Auf dem Weg zur Symbiose
Forschende entdecken, wie Kooperation zwischen verschiedenen Mikroorganismen entstehen kann.
Marburger Max-Planck-Forschende haben anhand einer synthetischen Mikrobengemeinschaft untersucht, wie sich schrittweise ein gegenseitiger Nutzen herausbildet. Die Studie zeigt erstmals im Detail, wie es in Lebensgemeinschaften verschiedener Organismengruppen zu einem evolutionären Verlust der Unabhängigkeit kommen kann.
Mutualismus ist eine Beziehung zwischen Organismen zweier verschiedener Arten, von der beide profitieren. Er ist bei Tieren und Pflanzen bekannt, spielt aber auch in der mikrobiellen Welt eine wichtige Rolle, wo verschiedene Arten auf engstem Raum zusammenleben. Mikroorganismen bilden oft Gemeinschaften, in denen sie Stoffwechselprodukte austauschen. Doch wie kann sich Kooperation gegen egoistisches Verhalten durchsetzen? Bisherige Forschungserkenntnisse beruhen vor allem auf evolutionären „Momentaufnahmen“ natürlicher Symbiosen, so dass die genauen Mechanismen, die zum allmählichen Verlust der Unabhängigkeit in solchen Gemeinschaften führen, weitgehend im Dunkeln liegen.
Forschende um Prof. Dr. Victor Sourjik, Direktor am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg, wollten den Mechanismen auf die Spur kommen, die der Evolution des mikrobiellen Mutualismus zugrunde liegen. Dazu stellten sie diesen Prozess im Labor nach. Sie konstruierten eine synthetische Gemeinschaft zwischen einem prokaryotischen Partner (dem Bakterium Escherichia coli) und einem eukaryotischen Partner, der Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae), und liessen diese unter Bedingungen evolvieren, unter denen die Partner nur gemeinsam wachsen konnten.
Das Team beobachtete während dieser experimentellen Evolution nicht nur eine Verstärkung der konstruierten Eigenschaften, sondern auch die Entstehung einer neuen Ebene gegenseitiger Abhängigkeit zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft. „Wir fanden heraus, dass der Hefepartner in Bezug auf den Stickstoffstoffwechsel stark von seinem bakteriellen Partner abhängig wurde – ein Phänomen, das in natürlichen Symbiosen häufig vorkommt“, erklärt Dr. Giovanni Scarinci, der Erstautor der Studie.
Die umfassende Multi-Omics-Analyse der Änderungen in Genomen, der Stoffwechselprodukte und Proteine sowie der Physiologie der entstandenen Gemeinschaft zeigte, dass die Selektion auf gegenseitigen Nutzen wiederholt indirekt erfolgte: Merkmale, die die Zusammenarbeit fördern, waren offenbar mit anderen vorteilhaften Merkmalen gekoppelt. Als Ursache fanden die Forschenden sowohl Pleiotropien (ein Gen beeinflusst mehrere Merkmale) als auch Trade-offs (ein Merkmal kann nicht abnehmen, ohne dass ein anderes zunimmt).
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Pleiotropie auch die Evolution neuer mutualistischer Interaktionen vorantreiben kann“, sagt Victor Sourjik. „Im Gegensatz dazu konnten wir keine Beweise für Gruppenselektion finden, obwohl dieser Mechanismus allgemein als Motor für die Evolution von Mutualismus postuliert wird.“
Giovanni Scarinci fügt hinzu: „Unsere synthetische Lebensgemeinschaft aus Bakterien und Hefen ist ein ideales Modell, da Stoffwechsel und Genregulation beider Organismen bereits gut verstanden sind. Außerdem sind an vielen natürlichen symbiotischen Interaktionen sowohl eukaryotische als auch bakterielle Partner beteiligt, was dieses Modell besonders relevant macht.“
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Victor Sourjik
Direktor Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, Marburg +49 6421 28-21400 victor.sourjik@mpi-marburg.mpg.de
Originalpublikation:
Scarinci, G.; Ariens, J.-L.; Angelidou, G.; Schmidt, S.; Glatter, T.; Paczia, N.; Sourjik, V.
Enhanced metabolic entanglement emerges during the evolution of an interkingdom microbial community
Nature Communications August 22 (2024)
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