Antikörper als unerkannte Hauptakteure bei Thrombosen
– neue Therapieansätze ohne Blutungsrisiko.
Eine bahnbrechende Studie von Wissenschaftlern am LMU Klinikum München und des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung hat gezeigt, dass Antikörper und das Komplementsystem zentrale Rollen bei der Entstehung von Thrombosen spielen. Diese Entdeckung könnte zu neuen Behandlungsstrategien führen, die ohne das Blutungsrisiko herkömmlicher Antikoagulanzien auskommen.
Venöse Thromboembolien (VTE) sind lebensbedrohliche Blutgerinnsel, deren Häufigkeit trotz präventiver Maßnahmen weltweit zunimmt. Die Rolle von Antikörpern in der Immunabwehr ist seit Langem bekannt, doch diese Studie bringt überraschende neue Erkenntnisse: IgM- und IgG-Antikörper, unabhängig von ihrer Spezifität gegenüber einem bestimmten Antigen, fördern die Bildung von Blutgerinnseln.
Antikörper als Schlüssel zur Thrombosebildung
IgM-Antikörper binden dabei an Endothelzellen, die die Blutgefäße auskleiden, und aktivieren sie, wodurch die Anlagerung von Blutplättchen eingeleitet wird. Diese Phase stellt den ersten Schritt zur Entstehung eines Thrombus dar. Im weiteren Verlauf lagern sich IgG-Antikörper an aktivierte Blutplättchen an und setzen das Komplementsystem in Gang, das eine Kaskade biochemischer Prozesse auslöst, die die Thrombosebildung durch inflammatorische Prozesse verstärken.
„Unsere Studie zeigt, dass Antikörper und das Komplementsystem eine bisher unterschätzte Rolle bei der Thromboseentstehung spielen, unabhängig davon, welche Antigene die Antikörper erkennen“, erklärt Prof. Konstantin Stark, leitender Oberarzt der Kardiologie am LMU Klinikum München und Autor der Studie.
IgM und IgG – mehr als nur Abwehrspieler
IgM und IgG gehören zu den wichtigsten Antikörpern im menschlichen Immunsystem. IgM-Antikörper sind die ersten, die nach einer Infektion produziert werden und spielen eine entscheidende Rolle bei der ersten Abwehr gegen Krankheitserreger. Sie sind besonders effizient in der Neutralisierung von Bakterien und Viren sowie in der Aktivierung des Komplementsystems. IgG-Antikörper sind die am häufigsten vorkommenden Antikörper im Blut und für die langfristige Immunität verantwortlich. Sie markieren Krankheitserreger, sodass diese leichter von Immunzellen erkannt und beseitigt werden können.
In der vorliegenden Studie zeigte sich jedoch, dass diese Antikörper nicht nur zur Immunabwehr beitragen, sondern auch Thrombosen auslösen und vorantreiben können. Besonders bemerkenswert ist, dass dieser Prozess unabhängig von der Antigenspezifität der Antikörper abläuft, was bedeutet, dass die Antikörper ihre prothrombotischen Wirkungen entfalten, ohne dass sie ein spezifisches Antigen erkennen müssen.
Neue Therapieansätze: Schutz vor Thrombosen ohne Blutungsrisiko
Eine der wichtigsten Entdeckungen der Studie zeigt, dass die gezielte Hemmung des Komplementsystems Thrombosen verhindern kann. Im Gegensatz zu herkömmlichen Blutverdünnern, die oft das Risiko schwerer Blutungen erhöhen, bleibt die natürliche Blutgerinnung dabei unbeeinträchtigt. Die Forscher fanden heraus, dass diese Blockade nicht nur sicherer ist, sondern auch effektiv Thrombosen reduziert.
„Diese Methode bietet einen vielversprechenden neuen Ansatz zur Prävention der Thrombose, der die Bildung von Blutgerinnseln verhindert, ohne das Blutungsrisiko zu erhöhen“, erklärt Prof. Stark.
Relevanz für COVID-19 und andere Erkrankungen
Die Studienergebnisse wirken sich nicht nur auf die Behandlung von venösen Thrombosen aus, sondern betreffen auch andere Krankheiten, bei denen das Komplementsystem beteiligt ist. Besonders interessant sind die Parallelen zwischen der Thromboseentstehung und den thrombotischen Komplikationen, die bei schwerem COVID-19 auftreten. In den Autopsieproben von COVID-19-Patienten fanden die Forscher die gleichen prothrombotischen Mechanismen wie in ihren Tiermodellen: Antikörper und das Komplementsystem arbeiteten zusammen, um die Bildung von Blutgerinnseln zu fördern.
Diese Erkenntnisse könnten auch bei der Behandlung anderer immunvermittelter Thrombosen eine Rolle spielen, wie beispielsweise beim Antiphospholipid-Syndrom. Zudem könnte die Hemmung des Komplementsystems in der Zukunft eine Schlüsselrolle bei der Behandlung von thrombotischen Komplikationen spielen, die durch Impfstoffe oder Antikörpertherapien ausgelöst werden, wie es bei einigen COVID-19-Impfstoffen berichtet wurde.
Klinische Anwendung und Zukunftsperspektiven
Die Möglichkeit, gezielt das Komplementsystem zu hemmen, ohne dabei das Risiko von Blutungen zu erhöhen, könnte besonders für Patienten von Bedeutung sein, die sowohl ein hohes Thrombose- als auch ein Blutungsrisiko haben.
„Wir stehen noch am Anfang der klinischen Erforschung dieser neuen Therapieansätze, aber unsere Ergebnisse bieten eine vielversprechende Perspektive in der Thromboseprävention“, sagt Prof. Stark abschließend. „Unsere Forschung zeigt, dass wir neue Wege gehen können, die primär an der Immunreaktion ansetzen, um Thrombosen effektiv und sicherer zu verhindern.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Konstantin Stark, LMU Klinikum München, Konstantin.Stark@med.uni-muenchen.de
Originalpublikation:
Antibodies and complement are key drivers of thrombosis. Stark et al. (Immunity 2024) https://doi.org/10.1016/j.immuni.2024.08.007
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