Auf den Plastik-Geschmack gekommen

Die Struktur von PET46 ähnelt der von bereits bekannten Enzymen wie IsPETase und LCC und weist dabei einzigartige Merkmale auf. Beispielhaft ist der ungewöhnliche „Deckel“, der in der Abbildung in hellgrüner Farbe hervorgehoben ist.
© Perez-Garcia, P., Chow, J., Costanzi, E. et al. (2023)

Erstmals entdeckt: Neues Enzym aus der Tiefsee baut den Kunststoff PET ab.

Plastikverschmutzung verändert zunehmend die Gesundheit der Küsten und Meere. Ein hierbei bekanntes Problem sind Plastikflaschen, die aus dem Kunststoff Polyethylenterephthalat, kurz PET, hergestellt werden. Eine neue Studie, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Arbeitsgruppe von Professorin Ruth Schmitz-Streit von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) beteiligt waren, hat erstmals anhand von Mikroorganismen aus der Tiefsee gezeigt, dass Polymere wie PET kontinuierlich durch ein Enzym abgebaut werden. An der Studie haben auch Forschende der Universität Hamburg und Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf maßgeblich mitgewirkt. Die Ergebnisse erweitern grundlegend das Wissen über PET-abbauende Enzyme, den zugrundeliegenden Mechanismus sowie das evolutionäre Verständnis über die Vielfalt mutmaßlicher PET-abbauender Enzyme im gesamten globalen Ozean. Das Forschungsteam veröffentlichte die Ergebnisse kürzlich im Fachjournal Communications Chemistry und diskutierte dabei sowohl biotechnologische Anwendungen als auch die hohe Relevanz für biogeochemische Prozesse im Meer und an Land.

Die Studie verdeutlicht eine Besonderheit des PET-abbauenden Enzyms. „Wir haben in unserer Studie eine neue genetische Ressource aus Tiefseeorganismen aus dem Reich der Archaeen entdeckt“, sagt Professorin Ruth Schmitz-Streit, Leiterin der Arbeitsgruppe Molekularbiologie der Mikroorganismen vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie (IfAM) und Mitglied im CAU-Forschungsschwerpunkt Kiel Marine Science (KMS). Bisher bekannt waren etwa 80 verschiedene PET-abbauenden Enzyme, die überwiegend in Bakterien oder Pilzen gefunden wurden. „Unsere Daten tragen dazu bei, das Wissen über die ökologische Rolle der Tiefsee-Archaeen und die mögliche Zersetzung von PET-Abfällen im Meer zu erweitern“, so die Mikrobiologin.

Das neue Enzym: PET46

Das Forschungsteam hat erstmals das PET-abbauende Enzym PET46 aus einem nicht-kultivierten Tiefsee-Mikroorganismus mit einem metagenomischen Ansatz identifiziert und biochemisch beschrieben. Dazu wurde das Gen aus einer Tiefseeprobe anhand von Ähnlichkeiten zu bekannten Sequenzen identifiziert, das entsprechend kodierende Gen synthetisiert, das Protein in dem Bakterium Escherichia coli hergestellt und anschließend biochemisch und strukturell untersucht. PET46 besitzt viele ungewöhnliche Eigenschaften und erweitert den bekannten Bestand PET-abbauender Enzyme um einen fundamental neuen Bauplan. Strukturell unterscheidet sich das Enzym deutlich von bisher entdeckten Enzymen. Dadurch besitzt es die Fähigkeit sowohl sehr langkettige PET-Moleküle, sogenannte Polymere, als auch kurzkettigere PET-Moleküle, sogenannte Oligomere, abzubauen, wodurch der Abbau kontinuierlich ablaufen kann.

PET46 verwendet dabei unter anderem einen völlig anderen Mechanismus zur Substratbindung im Vergleich zu den bisher bekannten PET-abbauenden Enzymen. Das Forschungsteam beschreibt einen ungewöhnlichen „Deckel“ aus 45 Aminosäuren oberhalb des aktiven Enzymzentrums als entscheidend für die Bindung. Bei anderen PET Enzymen sind aromatische Aminosäuren nahe des aktiven Zentrums typisch.

Vielversprechende Anwendungen in der Biotechnologie

Auf molekularer Ebene weist PET46 große Ähnlichkeiten zu einem anderen Enzym, der Ferulasäure-Esterase, auf. Dieses baut das natürliche Polymer Lignin in Pflanzenzellwänden ab, indem sie Lignin-Polymere spalten und so den Zucker aus verholzen Pflanzenteilen lösen. Lignin und PET haben viele strukturelle Ähnlichkeiten, so dass die PET-abbauenden Enzyme in der Natur z.B. für die Kompostierung von Holz im Waldboden wichtig sein können.

Die biochemischen Eigenschaften von PET46 machen es damit sowohl für Kunststoffe aus dem Meer und von Land als auch biotechnologisch zu einem sehr interessanten Enzym. Im Vergleich zu bisher am detailliertesten beschriebenen PET-abbauenden Enzymen aus Bakterien und aus Kompostanlagen ist PET46 bei 70 Grad Celsius effizienter als andere Referenzenzyme bei ihren jeweiligen Optimums-Temperaturen.

Die Forschungsergebnisse sind im Projekt PLASTISEA entstanden, das von Professorin Ute Hentschel Humeida vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordiniert wird. Maßgeblich beteiligt an der Studie waren Erstautorin Dr. Jennifer Chow von der Universität Hamburg und Erstautor Dr. Pablo Pérez-Garcia, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Schmitz-Streit arbeitet. Das Projekt PLASTISEA wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Aktivität „Neue biotechnologische Prozesse auf der Grundlage mariner Ressourcen – BioProMare“ 2020-2023 (Förderkennzeichen: 031B0867A) gefördert.

Originalpublikation:
Perez-Garcia, P., Chow, J., Costanzi, E., (…), Schmitz-Streit, R., and Streit, W. R. An archaeal lid-containing feruloyl esterase degrades polyethylene terephthalate. Commun Chem 6, 193 (2023). DOI: 10.1038/s42004-023-00998-z, https://www.nature.com/articles/s42004-023-00998-z

Fotos stehen zum Download bereit:
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Die Struktur von PET46 ähnelt der von bereits bekannten Enzymen wie IsPETase und LCC und weist dabei einzigartige Merkmale auf. Beispielhaft ist der ungewöhnliche „Deckel“, der in der Abbildung in hellgrüner Farbe hervorgehoben ist.
© Perez-Garcia, P., Chow, J., Costanzi, E. et al. (2023)

https://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2023/227-ruth-schmitz-streit.jpg
Professorin Ruth Schmitz-Streit und Forschende aus ihrer Arbeitsgruppe an der Uni Kiel waren an der neuen Studie über das erstmalig-beschriebene PET-abbauende Enzym PET46 aus einem nicht-kultivierten Tiefsee-Mikroorganismus beteiligt.
© Stefan Kolbe

Über Kiel Marine Science (KMS)
Kiel Marine Science (KMS) ist das Zentrum für interdisziplinäre Meereswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). KMS bildet die organisatorische Einheit für alle natur-, geistes- und sozialwissenschaftlich arbeitenden Forscherinnen und Forscher, die sich mit den Meeren, Küsten und den Einfluss auf die Menschheit beschäftigen. Die Expertise der Gruppen kommt beispielsweise aus den Bereichen der Klimaforschung, der Küstenforschung, der Physikalischen Chemie, der Botanik, aus der Mikrobiologie, der Mathematik, der Informatik, der Ökonomie oder aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Insgesamt umfasst KMS über 70 Arbeitsgruppen an sieben Fakultäten und aus über 26 Instituten. Gemeinsam mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft arbeiten sie weltweit und transdisziplinär an Lösungen für eine nachhaltige Nutzung und den Schutz des Ozeans.
https://www.uni-kiel.de/de/forschung/forschungsschwerpunkte/kiel-marine-science

Weiterführende Informationen:
Zur Arbeitsgruppe Molekularbiologie der Mikroorganismen, https://www.mikrobio.uni-kiel.de/de/ag-schmitz-streit
Über die CAU-Forschungsinitiative Ocean Health, https://www.uni-kiel.de/de/forschung/forschungsschwerpunkte/kiel-marine-science/…
Über das Projekt PLASTISEA, https://www.geomar.de/forschen/fb3/fb3-ms/projekte/plastisea

Wissenschaftliche Kontakte:
Prof. Dr. Ruth Schmitz-Streit
Molekularbiologie der Mikroorganismen, Leitung
Institut für Allgemeine Mikrobiologie (IfAM)
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
E-Mail: rschmitz@ifam.uni-kiel.de
Telefon: 0431/880-4334

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Originalpublikation:

https://www.nature.com/articles/s42004-023-00998-z

Weitere Informationen:

https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/227-pet46-enzym-plastikabbau

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