Auch Wurzeln können Wärme messen

Je nach Temperatur sind die Pflanzen sehr unterschiedlich gewachsen. Zu sehen sind die Ackerschmalwand, Gemüsekohl und Tomate (von links).
(c) Uni Halle / Carolin Delker

Studie zu Pflanzen:

Pflanzenwurzeln verfügen über ein eigenes Thermometer, um die Temperatur im Boden zu messen und ihr Wachstum daran anzupassen. Das zeigt eine neue Studie unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) im “The EMBO Journal”. Bislang ging man davon aus, dass der Pflanzenspross das Wurzelwachstum steuert. Mit umfangreichen Experimenten konnten die Forschenden diese Annahme widerlegen und eine neue Erklärung dafür liefern, wie Wurzeln selbst auf höhere Temperaturen reagieren. Die Ergebnisse könnten dabei helfen, neue Ansätze für die Pflanzenzüchtung zu entwickeln.

Die Forschenden untersuchten in Klimakammern, wie die Pflanzen Ackerschmalwand, Gemüsekohl und Tomaten auf steigende Umgebungstemperaturen reagieren. Dabei hoben sie die Temperatur von 20 auf 28 Grad Celsius an. “Bisher ging man davon aus, dass der Pflanzenspross den Prozess für die Pflanze insgesamt steuert und der Wurzel über eine Art Langstreckensender ein Signal gibt”, sagt Prof. Dr. Marcel Quint vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der MLU. Das konnte sein Team nun in Kooperation mit Forschenden des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB), der ETH Zürich und des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln mit umfangreichen Experimenten widerlegen. In einem Versuch schnitten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Spross der Pflanzen ab, ließen aber die Wurzeln weiterwachsen.

“Wir konnten beobachten, dass die Wurzeln bei erhöhten Temperaturen trotzdem genauso wuchsen wie bei Pflanzen mit intaktem Spross: Durch die erhöhte Temperatur wurde ihre Zellteilung angekurbelt und die Wurzeln wurden deutlich länger”, sagt Quint. Das Team nutzte auch mutierte Pflanzen, deren Spross nicht mehr auf Temperaturen reagieren konnte. Dieser wurde dann auf Wurzeln gepfropft, die diesen Defekt nicht hatten. Auch hier konnten die Wurzeln auf die Wärme im Boden reagieren, während das beim Spross nicht passierte.

Für alle Versuche stellten die Forschenden fest, dass in den Wurzelzellen mehr von dem Wachstumshormon Auxin produziert und dann in die Wurzelspitzen transportiert wird. Dort sorgt es dafür, dass die Zellteilung angekurbelt wird und die Wurzeln so weiter in die Tiefe reichen. “Wärme und Trockenheit treten meist gemeinsam auf. Für die Pflanzen ist es daher sinnvoll, tiefere und kühlere Schichten mit Wasservorräten zu erschließen”, erklärt Quint.

Im Pflanzenspross läuft ein ähnlicher Prozess ab, der bereits seit Längerem bekannt ist. Allerdings sorgt das Auxin hier dafür, dass die Zellen gestreckt werden: Der Spross wird länger, die Blätter werden schmaler und stehen weiter voneinander ab.

Die Studie liefert auch Hinweise für die Pflanzenzüchtung. “Angesichts des Klimawandels wird das Wurzelwachstum für die Züchtung immer wichtiger. Damit lassen sich Pflanzen womöglich effektiv gegen Trockenstress rüsten und langfristig stabile Erträge erzielen”, so Quint. Je genauer die molekularen Signalwege in den Pflanzen verstanden werden, desto besser lassen sich mögliche Ansatzpunkte für die Züchtung entwickeln. Hierzu wird das Team um Quint auch in den kommenden Jahren forschen: Vor wenigen Wochen bewilligte ihm die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) etwa 500.000 Euro für ein neues Forschungsprojekt zu genau diesem Thema.

Die Studie wurde von der DFG, vom Chinesischen Stipendienfonds, von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Alexander von Humboldt-Stiftung und der Max-Planck-Gesellschaft gefördert.

Originalpublikation:

Studie: Ai H. et al. Auxin-dependent regulation of cell division rates governs root thermomorphogenesis. The EMBO Journal (2023): doi: 10.15252/embj.2022111926
https://doi.org/10.15252/embj.2022111926

http://www.uni-halle.de

Media Contact

Tom Leonhardt Stabsstelle Zentrale Kommunikation
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Ein neuer Blick auf Unordnung in Supraleitern

Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) in Deutschland und des Brookhaven National Laboratory in den USA hat eine neue Methode zur Untersuchung von Unordnung in…

Zukunftstechnologie Lebende Materialien

Wissenschaftler aus der ganzen Welt treffen sich in Saarbrücken. 200 Forschende aus 13 Ländern treffen sich schon zum dritten Mal auf Einladung des INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien in…

Nach dem Schlucken kommt das Hochgefühl

Forscher der Universitäten Bonn und Cambridge haben einen wichtigen Regelkreis für den Essvorgang identifiziert. Demnach verfügen Fliegenlarven in ihrer Speiseröhre über spezielle Sensoren. Diese schlagen an, sobald die Tiere etwas…

Partner & Förderer