Bakterien mit versteckten Waffen

3D-Struktur des RhsA-Effektors von Pseudomonas protegens. RhsA kapselt seine toxische Effektordomäne ein (rot). Der Kokon wird durch den Korken (gelb) verschlossen. Die Spaltung im Inneren von RhsA erfolgt über die blaue Autoproteolyse-Domäne.
MPI für molekulare Physiologie

Korken sichert Kapsel mit Toxinen.

Neue Erkenntnisse über das bakterielle Typ-VI-Sekretionssystem könnten eines Tages dazu beitragen, antibakterielle und antimykotische Anwendungen zu entwickeln.

Das Mikrobiom beherbergt schätzungsweise 100 Billionen Bakterien, die in einer dichten Kolonie aus vielen verschiedenen Stämmen und Arten leben. Wie alle Organismen befinden sich auch Bakterien in einem ständigen Wettstreit um Raum und Ressourcen; sie führen diesen „Krieg“, indem sie Giftstoffe freisetzen, mit denen sie Konkurrenten töten. Eine der vielen bakteriellen Waffen in diesem unvermeidlichen Kampf ist das Typ-VI-Sekretionssystem (T6SS), das toxische Effektoren in die Feinde transportiert.

Die Gruppen um Stefan Raunser vom Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund und John Whitney von der McMaster University in Kanada haben nun gemeinsam die hochaufgelöste 3D-Struktur eines solchen Effektors von Pseudomonas protegens mittels Kryo-Elektronenmikroskopie aufgeklärt. Das Effektorprotein namens RhsA hat eine toxische Komponente, die entsichert und abschussbereit in einem molekularen Kokon sitzt, der durch eine korkenartige Struktur versiegelt ist. Ihre neuen Erkenntnisse werden nicht nur dazu beitragen, die Funktionsweise der T6SS-Maschinerie zu verstehen, sondern auch die künftige Entwicklung von antibakteriellen Behandlungen und Pflanzenschutzstrategien zu fördern.

Das nützliche Bakterium Pseudomonas protegens schützt Pflanzen vor Pilzen und Bakterien. Tatsächlich liegt diesem scheinbar selbstlosen Akt ein komplexes System zugrunde, aus dem heraus die Bakterien durch die Beseitigung ihrer Konkurrenten versuchen, eine biologische Nische zu besetzen. Zu diesem Zweck haben die Bakterien ein Arsenal von Giften und eine Vielzahl von Injektionssystemen entwickelt und sich so für den Kampf gerüstet.

Wie ein Giftpfeil

Bild vergrößern…
Das Modell zeigt die Bewaffnung des Effektors (blau) und des Giftpfeils (grün). Zunächst werden der Korken und das Toxin vom Rest des Proteins abgespalten (Schere), das dann an den Giftpfeil gebunden wird.
MPI für molekulare Physiologie

Einer der am häufigsten genutzten Injektionsapparate in Gram-negativen Bakterien ist das Typ-VI-Sekretionssystem. Wird diese Maschinerie aktiviert, entsteht im Zellinneren ein Nanoröhrchen, durch das ein Giftpfeil mit tödlichen toxischen Proteinen an der Spitze auf einen Rivalen geschossen wird. Die 3D-Struktur eines dieser toxischen Proteine, die des bakteriellen RhsA-Effektors, wurde nun von den Teams um Stefan Raunser und John Whitney aufgedeckt. Die Forschenden fanden heraus, dass der RhsA-Effektor aus drei zusammenhängenden Teilen besteht: der toxischen Waffe selbst, einem sie umgebenden Kokon und einem versiegelten, korkenähnlichen Stopfen, der den Kokon vollständig verschließt.

Eine bakterielle Waffe wird scharf gemacht

„Der Kokon schützt das Bakterium vor seinem selbst produzierten Toxin“, sagt Stefan Raunser. „Eine ganz ähnliche Strategie haben wir bereits bei bakteriellen Tc-Toxinen beobachtet.“ Die Forschenden haben auch gezeigt, dass das Effektorprotein selbst die Versiegelung und das Toxin vom Rest des Proteins abschneidet und so die tödliche Waffe scharf macht. Die Freisetzung der toxischen Komponente ist jedoch nicht möglich, da das Siegel den Kokon noch verschlossen hält. „Wir vermuten, dass eine mechanische Kraft erzeugt wird, wenn der Giftpfeil in das feindliche Bakterium eindringt. Diese entfernt dann das abgespaltene Siegel, ähnlich wie beim Knallen eines Sektkorkens. Damit wäre sichergestellt, dass das Gift zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle freigesetzt wird“, sagt Stefan Raunser.

In einer Reihe früherer gemeinsamer Projekte haben die Forschenden bereits viele Erkenntnisse über die Funktionsweise des T6SS-Injektionssystems gewonnen. So konnten sie aufdecken, wie die Effektoren in der Zelle transportiert werden, wie sie auf den Giftpfeil geladen werden und wie der Pfeil dann in die Wirtszelle gebracht wird. „Unsere jüngste gemeinsame Arbeit liefert nun molekulare Einblicke in den Bewaffnungsprozess von Rhs-Effektoren und seine Bedeutung für die Freisetzung von Toxinen. Ich bin sehr optimistisch, dass unsere weitere Zusammenarbeit noch mehr Details der T6SS-Maschinerie aufdecken wird. Dies könnte eines Tages die Entwicklung von Bakterien mit verbesserten Fähigkeiten zur Unterdrückung von Krankheitserregern ermöglichen, die für antibakterielle und antimykotische Anwendungen nützlich sind“, sagt John Whitney.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Stefan Raunser
Structural Biochemistry
stefan.raunser@mpi-dortmund.mpg.de
https://www.mpi-dortmund.mpg.de/research-groups/raunser

Originalpublikation:

Günther P, Quentin D, Ahmad S, Sachar K, Gatsogiannis C, Whitney JC, Raunser S (2022). Structure of a bacterial Rhs effector exported by the type VI secretion system. PLoS Pathog https://doi.org/10.1371/journal.ppat.1010182

http://www.mpi-dortmund.mpg.de

Media Contact

Johann Jarzombek Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…