Artenvielfalt der Darmbakterien ist mit dem Sexualverhalten assoziiert

Elektronenmikroskopische Aufnahme von Segatella copri (Stamm HDD04)
(c) HZI/Mathias Müsken

HZI-Forschende wiesen bei Männern, die gleichgeschlechtlichen Sex hatten, eine deutlich höhere Artenvielfalt des Darmmikrobioms nach.

Die Vielfalt der Bakterienarten im Darm ist bei Menschen mit westlichem Lebensstil verglichen mit Menschen in nicht-industrialisierten Regionen stark reduziert. Eine Bakteriengruppe, an der sich diese Unterschiede besonders deutlich zeigen, sind die Segatellen, die wiederum zur übergeordneten Familie der Prevotellaceae gehören. Nun ist es einem internationalen Forschungsteam um Prof. Till Strowig vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit dem Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH, der Universität Trente (Italien) und dem Universitätsklinikum Essen gelungen, Segatella-Bakterien zu kultivieren, zu charakterisieren und ihr Vorkommen genauer zu analysieren. Dabei entdeckten sie nicht nur neue Segatella-Arten, sondern konnten zudem zeigen, dass Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex praktizieren, ein deutlich erhöhtes Segatella-Vorkommen aufweisen, dessen Vielfalt der von nicht-westlich lebenden Menschen entspricht. Die Ergebnisse wurden in den Fachjournalen Cell Host & Microbe und Cell Reports Medicine veröffentlicht.

Der menschliche Körper ist besiedelt von einer Vielzahl verschiedener Mikroorganismen wie Bakterien, Hefen und Pilzen. All diese mikrobiellen Mitbewohner – als Mikrobiom oder Mikrobiota bezeichnet – sind wichtig für unsere Gesundheit: Zum Beispiel unterstützt das Mikrobiom im Darm die Verdauung und hilft dabei, Nährstoffe verfügbar zu machen. Bestimmte Bakteriengruppen dominieren das menschliche Darmmikrobiom zwar, die genaue Zusammensetzung ist aber individuell verschieden. Sehr häufig treten zum Beispiel Bakterien aus der Familie Prevotellaceae und dem zugehörigen Genus Segatella auf, über deren Biologie allerdings nicht viel bekannt ist, da sie sich für Untersuchungen nur schwer isolieren und kultivieren lassen. Sie sind Bestandteil des ursprünglichen Mikrobioms und bei rund 90 Prozent der Menschen vertreten, die in nicht-industrialisierten Regionen der Erde leben wie in Amazonien oder in Teilen Afrikas. Dagegen tragen nur 20 bis 30 Prozent der Menschen in Europa und den USA diese Bakterien.

Einem Forschungsteam um Prof. Till Strowig, der am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig die Abteilung „Mikrobielle Immunregulation“ leitet, ist es kürzlich gelungen, zusätzliche Vertreter der Segatella-Bakteriengruppe zu isolieren. „Mithilfe detaillierter Genomanalysen konnten wir zeigen, dass die Segatella-Gruppe um den bekanntesten Vertreter Segatella copri (zuvor unter dem Namen Prevotella copri bekannt) ein deutlich größerer Komplex ist, als es bisher bekannt war, und wir konnten sogar fünf neue Arten beschreiben“, sagt Strowig. Gemeinsam mit Kolleg:innen am Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH und an der Universität Trento (Italien) hat das Forschungsteam diese Spezies genauer charakterisiert. „Die Segatellen sind auf den Abbau von Ballaststoffen spezialisiert. Wie oder ob sie unsere Gesundheit begünstigen, ist allerdings nach wie vor nicht bekannt“, sagt Strowig. Dass sie im Mikrobiom der westlich lebenden Menschen deutlich seltener vorkommen, liege wahrscheinlich an den hygienischen Bedingungen: „Aufgrund ihrer extremen Spezialisierung auf den Menschen erfolgt die Aufnahme dieser Bakterien vor allem über zwischenmenschliche Kontakte, nicht über die Nahrung, und intensive Hygienemaßnahmen können solche natürlichen Besiedlungsketten durchbrechen.“

Zusammen mit dem Team um Prof. Nicola Segata von der Universität Trento suchten die Wissenschaftler:innen in Metaanalysen nach Assoziationen der Segatellen mit bestimmten Erkrankungen, die sich jedoch nicht finden ließen. Dafür zeigte sich, dass Segatellen häufiger beim männlichen Geschlecht vorkommen und mit einem positiven Zustand des Herz-Kreislauf-Systems assoziiert sind. Die Ergebnisse publizierten die Forschenden im Fachjournal Cell Host & Microbe.

In einer zweiten Studie ging das Forschungsteam dem häufigeren Vorkommen von Segatellen bei Männern auf den Grund. Dazu nutzten sie sowohl Mikrobiom-Daten als auch per Fragebogen erfasste Informationen der Studienteilnehmer, die am Universitätsklinikum Essen unter der Leitung von Dr. Jan Kehrmann rekrutiert wurden. Besonders häufig waren Segatellen im Mikrobiom von Männern vertreten, die gleichgeschlechtlichen Sex hatten, und ihr Vorkommen war auch mit dem Sexualverhalten assoziiert. „Rund 70 Prozent der Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex praktizierten, hatten Spezies mehrerer Segatella-Gruppen im Darmmikrobiom, während dies nur bei etwa zehn Prozent der westlichen Gesamtbevölkerung vorkommt. Damit wiesen diese Männer ein Mikrobiom auf, das dem von Menschen in nicht-industrialisierten Regionen sehr ähnlich ist und deutlich vom durchschnittlichen Mikrobiom industrialisierter Gesellschaften abweicht“, sagt Jan Kehrmann, Wissenschaftler an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Die Ergebnisse wurden jetzt in Cell Reports Medicine publiziert.

Die Auswertung der Angaben zum Sexualverhalten ergab, dass eine höhere Segatella-Vielfalt vor allem von häufigem Partnerwechsel begünstigt wurde. Einen geringeren Einfluss hatten ungeschützter Analverkehr sowie Oralverkehr. Die analysierten Daten wurden im Rahmen einer Studie zu HIV erhoben und stammten von HIV-positiven und HIV-negativen Männern. Beide Probandengruppen ließen sich jeweils aufteilen in Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex praktizieren bzw. nicht praktizieren. Ein Einfluss der HIV-Infektion auf die Vielfalt der Segatella-Arten im Darm konnte nicht beobachtet werden. „Die untersuchten Faktoren im Sexualverhalten sind keineswegs auf Männer beschränkt, die gleichgeschlechtlichen Sex haben. Daher haben wir weitere Studien über das Mikrobiom bei unterschiedlichem Sexualverhalten geplant, die alle Geschlechter einbeziehen“, sagt Till Strowig.

Bei vielen Krankheiten wie chronisch entzündlichen Darmerkrankungen weist das Mikrobiom eine reduzierte Artenvielfalt auf, weshalb ein vielfältigeres Mikrobiom als positiv für die Gesundheit gesehen wird. „Mechanistisch ist der Zusammenhang zwischen mikrobieller Vielfalt im Darm und positivem Effekt auf die Gesundheit noch nicht verstanden“, sagt Strowig. „Unsere bisherigen Studienergebnisse zeigen aber, dass es für darmassoziierte Segatellen verschiedene Übertragungswege gibt, die die Vielfalt der mikrobiellen Welt beeinflussen.“

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. http://www.helmholtz-hzi.de

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Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Till Strowig
Leiter der Abteilung Mikrobielle Immunregulation
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH
Tel.: 0531 6181-4701

Originalpublikation:

Kun D. Huang, Lena Amend, Eric J.C. Gálvez, Till-Robin Lesker, Romulo de Oliveira, Agata Bielecka, Aitor Blanco-Míguez, Mireia Valles-Colomer, Isabel Ruf, Edoardo Pasolli, Jan Buer, Nicola Segata, Stefan Esser, Till Strowig, Jan Kehrmann: Establishment of a non-Westernized gut microbiota in men who have sex with men is associated with sexual practices. Cell Reports Medicine (2024), DOI: 10.1016/j.xcrm.2024.101426

Aitor Blanco-Míguez et al: Extension of the Segatella copri complex to 13 species with distinct large extrachromosomal elements and associations with host conditions. Cell Host & Microbe (2023), DOI: 10.1016/j.chom.2023.09.013

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