"Bausteine des Lebens" können auch unnatürlich sein
Aminosäuren gelten als Bausteine des Lebens und haben aufgrund ihrer individuellen Struktur sehr spezielle Charakteristika. ChemikerInnen der Universität Wien um Nuno Maulide gelang es, so genannte unnatürliche Aminosäuren herzustellen, die wichtige Komponenten für die Arzneimittelforschung sein können. Um diese komplexe chemische Reaktion zu verstehen, führte ein Team von theoretischen ChemikerInnen um Leticia González aufwändige Computersimulationen durch. Die Ergebnisse erscheinen aktuell im renommierten Fachmagazin „Journal of the American Chemical Society“.
Aminosäuren sind organische Verbindungen, bestehend aus einer Amino- und einer Säurefunktion, die – wenn sie sich mit weiteren Aminosäuren koppeln – lange Sequenzen bilden: so genannte Proteine. Abgesehen von Proteinen spielen Aminosäuren zum Beispiel auch bei der Biosynthese, im Metabolismus oder als Neurotransmitter eine große Rolle.
„Es sind rund 500 Aminosäuren bekannt, die sich nur in den so genannten Seitenketten unterscheiden. Diese befinden sich exakt zwischen der Amin- und der Säurefunktion des Moleküls“, sagt Nuno Maulide, Professor für organische Synthese an der Universität Wien.
Die exakte Struktur dieser Seitenketten gibt jeder Aminosäure einen sehr speziellen Charakter. Deshalb suchen ChemikerInnen neue Wege, um so genannte „unnatürliche“ Aminosäuren zu schaffen. Diese „künstlichen“ Aminosäuren sind nichts anderes als Verbindungen ähnlicher Struktur, die jedoch sehr interessante oder nützliche Eigenschaften haben können.
„Unnatürliche Aminosäuren sind außerordentlich wichtige Komponenten in der modernen Arzneistoffforschung. Ihre strukturelle als auch funktionelle Vielfältigkeit hilft uns dabei, biologische Systeme besser zu verstehen“, erklärt Nuno Maulide.
Moleküle wie Bausteine verwenden
Die Arbeitsgruppe von Maulide hat einen einfachen Weg zur direkten Herstellung von Aminosäurederivaten entwickelt, welche direkt in Polypeptid oder Proteinstrukturen eingebunden werden könnten. „Seit 2009 untersuchen wir die Reaktivität von hochenergetischen Spezies mit dem Namen Keteniminium-Ionen, die einfach aus Amiden generiert werden können“, so Nuno Maulide.
„Nun haben wir herausgefunden, dass man sie in einem simplen und flexiblen Schritt direkt zu Aminosäurederivaten umwandeln kann“, betont der portugiesische Forscher. „Im Prinzip machen wir es wie mit einem Baukasten: Wir nehmen ein Amid, trennen eine C-H-(Kohlenstoff-Wasserstoff-) Bindung und setzen stattdessen eine Aminogruppe dran – und das mit praktisch unendlich vielen Kombinationsmöglichkeiten“, scherzt Maulide.
Eine Kooperation mit Verlust von Stickstoff
Das Reagenz, das das Einschleusen der Aminogruppe ermöglicht, ist ein organisches Azid. Azide sind reaktive Substanzen, die eine Aminogruppe übertragen können – die treibende Kraft der Reaktion ist die Abspaltung von Stickstoff, der dabei verlorengeht. „Dank computergestützter Chemie konnten wir dieses Phänomen besser verstehen“, erklären Veronica Tona und Aurélien de la Torre vom Institut für Organische Chemie der Universität Wien.
„Die theoretische Chemie kann dabei helfen, den Verlauf von komplexen chemischen Reaktionen zu verstehen oder sogar zu steuern“, ergänzt Leticia González, Professorin für theoretische Chemie an der Universität Wien. „Das ist eine win-win Situation für beide Seiten und das Ganze ist, wie bereits von Aristoteles gesagt, mehr als die Summe seiner Teile“, zitiert Nuno Maulide.
Publikation in „Journal of the American Chemical Society“
„Chemo- and Stereoselective Transition Metal-Free Amination of Amides with Azides“: Veronica Tona, Aurélien de la Torre, Mohan Padmanaban, Stefan Ruider, Leticia González and Nuno Maulide, in: Journal of the American Chemical Society, 2016.
DOI: 10.1021/jacs.6b04061
Verwandte Publikation in „Chemical Science“
„Divergent Ynamide Reactivity in the Presence of Azides – An Experimental and Computational Study“: Veronica Tona, Stefan Ruider, Martin Berger, Saad Shaaban, Mohan Padmanaban, Lan-Gui Xie, Leticia González and Nuno Maulide
In: Chemical Science, 2016
DOI: 10.1039/c6sc01945e
Wissenschaftlicher Kontakt
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