde Ott (Institut für Botanik, Arbeitsgruppe Symbiotische Interaktionen) arbeitet unter anderem mit der Flechte Buellia frigida. Diese kommt in der kontinentalen Antarktis vor und trotzt dort den extrem kalten und trockenen Bedingungen einer lebensfeindlichen Umgebung. Bei einer Expedition ins antarktische North Victoria Land in der Saison 2009/2010 brachte Prof. Ott Proben dieser Flechte mit an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU).

Die Biologen wollten klären, wie widerstandsfähig Buellia frigida als symbiotischer eukaryotischer Organismus ist, wenn sie noch extremeren Umständen als den schwierigen Umweltbedingungen in der kontinentalen Antarktis ausgesetzt ist.

So beteiligte sich Prof. Ott an einem internationalen, interdisziplinären Projekt der europäischen Weltraumagentur ESA (Projektleitung: Dr. Jean Pierre Paul de Vera, DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin), in dem im Sommer 2014 die Flechte und neun biogene Substanzen vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur an Bord einer Sojus-Rakete zur internationalen Raumstation ISS starteten.

Dort wurden die Proben in der EX-POSE-R-Einheit außen am Swezda-Modul der ISS angebracht und insgesamt 480 Tagen Weltraumbedingungen sowie simulierten Mars-Bedingungen ausgesetzt.

Ziel dieses Expositionsexperimentes war es, sowohl die Überlebensfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Flechte als auch die Stabilität der biogenen Substanzen unter den extremen Weltraumbedingungen zu testen. Denn dort im Vakuum herrschen nicht nur noch wesentlich tiefere Temperaturen als in der Antarktis, die Flechten sind darüber hinaus ungeschützt starker radioaktiver, Röntgen- und auch UV-Strahlung ausgesetzt.

Entsprechend stellte sich die Frage, wie stabil die biologischen Strukturen der Flechte und die Biomoleküle auch unter diesen Extrembedingungen sind. Die Erforschung der Stabilität von Biomolekülen hat in der Astrobiologie stark an Bedeutung zugenommen, da relevante Erkenntnisse darüber Auskunft geben können, inwieweit Biomoleküle die Anwesenheit von Leben auf dem Mars oder in den Ozeanen der Eismonde von Jupiter und Saturn anzeigen können.

Auch bieten die Arbeiten in dem Projekt eine substantielle Basis für geplante Expeditionen zum Mond und Mars. Bei solchen Langzeitexpeditionen sind die Weltraumfahrer, anders Menschen auf der Erde, deutlich höheren Dosen kosmischer Strahlung ausgesetzt.

Im Februar 2016 wurden die Proben wieder in die Raumstation geholt, am 18. Juni 2016 landeten sie in der kasachischen Wüste und im Juli 2016 erreichten sie schließlich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln. Von dort war es nur noch ein kurzer Weg zur HHU.

Zurück in Düsseldorf, können die Forschungsarbeiten nun, gefördert vom DLR-Raumfahrtmanagment über das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, beginnen: Prof. Ott wird mit ihrem Team die expositionsbedingten Schäden an der Flechte untersuchen. Es geht um die Überlebensfähigkeit und das Resistenzpotenzial unter diesen extremen Bedingungen im Weltraum.

Zusätzlich untersuchen die HHU-Forscher die Stabilität bzw. den Grad der Schädigung von neun biogenen Substanzen. Diese Untersuchungen erfolgen vor allem mittels Raman-Spektroskopie, um Schäden, die unter Weltraumbedingungen entstanden sind, beurteilen zu können. Darüber hinaus wird getestet, ob die exponierten Flechtenproben noch zur Photosynthese fähig sind.

Außerdem wird im Labor versucht, die isolierten Symbionten zu kultivieren. Dies gibt Auskunft, in wieweit der Symbionten der exponierten Flechte noch Wachstumsfähigkeit zeigen. Weitere Untersuchungen zur Überlebensfähigkeit der Flechte werden mit verschiedenen Methoden der Elektronenmikroskopie durchgeführt.

Media Contact

Dr.rer.nat. Arne Claussen idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

http://www.hhu.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Die Roboterhand lernt zu fühlen

Fraunhofer IWS kombiniert Konzepte aus der Natur mit Sensorik und 3D-Druck. Damit Ernteroboter, U-Boot-Greifer und autonome Rover auf fernen Planeten künftig universeller einsetzbar und selbstständiger werden, bringen Forschende des Fraunhofer-Instituts…

Regenschutz für Rotorblätter

Kleine Tropfen, große Wirkung: Regen kann auf Dauer die Oberflächen von Rotorblättern beschädigen, die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen können sinken, vor allem auf See. Durch die Entwicklung innovativer Reparaturlösungen…

Materialforschung: Überraschung an der Korngrenze

Mithilfe modernster Mikroskopie- und Simulationstechniken konnte ein internationales Forschungsteam erstmals beobachten, wie gelöste Elemente neue Korngrenzphasen bilden. Mit modernsten Mikroskopie- und Simulationstechniken hat ein internationales Forscherteam systematisch beobachtet, wie Eisenatome…