Von Schimmel, Tintenfraß und Papierspaltereien
Physiologische Chemie
In Archiven und Bibliotheken werden Papiere und Bücher aus mehreren Jahrhunderten gesammelt. Nicht alle wurden schonend gelagert, sind aber teilweise einmalige Dokumente. In der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg werden die wertvollen Zeitzeugen durch das aufwendige Papierspaltverfahren restauriert. Tübinger Biochemiker haben erforscht, wie sich hitzeliebende Bakterien einsetzen lassen, um die Methode weiter zu verbessern.
Von Schimmel, Tintenfraß und Papierspaltereien
Biochemiker und Konservatoren arbeiten bei der Restaurierung von Dokumenten zusammen
Das Buch mit der schwungvollen Handschrift aus dem 17. Jahrhundert ist vergilbt und sieht aus wie angefressen. Die lappigen Seiten sind so stark beschädigt, dass man nicht darin blättern kann. Solche Dokumente, schadhafte Bücher, Karten und Urkunden aus den wissenschaftlichen Bibliotheken und Staatsarchiven Baden-Württembergs, landen bei der Landesarchivdirektion in Ludwigsburg – wenn sie als historisch wertvoll oder wichtig eingestuft werden. Dort werden sie in mühevoller Arbeit restauriert. Das besonders schonende Restaurierungsverfahren der Papierspaltung, bei dem auch biochemische Methoden zum Einsatz kommen, haben die Oberkonservatorin Dr. Anna Therese Haberditzl von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Ludwigsburg und Prof. Hans Bisswanger vom Physiologisch-chemischen Institut der Universität Tübingen weiter entwickelt.
Die Probleme bei der Konservierung von Dokumenten haben sich über die Jahrhunderte verändert. „In Deutschland wurde seit der Erfindung des Buchdrucks Ende des 15. Jahrhunderts verstärkt mit Papier gearbeitet. Bei den frühen Dokumenten war man sich immer über ihren Wert bewusst, sie wurden sorgfältig aufbewahrt“, erklärt Haberditzl. Mit der breiten Verwendung von Eisengallustinte vom 17. Jahrhundert an trat nach längerer Aufbewahrung der so genannte Tintenfraß auf: Das in der Tinte enthaltene Eisensulfat setzt sich an der Luft zu Schwefelsäure um, die das Papier zerstört. „Bekannt ist das Problem zum Beispiel von den Notenblättern von Johann Sebastian Bach. Die dicken Tintenkleckse von Viertelnoten fressen regelrecht Löcher in das Papier“, erklärt Haberditzl. Papieren aus dem 19. und 20. Jahrhundert setzt häufig der Säurefraß zu, vor allem bei Papier minderer Qualität aus Kriegszeiten oder bei Taschenbüchern und Zeitungspapier. In der Landesarchivdirektion werden Papiere, die durch starken Schimmel, Tinten- oder Säurefraß beschädigt sind, durch das Papierspaltverfahren restauriert. Das ist sehr aufwendig und teuer – ein einzelnes Blatt in Stand zu setzen, kostest fünf bis zehn Euro. „Vorteil ist, dass man dem Blatt die Behandlung kaum ansieht und es langfristig erhalten werden kann“, erklärt die Oberkonservatorin. Um fehlende Stellen in einem Dokument auszubessern, wird es beim so genannten Anfasern durch neu geschöpftes Papier ergänzt und dann beidseitig mit gelatinebeschichteten Trägerpapieren belegt. Tatsächlich wird nun das sprichwörtlich papierdünne Blatt so gespalten, dass Vorder- und Rückseite nur noch an einem schmalen Rand zusammenhängen und auseinandergeklappt werden können. In die offene Mitte zwischen Vorder- und Rückseite wird ein stützendes Kernblatt eingefügt. Nach dem Zusammenfügen ist die Restaurierung praktisch nicht zu sehen. Bei billigeren Verfahren, bei denen eine durchsichtige Folie oder ein transparentes Japanpapier auf das zu restaurierende Papier geklebt wird, entsteht ein feiner Schleier und das Blatt ist schlecht zu lesen. Das Papierspaltverfahren gibt es bereits seit den 1960er Jahren, es wird jedoch immer weiter verbessert. Für die Proberestaurierungen benutzen die Wissenschaftler historische, alte Dokumente, die von den Archivaren als nicht erhaltenswert aussortiert wurden.
„Das ganze Papierspaltverfahren besteht aus rund 25 Einzelschritten“, erklärt Haberditzl. Wenn möglich, werden die historischen Papiere nass behandelt, um Schadstoffe herauszuspülen und die Zellulose, aus der das Papier hauptsächlich besteht, quellen zu lassen. Auch Wärme macht dem Papier nicht viel aus. Wichtig ist dagegen, dass es nie lose bleibt während einer Nassbehandlung. Die Papiere werden im Bad durch Siebe fixiert. Bei einem der letzten Schritte müssen die Trägerpapiere, die mit Gelatineklebstoff angeklebt wurden, wieder entfernt werden. „Die Gelatine will man spurlos wieder abbekommen“, erklärt der Biochemiker Bisswanger. Bisher wird die Gelatine in heißen Bädern mit Proteasen entfernt, handelsüblichen Enzymen, die die Gelatine zerkleinern. Dabei werden in großen 400-Liter-Bädern relativ preisgünstige, an diesen Enzymen angereicherte Extrakte aus Bakterienzellen verwendet, die als Verunreinigung auch Zellulose abbauende Enzyme enthalten können. „Diese Enzyme lassen sich nicht vollständig wieder herunterwaschen und ihre Aktivität kann über viele Jahre erhalten bleiben. Im trockenen Zustand passiert zwar nichts, doch bei Feuchtigkeit wird das Papier abgebaut“, erklärt Bisswanger.
Wegen dieser Probleme haben die Biochemiker ein grundsätzlich anderes Verfahren erfunden: Die Enzyme werden auf sehr haltbares Polyestermaterial aufgebracht und dort chemisch fest gebunden. Um den Enzymen einen größeren Aktionsradius zu geben, wurde zwischen den Träger und das Enzym außerdem ein so genannter „Spacer“ eingefügt. Dafür hat sich in den Experimenten des Biochemikers ein großes Protein als günstig erwiesen. Die auf dem Träger gebundenen Enzyme, die in gereinigter Form viel Geld kosten, können immer wieder bei Papierrestaurierungen verwendet werden. „Die Enzyme sind bereits seit einem Jahr aktiv, ich gehe davon aus, dass sie auch noch länger halten“, so Bisswanger.
Die Gelatine soll kontrolliert abgebaut werden, denn sie wird während des Spaltverfahrens zunächst als Klebstoff gebraucht. „Normalerweise würde man die Enzyme über Hemmstoffe an- und abschalten, zum Beispiel mit so genannten Komplexbildnern, die dem Enzym essentielle Wirkstoffe, Metallionen, entziehen und es inaktivieren“, sagt Bisswanger. Doch solche Stoffe könnten dem Dokument schaden, indem sie beispielsweise mit Bestandteilen der Tinte auf dem Papier reagieren. Die Lösung bestand in der Verwendung von Enzymen aus thermophilen Bakterien: Sie sind bei Raumtemperatur inaktiv; soll die Gelatine abgebaut werden, wird das Papier einfach auf 50 bis 60 Grad Celsius erhitzt und die Enzyme beginnen zu arbeiten. „Die Trägerpapiere lassen sich dann ablösen, die Gelatine wird restlos entfernt“, erläutert Bisswanger die Idee.
Für den Biochemiker bestand die Forschungsarbeit darin, die richtigen Enzyme zu finden. Sie könnten aufwendig durch Veränderung bereits verfügbarer Proteasen mit Hilfe gentechnologischer Methoden hergestellt werden, doch bedient sich der Forscher der genialen Erfindungen der Natur: Thermophile Mikroorganismen wie manche Bakterienstämme findet man in vulkanischen Gebieten, in heißen Quellen, aber auch im Ackerboden. „Diese Stämme können im Labor gezüchtet werden“, so Bisswanger. Für das Papierspaltverfahren verwendet er ein Enzym aus dem Bakterium Thermus, das aus kochenden Quellen isoliert wurde, und ein in nigerianischen Bodenproben gefundenes hitzeresistentes Bakterium der Gattung Streptomyces. „Um das Verfahren zur technischen Reife zu bringen, wäre es denkbar, das Enzym biotechnologisch zu produzieren, indem die entsprechenden Gene in einfach zu kultivierende Bakterien eingebaut werden“, gibt Bisswanger Ausblick auf die weiteren Forschungen.
Nähere Informationen:
Dr. Anna Therese Haberditzl
Landesarchivdirektion Baden-Württemberg
Schillerplatz 11
71638 Ludwigsburg
Tel. 0 71 41/18 66 00
Fax 0 71 41/18 66 25
Prof. Hans Bisswanger
Physiologisch-chemisches Institut
Hoppe-Seyler-Straße 4
72076 Tübingen
Tel. 0 70 71/2 97 41 83
Fax 0 70 71/29 55 65
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