Neuartiger Ionenkanal sorgt für Furore

Max-Planck-Wissenschaftler entdecken ersten Licht-gesteuerten Ionenkanal in einer einzelligen Grünalge / Einsatz auf biotechnologischem Gebiet vorstellbar

Wissenschaftler aus der von Prof. Bamberg geleiteten Abteilung „Biophysikalische Chemie“ vom Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt/Main haben jetzt in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Regensburg erstmals einen Kanal entdeckt, der Wasserstoffionen, also Protonen, leitet und direkt durch Licht gesteuert wird (Science, 28. Juni 2002). Sie stießen auf dieses „Kanal-Rhodopsin“ Chop-1 in den „Augen“ einzelliger Algen (Chlamydomonas reinhardtii). Die Expression dieses Kanaltyps in kultivierten Säugerzellen ermöglicht auf eine neue Art, Membranpotenzial und Säuregehalt der Zellen zu verändern – nämlich einfach durch Belichtung. Auch die Eigenschaften anderer Membranproteine sollten sich also zukünftig auf diesem nicht-invasivem Wege untersuchen lassen.

Tierische wie pflanzliche Zellen sind von einer Zellmembran umgeben, die für bestimmte Stoffe selektiv durchlässig ist. Dabei fungieren Kanäle und Pumpen in der Membran quasi als „Durchgangspforten“. Durch diese Membranproteine gelangen geladene Teilchen, so genannte Ionen, von der Zellumgebung ins Zellinnere und umgekehrt. Während Ionenkanäle den passiven Durchtritt von Ionen durch die Membran entlang eines elektrochemischen Gradienten erleichtern, transportieren Ionenpumpen die Ionen unter Verbrauch von Energie über die Zellmembran, und somit auch entgegen dem Gradienten. Ein sehr gut untersuchtes und funktionell verstandenes Membranprotein ist das Bakteriorhodopsin. Hierbei handelt es sich um eine lichtgetriebene Protonenpumpe, d.h. nach Aufnahme von Licht pumpt das Protein positiv geladene Wasserstoffionen, also Protonen, über die Zellmembran von Archaebakterien. Daraus können die Mikroben Energie für ihr Wachstum gewinnen. Die Aufnahme der Lichtquanten erfolgt durch das Retinal, einen Abkömmling des Vitamin A. Es ist der gleiche Lichtempfänger, der sich auch beim tierischen Rhodopsin findet, d.h. also auch beim Sehfarbstoff im menschlichen Auge. Hier verändert der Rezeptor indirekt das Membranpotential, indem er einen G-Protein gekoppelten Ionenkanal steuert. Damit besitzt das Rhodopsin funktionell große Ähnlichkeit mit vielen anderen Rezeptoren in der Zellmembran, die Signale aufnehmen und über G-Proteine weiter schalten.

Auch in der Membran des kleinen Einzellers Chlamydomonas reinhardtii (Abb.1), einer frei beweglichen Grünalge, sitzt ein Rhodopsin als Photorezeptor. Das haben elektrische Messungen der Arbeitsgruppe um Peter Hegemann von der Universität Regensburg ergeben. Diese beweglichen Mikroalgen stellen die für die Photosynthese optimale Lichtintensität dadurch ein, dass sie sich zum Licht hin oder von ihm fortbewegen. Die Wissenschaftler bezeichnen solche lichtgesteuerten Bewegungen als Phototaxis. Aufgrund dieses Verhaltens muss der Photosyntheseapparat selbst nicht ständig an wechselnde Lichtbedingungen angepasst werden. Der Photorezeptor ist im Bereich des etwa ein Mikrometer großen Augenflecks lokalisiert – von klassischen Botanikern als Stigma bezeichnet. Im Mikroskop erscheint er als kleiner roter Fleck am Zellkörper. Er erlaubt dem Einzeller Intensität und Richtung des einfallenden Lichts zu messen.

Abb. 1: Zwei so genannte Flagellen ermöglichen der einzelligen Grünalge Chlamydomonas reinhardtii gerichtete Schwimmbewegungen.
Quelle: Peter Hegemann, Universität Regensburg

Nach Belichtung aktiviert das Algenrhodopsin Ionenkanäle im Bereich des Augenflecks. Die dadurch hervorgerufene Depolarisation der Zellmembran führt zu einem Einstrom von Kalziumionen, unter anderem auch in die Flagellen, die Bewegungsorganellen der Alge. Sie ändern daraufhin ihre Schlagbewegungen und damit die Schwimmrichtung der Alge. Schon seit langem werden diese „Photoströme“ in der Regensburger Gruppe untersucht. Kontrovers diskutiert wurde jedoch nach wie vor die Frage, ob der Photorezeptor von Chlamydomonas reinhardtii gleichzeitig ein Ionenkanal ist oder aber lediglich eng an einen Ionenkanal gekoppelt ist.

In einer japanischen Genomdatenbank von Chlamydomonas reinhardtii ist Peter Hegemanns Gruppe unlängst auf Sequenzabschnitte gestoßen, die Ähnlichkeiten mit der Sequenz von Bakteriorhodopsin haben. Rhodopsine vom mikrobiellen Typ werden schon seit Jahren in der Abteilung von Ernst Bamberg am MPI in Frankfurt durch Expression in Oozyten, also Eizellen, untersucht (Nagel et al., 1995 FEBS Letters). Dabei wird die Gensequenz in eine Eizelle eingeschleust, dort von der ribosomalen Maschinerie abgelesen und das entsprechende Protein hergestellt. Nachdem sich das Retinalprotein der Alge bisher nicht in ausreichendem Umfang aufreinigen ließ, um es funktionell zu charakterisieren, eröffnete sich mit dem Zugriff auf die Gensequenz (cDNA) ein ganz neuer Ansatz für die Wissenschaftler.

Die Gruppe von Georg Nagel aus der Abteilung Bamberg stellte aus der cDNA eine für die Expression in Eizellen des Krallenfrosches Xenopus laevis (Abb. 2) geeignete analoge RNA her und injizierte sie in die Zellen. Anschließend wurden die elektrischen Eigenschaften der Eizellen unter Belichtung getestet. Die Testreihen ergaben, dass das exprimierte Protein ein völlig neuartiges Membranprotein darstellt: die Absorption von Licht bewirkt nämlich, dass das Algen-Rhodopsin eine passive Leitfähigkeit für Protonen aufweist. Die Wissenschaftler haben es daraufhin Channelrhodopsin-1 (Chop-1) getauft. Weitere Untersuchungen ergaben, dass es sich bei Chop-1 um einen direkt durch Licht gesteuerten Protonen-Kanal handelt und nicht um eine Ionenpumpe.

Abb. 2: Die Eier des Krallenfroschs Xenopus laevis haben sich als Untersuchungssystem für Membranproteine bewährt.
Quelle: Max-Planck-Institut für Biophysik

Der Befund ist in vieler Hinsicht interessant: Es ist das erste Beispiel für einen direkt lichtgesteuerten Ionenkanal. Zudem halten die Wissenschaftler zum ersten Mal die Aminosäuresequenz für einen Protonenkanal in den Händen. Aufgrund der Übereinstimmungen in der Gensequenz liegt es nahe anzunehmen, dass Channelrhodopsin-1 und Bakteriorhodopsin eine gemeinsame Leitstruktur besitzen. Das wiederum bedeutet, dass aus einer Pumpe durch entsprechende Mutation offensichtlich ein Kanal entstehen kann (oder umgekehrt). Ein Vergleich von Kanal und Pumpe wird von den Wissenschaftlern daher mit Spannung erwartet.

Darüber hinaus eröffnen die „Kanal-Rhodopsine“ einen interessanten biotechnologischen Aspekt. Wie die Wissenschaftler beobachten konnten, lässt sich die Zellmembran von Frosch-Eiern mit eingebauten „Kanal-Rhodopsinen“ durch Belichtung depolarisieren. Generell sollte es möglich sein, auch andere kultivierte Zelltypen auf diese Weise, also nicht-invasiv, zu depolarisieren. Dies könnte insbesondere für Hochdurchsatzmessungen an medizinisch relevanten spannungsabhängigen Kanälen von Bedeutung sein.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Georg Nagel
Max-Planck-Institut für Biophysik
Kennedyallee 70
60596 Frankfurt/M.
Tel.: 0 69 – 63 03 – 3 03
Fax: 0 69 – 63 03 – 4 20
E-Mail: georg.nagel@mpibp-frankfurt.mpg.de

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