Arbeitsteilung wirkt sich auf das Infektionsrisiko aus

Automatisiertes Tracking-System: Das Verhalten vieler kleine Ameisenkolonien kann gleichzeitig von Kameras aufgezeichnet werden. Dadurch, dass Ameisen mit unterschiedlichen Farbcodes versehen sind, wird das individuelle Verhalten jedes einzelnen Nestmitglieds erfasst.
© Yuko Ulrich, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

Ameisen, die für die Futtersuche das Nest verlassen, werden eher von Parasiten befallen als ihre Nestgenossinnen, die sich um die Brutpflege kümmern.

Dies berichtet ein internationales Team von Forschenden unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in einer neuen Studie in der Zeitschrift Nature Communications.

In einer neuen Studie in der Zeitschrift Nature Communications berichtet ein internationales Team von Forschenden unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie, dass bei gleicher genetischer Ausstattung allein das individuelle Verhalten darüber entscheidet, ob sich ein Individuum in einer sozialen Gruppe an einem Krankheitserreger infiziert oder nicht. Klonale Räuberameisen der Art Ooceraea biroi, die außerhalb des Nests auf der Futtersuche sind, werden eher von parasitischen Fadenwürmern befallen als Artgenossinnen im Nest. Das Forschungsteam beobachtete außerdem, dass Erkrankungen in der Kolonie das Verhalten aller Ameisen veränderten: Kranke und gesunde Ameisen blieben gleichermaßen im Nest und die Arbeitsteilung war vermindert, wodurch die gesamte soziale Organisation in der Ameisenkolonie beeinträchtigt wurde (Nature Communications, August 2023, doi: 10.1038/s41467-023-40983-7).

Die soziale Rolle bestimmt das Infektionsrisiko

Die COVID-19-Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass nicht alle Menschen gleichermaßen durch das neue Virus gefährdet waren. Ältere, kranke und gesundheitlich vorbelastete Menschen mussten besonders geschützt werden, weil die Gefahr, lebensbedrohlich zu erkranken oder an der Virus-Erkrankung zu sterben, stark erhöht war. Davon abgesehen waren die Risiken, sich mit dem Virus anzustecken, aber auch aufgrund unserer beruflichen Tätigkeiten sehr unterschiedlich verteilt. Bei Weitem nicht alle konnten sich durch das Arbeiten zu Hause vor Kontakten mit Infizierten zu schützen. Sogenannte „systemrelevante“ Berufe waren oftmals die, bei deren Ausübung es besonders viele Begegnungen mit potenziellen Virusträgern gab: Tätigkeiten in der Pflege und im Medizinbereich, bei der Betreuung und Erziehung von Kindern, und bei der Versorgung mit den Mitteln des täglichen Bedarfs.

„Die Arbeitsteilung, also die Tatsache, dass verschiedene Mitglieder einer sozialen Gruppe unterschiedliche Aufgaben übernehmen, wird seit langem mit einem unterschiedlichen Erkrankungsrisiko in Verbindung gebracht. Eine häufige Annahme ist, dass die Arbeitsteilung dazu führt, dass manche Gruppenmitglieder eher Krankheitserregern ausgesetzt sind als andere“, erklärt Studienleiterin Yuko Ulrich vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie. Sie leitet die Lise-Meitner-Gruppe Sozialverhalten. Es ist jedoch nicht einfach, diese Annahme experimentell zu testen, da häufig auch noch andere Faktoren, wie Ernährung, Alter und persönliche Anfälligkeit ebenfalls eine Rolle spielen. In ihrer Postdoc-Zeit an der Rockefeller University in der Arbeitsgruppe von Daniel Kronauer war Yuko Ulrich daran beteiligt, die klonale Räuberameise Ooceraea biroi als Modell für Untersuchungen zur den Auswirklungen des Verhaltens von Individuen auf die soziale Organisatioin zu etablieren. Arbeiterinnen dieser Art haben keine Königin und vermehren sich asexuell über unbefruchtete Eier, die sich zu genetisch fast identischen Individuen entwickeln. In Folge dessen sind alle Mitglieder der Ameisenkolonie genetisch identisch und man kann gleich alte Kolonien unter exakt denselben Bedingungen beobachten – das ideale Modellsystem, um die Annahme zu testen.

Parasitische Fadenwürmer befallen eher Ameisen auf Futtersuche

Die Krankheitserreger im Fokus der aktuellen Studie waren parasitische Fadenwürmer. Sie befallen eine bestimmte Drüse am Kopf der Ameisen. Die Verhaltensuntersuchungen wurden mittels automatisierter Verhaltensverfolgung durchgeführt, die eine computergestützte Analyse des Verhaltens jeder einzelnen Ameise in einer Kolonie anhand von Videos ermöglicht. Dieses „Tracking“ von Individuen erfolgt simultan in vielen Ameisenkolonien. Mit diesem ausgeklügelten System werden weit mehr Daten geliefert, als menschliche Beobachtungen und manuelle Auswertungen kreieren würden. „Wir beobachteten, dass allein das individuelle Verhalten das Infektionsrisiko beeinflussen. So werden Ameisen, die mehr Zeit außerhalb des Nests verbringen, um beispielsweise Futter zu suchen, mit größerer Wahrscheinlichkeit infiziert als Individuen, die zwar den gleichen Genotyp und auch das gleiche Alter haben, aber mehr Zeit im Nest verbringen“, fasst Erstautor Zimai Li zentrale Ergebnisse der Verhaltensstudien zusammen.

Wie das Forschungsteam herausfand, verringert die Infektion mit den Parasiten die Überlebensrate der Ameisen deutlich. Genetische Analysen zeigten, dass infizierte Ameisen veränderte Genexpressionsmuster aufwiesen. Außerdem ermittelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Hilfe von gaschromatographischen Analysen, dass sich das Duftprofil infizierter Ameisen verändert hatte. Das Außenskelett der Ameisen ist von einer Wachsschicht aus verschiedenen Kohlenwasserstoffen überzogen. „Wir konnten zeigen, dass Infektionen die Mengenverteilung der kutikulären Kohlenwasserstoffklassen auf der Kutikula von klonalen Räuberameisen veränderten: Sowohl n-Alkane als auch methylverzweigte Alkane waren bei infizierten Individuen im Vergleich zu gesunden Tieren vermindert. Von diesen Substanzen wird angenommen, dass sie mit der Austrocknungsresistenz und Kommunikation der Ameisen untereinander in Verbindung stehen“, sagt Zimai Li.

Infektionen in der Kolonie verändern das Verhalten aller Ameisen, auch der gesunden

Die Verhaltensbeobachtungen ergaben aber auch ein ganz überraschendes Ergebnis: Die Arbeitsteilung innerhalb der Kolonie hat nicht nur Auswirkungen auf das Infektionsrisiko einzelner Ameisen, sondern eine Infektion steuert auch umgekehrt das Verhalten der Ameisen. Die infizierten Tiere verbringen mehr Zeit im Nest. Aber auch die gesunden Nestgenossinnen bleiben zu Hause. „Wir waren erstaunt, dass die Anwesenheit von Infektionen nicht nur bei den unmittelbaren Wirten, sondern auch bei den nicht infizierten Ameisen die Aktivität außerhalb des Nestes reduzierte. Die Verhaltensänderungen der gesunden Mitglieder der Kolonie waren für uns eine Überraschung, da sie nicht direkt durch die Infektion ausgelöst werden. Diese Erkenntnis wirft neue Fragen auf, die wir weiter untersuchen müssen. So möchten wir herausfinden, ob Ameisen den Infektionsstatus ihrer Nestgenossinnen erkennen und ob dies eine Art Pflegeverhalten auslöst, das sich darin ausdrückt, dass die gesunden Ameisen in der Nähe der kranken bleiben“, meint Zimai Li.

Eine weitere Erklärung wäre, dass die Parasiten diese Verhaltensänderungen verursachen, um sich weiter vermehren zu können. Denn Parasitenerkrankungen führen dazu, dass gesunde und kranke Ameisen vermehrt im Nest zusammenkommen, was die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung erhöht. Möglicherweise spielt dabei auch der veränderte Geruch der infizierten Ameisen, den die Forschenden identifiziert haben, eine Rolle. „Diese Studie hat viele Fragen aufgeworfen, die wir in Folgestudien beantworten wollen. Zum Beispiel möchten wir wissen, warum die Fadenwürmer diese eine Drüse im Kopf der Ameisen infizieren. Außerdem interessiert uns, wie sich die chemische Kommunikation der Ameisen verändert, wenn einzelne Individuen infiziert sind. Und schließlich möchten wir herausfinden, ob die Veränderungen im Verhalten der Ameisen der eigenen Kolonie oder den Parasiten nutzen“, fasst Yuko Ulrich die nun geplanten Untersuchungen zusammen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Yuko Ulrich, Lise-Meitner-Gruppe Sozialverhalten, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, E-Mail yulrich@ice.mpg.de, Tel. +49 (0)3641 57 1700

Originalpublikation:

Li, Z., Bhat, B., Frank, E.T., Oliveira-Honorato, T., Azuma, F., Bachmann, V., Parker, D. J., Schmitt, T., Economo, E. P., Ulrich, Y. (2023). Behavioural individuality determines infection risk in clonal ant colonies. Nature Communications, 14:5233, doi: 10.1038/s41467-023-40983-7
https://doi.org/10.1038/s41467-023-40983-7

Weitere Informationen:

https://www.ice.mpg.de/273817/social-behaviour Lise-Meitner-Forschungsgruppe Sozialverhalten

https://www.ice.mpg.de/454898/PR_Li2

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Angela Overmeyer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

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