Riffe aus Bakterien entdeckt

Meereswissenschaftler finden riesige Riffe aus Methan-fressenden Mikroorganismen, die von großer Bedeutung für den globalen Kohlenstoffkreislauf sind

Riesige, bis zu vier Meter hohe Riffe aus Mikroorganismen, die sich von Methan ernähren, haben Wissenschaftler vom Bremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie sowie von der Universität Hamburg in Küstengewässern des Schwarzen Meers entdeckt (Science, 9. August 2002). Die Matten bestehen hauptsächlich aus extrem dichtgepackt lebenden Archaea und Sulfat-reduzierenden Bakterien, die in Symbiose poröse Stütz-Strukturen aus Kalziumkarbonat sowie beträchtliche Mengen an Biomasse produzieren. Diese Entdeckung ist von grundsätzlicher Bedeutung für unser Verständnis der frühen Perioden der Erdgeschichte und die Entstehung der Biosphäre.

Abb. 1 – Riffe aus Mikroorganismen im Schwarzen Meer
Linkes Bild: Ein Dünnschnitt des Riffs wurde für die Epifluoreszenz-Mikroskopie doppelt eingefärbt: 1) mit einer rot-fluoreszierenden RNA-Sonde, die gegen eine spezifische Gruppe von Archaea gerichtet ist; 2) mit einer grün-fluoreszierenden RNA-Sonde, die gegen eine spezifische Gruppe von Sulfat-reduzierenden Bakterien gerichtet ist. Der weiße Balken entspricht einem fünfzigstel Millimeter
Foto: Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Rechtes Bild: Ein Blick aus dem Tauchboot JAGO auf das von Gasblasen umströmte Bakterienriff. Einige der Riffstrukturen sind 4 m hoch und 1 m breit. Sie bestehen fast ausschließlich aus Methan-fressenden Mikroorganismen, sowie aus durch den Methanumsatz ausgefälltem Kalk.
Foto: GHOSTDABS, Universität Hamburg

Der Blick aus dem Tauchboot JAGO auf eine Landschaft von Säulen, Hügeln, Knollen und anderen Riff-Strukturen lässt sich nur schwer mit dem Bild eines Stückchens des Riffs unter 1000facher Vergrößerung im Mikroskop zusammenbringen, das eine enge Vergesellschaftung von zwei unterschiedlichen Zelltypen, Bakterien und Archaea zeigt (Abb. 1). Aber tatsächlich handelt es sich hierbei um so unterschiedliche Mikroorganismen, die als Einzeller gerade einmal einen Tausendstel Millimeter groß werden, und die doch in der Lage sind, enorme Mengen von Methan zu CO2 zu veratmen und dabei riesige Mengen an organischer Masse aufzubauen.

Seit mehr als 30 Jahren haben Wissenschaftler weltweit versucht, Mikroorganismen zu finden, die Methan ohne Sauerstoff veratmen können. Methan ist ein wesentlicher Bestandteil des Erdgases, das wir als fossilen Brennstoff nutzen. Es ist auch ein wichtiges Treibhausgas und entsteht in großen Mengen an Land – vor allem in Reisfeldern und Kuhmägen – sowie im Meer, tief unter dem Meeresboden. Erst vor zwei Jahren ist es einer Arbeitsgruppe aus Mikrobiologen, Molekularökologen und Biogeochemikern am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen gelungen, eine solche Lebensform oberhalb von Gashydratlagern im Meer aufzuspüren (vgl. PRI B 20/2000 (61) „Methan-Fresser im Ozean“). Auch damals handelte es sich um eine Symbiose aus Archaea und Bakterien, die zusammen als winzige Zellklumpen zu Tausenden in methanreichen Meeresböden vorkommen und inzwischen weltweit an gasreichen Standorten gefunden wurden (Abb. 2).

Abb. 2 – Eine verwandte Symbiose aus Methan-fressenden Mikroorganismen. In gashydrathaltigen Sedimenten vom Kontinentalhang vor Oregon, USA wurden die kleinen Aggregate aus Archaebakterien (rot) und Sulfat-reduzierenden Bakterien (grün) zuerst entdeckt. Die Symbiosen bestehen aus durchschnittlich 100 Archaebakterien, die von ca. 200 Sulfat-reduzierenden Bakterien umwachsen werden. Der Durchmesser der Zellklumpen beträgt durchschnittlich 2-3 Tausendstel Millimeter. Das Bild wurde mit einem Konfokalen Laser-Scanning Mikroskop aufgenommen.
Foto: Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Auch im Bodenwasser des größten sauerstofffreien Meeresbeckens der Welt, dem Schwarzen Meer, gibt es genügend Methan. Im Westen der Halbinsel Krim fanden die Meeresforscher mit Hilfe des Forschungs-U-Bootes JAGO jetzt in einer Wassertiefe von 230 Metern ein riesiges Riff. Gasblasen durchströmen kontinuierlich die teilweise bis zu vier Meter hohen und einen Meter breiten Riffstrukturen. Diese bestehen aus dichten Matten von Mikroorganismen, die im Inneren durch kalkartige Ausfällungen von Karbonaten gestützt werden. Das Karbonat entsteht wie Schwefelwasserstoff als Abfallprodukt aus der Oxidation von Methan mit dem im Meerwasser reichlich vorhandenem Sulfat.

Die Riff-bildenden Mikroorganismen im Schwarzen Meer sind Verwandte der im Jahr 2000 entdeckten kleinen Zellklumpen aus Archaea und Bakterien. Auch die Schwarzmeer-Bewohner sind in der Lage, große Mengen von Methan mit Sulfat umzusetzen und als Kohlenstoffquelle für ihr Wachstum zu nutzen. Dies zeigen die Untersuchungen der Forscher von der Universität Hamburg (BMBF-Projekt GHOSTDABS), die in typischen Biomassebestandteilen der Archaea und Bakterien einen hohen Gehalt an Kohlenstoff aus dem Methan nachweisen konnten. Dass diese mikrobiellen Matten enorme Mengen an Methan und Sulfat umsetzen, konnten Katja Nauhaus und Tina Treude, Doktorandinnen am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, schon an Bord des russischen Forschungsschiffes RV LOGACHEV messen (Abb. 3). Und die am ebenfalls am Max-Planck-Institut arbeitenden Postdocs Dr. Katrin Knittel und Dr. Armin Gieseke waren dann in der Lage, das Rätsel um die Identität der Mikroorganismen zu lösen: Mit einer direkten Färbung der Zellen durch spezifische Gen-Sonden konnten sie zeigen, dass Mikrokolonien von Methan-fressenden Archaea und Sulfat-reduzierenden Bakterien dichte Matten bilden, die von kleinen Adern durchzogen sind. Diese winzigen Kanäle unterstützen vermutlich den Austausch der Nährstoffe und Stoffwechselprodukte und münden in größere Höhlen und Freiräume im kalkigen Inneren der Riffstrukturen.

Abb. 3 – Probennahme an Bord der RV Logachev. Die Doktorandinnen Tina Treude (links) und Katja Nauhaus (rechts) vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie sind dabei, Proben aus Stücken des Bakterien-Riffs zu entnehmen, um verschiedene Experimente zum Stoffumsatz und Beschaffenheit der Bakterien und Archaea durchzuführen
Foto: GEOMAR, Kiel

Doch was haben die riesigen Bakterienriffe mit der Erdgeschichte zu tun? Sie sind der erste lebende Beweis dafür, dass organische Materie im Geosystem der Erde auch ohne Sauerstoff und pflanzliche Biomasse – auf chemosynthetischem Wege – entstanden ist und sich abgelagert hat. Bereits seit langem diskutieren Wissenschaftler, ob Methan in der frühen Geschichte des Lebens auf der Erde vor einigen Milliarden Jahren eine Rolle als Nährstoff und Energieträger gespielt haben könnte. Die bisherige Theorie besagt noch immer, dass nur Sauerstoff atmende Mikroorganismen in der Lage sind, Methan effizient zu nutzen. Doch Sauerstoff entstand erst nach der Entwicklung und Ausbreitung von pflanzlichem Leben, wie wir es heute kennen. Frau Prof. Antje Boetius, Mitautorin der Science-Studie, vermutet deshalb: „Vielleicht waren die Ureinwohner der Erde während einer langen Periode der Erdgeschichte solche Mikroorganismen, wie wir sie im Schwarzen Meer gefunden haben: eine Symbiose von Zellen, die ohne Sauerstoff mit Methan als Nährstoff wachsen können.“ Diese Mikroorganismen wären dann das fehlende Glied in der Kette eines erdgeschichtlich sehr frühen Methankreislaufs. Dieser hätte dann aus vier Stufen bestanden: 1) die bakterielle Fixierung von Kohlendioxid mittels Sonnenlicht ohne Sauerstoffbildung (anaerobe Photosynthese), 2) die Zersetzung von photosynthetischer Biomasse durch Fermentierer, 3) die Bildung von Methan durch methanogene Archaea und 4) die Veratmung des Methans ohne Sauerstoff durch Methan-fressende (methanotrophe) Archaea.

Um die Fähigkeiten und genetischen Besonderheiten der Mikroorganismen zu verstehen, die das Gas im Meer fressen und damit Riffe bilden, untersuchen Wissenschaftler derzeit im Rahmen eines weiteren BMBF-Projekts von Prof. Rudolf I. Amann vom Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in einem der drei BMBF-geförderten Genomik-Kompetenznetze das Genom der Methan-fressenden Archaea. Darüber hinaus beschäftigen sich am gleichen Institut Mikrobiologen in der Abteilung von Prof. Friedrich Widdel damit, die Physiologie und Stoffwechselwege der Methanfresser zu verstehen. Die Abteilung von Prof. Bo Barker. Jørgensen wiederum untersucht die Umweltbedingungen, unter denen die anaerobe Methanoxidation auf der Erde stattfindet.

Ein interessanter, weil weitgehend noch unerforschter Lebensraum, in dem der Umsatz von Methan eine große Rolle spielt, ist die tiefe Biosphäre, die bis zu mehreren Kilometern unterhalb des Meeresbodens immer noch Spuren von Leben aufweist. Weitere extreme Standorte für Methan-fressende Mikroben wie Schlammvulkane auf dem Meeresgrund, Permafrostböden in der arktischen Tundra oder das Eis in den Polarregionen werden von verschiedenen Arbeitsgruppen am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung untersucht . Diese und andere Forschungsprojekte zum globalen Methankreislauf werden im Rahmen des aktuellen BMBF- und DFG-Schwerpunktprogramms GEOTECHNOLOGIEN – „Gashydrate im System Erde“ gefördert, das Ende 2000 begann und schon im ersten Jahr seiner Laufzeit eine Vielzahl an neuen Erkenntnissen über die Rolle von Erdgas in der Umwelt erbracht hat.

Originalarbeit:
Walter Michaelis, Richard Seifert, Katja Neuhaus, Tina Treude, Volker Thiel, Martin Blumenberg, Katrin Knittel, Armin Gieseke, Katharina Peterknecht, Thomas Pape, Antje Boetius, Rudolf Asmann, Bo Barker Jørgensen, Friedrich Widdel, Jörn Beckmann, Nikolai V. Pimenov, Maksim B. Gulin

„Microbial Reefs in the Black Sea Fueled by Anaerobic Oxidation of Methane“,
Science, 09. August 2002

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Prof. Dr. Antje Boetius
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven
Telefon MPI: 04 21 – 20 28 – 6 48
Telefon AWI: 04 71 – 48 31 – 15 18
Email: a.boetius@iu-bremen.de

Dr. Manfred Schlösser (Pressebeauftragter)
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon: (04 21) 20 28 – 7 04
Email: mschloes@mpi-bremen.de

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