Auch die Zubereitung macht das Gift

Risspilz im Wald
(c) Dirk Hoffmeister/Leibniz-HKI

Pilze gibt es in atemberaubender Vielfalt hinsichtlich Form, Farbe und Größe. Besonders im Herbst schwärmen Pilzsuchende in die Wälder, um die schmackhaftesten unter ihnen zu finden, vielfältig zuzubereiten und mit Genuss zu verzehren. Allerdings finden sich bekanntermaßen auch giftige Pilze unter ihnen, die zu unterscheiden lebenswichtig ist. Aber sind die Pilze wirklich giftig?

Chemische Struktur von 4′-Phosphomuscarin
(c) Sebastian Dörner/Leibniz-HKI

Forschende der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI) sind dieser Frage nachgegangen und veröffentlichten kürzlich die Ergebnisse einer Studie zum Muscarin. Dieses Toxin kommt in verschiedenen Pilzen vor, der bekannteste darunter ist der Fliegenpilz (𝘈𝘮𝘢𝘯𝘪𝘵𝘢 𝘮𝘶𝘴𝘤𝘢𝘳𝘪𝘢), der dem Gift auch seinen Namen gab. Erheblich höhere Konzentration von Muscarin kommen jedoch in Risspilzen und manchen Trichterlingen vor. Ein Team um Dirk Hoffmeister, Professor am Institut für Pharmazie der Universität Jena und mit seiner Gruppe an das Leibniz-HKI assoziiert, konnte nun zeigen, dass Muscarin in Pilzen nicht nur als solches vorhanden ist, sondern auch als harmlose Vorstufe gespeichert wird und erst bei Verletzung der Pilze freigesetzt werden kann.

𝗩𝗲𝗿𝘀𝘁𝗲𝗰𝗸𝘁𝗲 𝗚𝗶𝗳𝘁𝗲

Muscarin wurde vor über 150 Jahren als erstes Pilzgift überhaupt entdeckt. Die aktuelle Studie konnte belegen, dass es beispielsweise beim Rinnigbereiften Trichterling (𝘊𝘭𝘪𝘵𝘰𝘤𝘺𝘣𝘦 𝘳𝘪𝘷𝘶𝘭𝘰𝘴𝘢) in Form des wenig giftigen 4′-Phosphomuscarin gespeichert wird. „Es gibt Hinweise, dass noch andere Substanzen vorkommen, denn reines Muscarin wirkt offenbar anders als ein muscarinhaltiger Pilz“, sagt Sebastian Dörner, Doktorand in Hoffmeisters Team. Der Rinnigbereifte Trichterling ist auch als Falscher Champignon bekannt und kann mit dem echten Champignon leicht verwechselt werden. Erst bei Verletzung des Pilzes durch Schneiden, Kochen oder die Verdauung setzt ein Enzym das giftige Muscarin aus diesem Vorläufermolekül frei. In anderen Pilzen liegt Muscarin jedoch bereits in seiner aktiven Form vor. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Organismen Abwehr- und Schutzreaktionen zeigen, wenn sie – beispielsweise durch Tierfraß – beschädigt werden.

Die Mischung aus freiem aktivem und „verstecktem“ inaktivem Muscarin, das erst durch den Verzehr zum aktiven Gift wird, erhöht die Gefährlichkeit bestimmter Pilzarten wie den Trichterlingen.

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Die Ergebnisse des Teams wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift 𝘈𝘯𝘨𝘦𝘸𝘢𝘯𝘥𝘵𝘦 𝘊𝘩𝘦𝘮𝘪𝘦 𝘐𝘯𝘵𝘦𝘳𝘯𝘢𝘵𝘪𝘰𝘯𝘢𝘭 𝘌𝘥𝘪𝘵𝘪𝘰𝘯 veröffentlicht. Sie könnten Ärzten und Toxikologen dabei helfen, die tatsächliche Gefahr bestimmter Pilzarten besser einzuschätzen und Vergiftungen effizienter zu behandeln.

Muscarin greift in die Signalübertragung durch den Botenstoff Acetylcholin ein und führt zu einer Dauererregung. Die Folgen sind vermehrter Speichel- und Tränenfluss, Schweißausbruch, Erbrechen, Durchfall und Kreislaufkollaps bis hin zur tödlichen Herzlähmung. Dabei ist es unerheblich, ob das Gift bereits in freier Form oder als Vorstufe aufgenommen wurde, die erst im Körper aktiviert wird. Die korrekte Identifizierung essbarer Pilze ist also nach wie vor eine wichtige Voraussetzung für eine genussvolle und unbeschwerte Pilz-Mahlzeit.

Die Arbeit entstand in Kooperation des Teams um Dirk Hoffmeister mit der Gruppe um Christian Hertweck, Abteilungsleiter am Leibniz-HKI und ebenfalls Professor an der Universität Jena. Die Studie wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereiches ChemBioSys von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. D. Hoffmeister
Pharmazeutische Mikrobiologie
+49 3641 9-49850
dirk.hoffmeister@leibniz-hki.de

Originalpublikation:

Dörner S, Trottmann F, Jordan PM, Rogge K, Bartels B, Werz O, Hertweck C, Hoffmeister D (2024) The fatal mushroom neurotoxin muscarine is released from a harmless phosphorylated precursor upon cellular injury. 𝘈𝘯𝘨𝘦𝘸𝘢𝘯𝘥𝘵𝘦 𝘊𝘩𝘦𝘮𝘪𝘦 𝘐𝘯𝘵𝘦𝘳𝘯𝘢𝘵𝘪𝘰𝘯𝘢𝘭 𝘌𝘥𝘪𝘵𝘪𝘰𝘯

https://doi.org/10.1002/anie.202417220

https://www.leibniz-hki.de/de/pressemitteilung/auch-die-zubereitung-macht-das-gift.html

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Maria Schulz Pressestelle
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI)

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