Stammzellen werden beschattet
Max-Planck-Forscher beobachten, wie sich embryonale Stammzellen bei Schlaganfall zu neuen Nervenzellen differenzieren / Ansatz für Gewebeersatz-Therapie
Die Migration von embryonalen Stammzellen haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für neurologische Forschung sowie der Universität Köln erstmals in vivo beobachtet. Mit Hilfe eines von ihnen selbst weiter entwickelten Kernspintomographen konnten sie beobachten, wie sich implantierte embryonale Stammzellen im Ratten-Hirn gezielt zum Herd eines Schlaganfalls bewegten und dort zu Nervenzellen differenzierten. Die in den renommierten Proceedings of the National Academy of the USA (PNAS, Vol. 99, Issue 25, 16267-16272, 10. Dezember 2002) veröffentlichten Ergebnisse belegen am Tiermodell, dass embryonale Stammzellen neue Chancen für eine Gewebeersatz-Therapie bei Schlaganfall eröffnen könnten.
Die Implantation von embryonalen Stammzellen (ES) ist ein vielversprechender neuer Ansatz, um im Fall von Schlaganfall oder neurodegenerativer Erkrankungen für eine Neubildung von Nervenzellen im Gehirn zu sorgen. Ziel ist eine funktionelle Regeneration der betroffenen Regionen. Doch erst müssen die Stammzellen zu den richtigen Regionen im Gehirn geführt werden, wo sie sich zu Nervenzellen differenzieren und dann in funktionale Verschaltungen des Gehirns eingebaut werden. Bisher war man jedoch nur in der Lage, die Migration und Weiterentwicklung von ins Hirn transplantierten Stammzellen retrospektiv zu verfolgen, indem man das Hirngewebe nach dem Tode mit unterschiedlichen Färbetechniken untersuchte. Doch diese invasiven Methoden liefern nur Momentaufnahmen und keine Informationen über den tatsächlichen Verlauf der Zellmigration und -entwicklung.
Forschern des Max-Planck-Instituts für neurologische Forschung und der Universität Köln ist es nun gelungen, erstmals die Bewegung embryonaler Stammzellen mit Hilfe eines hochauflösenden Kernspintomographen über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Die Forscher lösten dazu bei elf Ratten in der rechten Hirnhemisphäre einen Schlaganfall aus und implantierten ihnen zwei Wochen später die speziell präparierten Stammzellen in die gesunde Hirnhälfte. Zur Kontrolle implantierten sie markierte Zellen auch in drei gesunde Ratten.
Für die Beobachtung der Stammzellen setzten die Wissenschaftler einen 7-Tesla-Kernspintomographen ein, den sie mit eigenen Hardware-Komponenten auf höchste Empfindlichkeit optimiert hatten. Das Gerät liefert dadurch wesentlich stärkere Signale mit einem verringerten Signal-Rausch-Verhältnis und ermöglicht extrem hochaufgelöste Bilder mit 70 Mikrometer in jede Raumrichtung. Auch die Untersuchungszeit konnte durch technische Innovationen verringert werden. Darüber hinaus markierten die Forscher die embryonalen Stammzellen, die das grün fluoreszierende Protein (GFP) exprimieren, mit Hilfe eines neuen, ebenfalls von ihnen selbst entwickelten Lipofektions-Verfahrens (Lipoplexe = Komplexe aus Lipiden und DNA) zusätzlich mit einem Kernspinresonanz-Kontrastmittel. Dadurch war es erstmals möglich, selbst kleinste Gruppen von 100 oder weniger Stammzellen mit starkem Kontrast gegenüber dem Wirtsgewebe zu beobachten. Dieser Kontrast wurde durch spätere (invasive) Tests mit GFP-Fluoreszenz und Antikörperdarstellung bestätigt.
Mit ihrem neuen Kernspintomographen konnten die Wissenschaftler beobachten, wie die Zellen innerhalb von drei Wochen entlang des Corpus Callosum, der die beiden Hirnhälften überbrückt, in die andere Hirnhemisphäre wanderten und sich massiv entlang des Läsionsweges ansammelten. Deshalb vermuten die Forscher, dass die Läsion bzw. ihr Randgebiet chemische Signale – neurotrophe Faktoren, Chemokine oder Cytokine – aussendet, die als chemotaktische Signale für die Lenkung der Zellen in das Zielgebiet verantwortlich sind. In der Schlaganfall-Region selbst differenzierten sich die embryonalen Stammzellen vor allem zu adulten Neuronen- und Gliazellen. Daraus schließen die Kölner Hirnforscher, dass es in der Läsionszone einen weiteren Signalgeber geben muss, der die spätere Funktion der zuvor noch völlig undifferenzierten Stammzellen im Zielgebiet bestimmt.
Den Max-Planck-Forschern gelang es mit ihrem Kernspintomographen, die Migration der Stammzellen erstmals nichtinvasiv und in vivo zu beobachten – mit Untersuchungszeiten von ein bis zwei Stunden. Die Scans zeigten, dass die Stammzellen bei den Ratten mit Schlaganfall bis zum Herd der Schädigung hin migrierten, während sie sich in den gesunden Ratten nicht bewegten. Weitere Tests zeigten, dass sich diese Zellen sehr früh zu differenzieren begannen und eine Dendriten- bzw. Axon-artige Gestalt in der Schlaganfall-Region annahmen.
Diese Forschungsergebnisse belegen, dass die embryonalen Stammzellen über eine hohe Migrationsaktivität verfügen, die auf das Zielgebiet der Schlaganfall-Läsion gerichtet ist. Damit sind erste Voraussetzungen für eine spätere potentielle Regeneration des geschädigten Gewebes durch eine Zellersatz-Therapie gegeben. Mathias Hoehn, Leiter der Forschergruppe, betont jedoch, dass erst weitere Untersuchungen mit längerer Beobachtungsdauer zeigen werden, ob es zu einer Erholung der funktionellen Hirnaktivität und später auch zu einer Verbesserung im Verhalten kommt. Doch grundsätzlich meint er: „Unsere neue nicht-invasive Methode öffnet ein völlig neues Fenster für die Untersuchung der Zellmigration, der ihr zugrundeliegenden Signalgebung sowie der Zelldifferenzierung. Daher besteht ein heute noch gar nicht überschaubares Potential für in-vivo-Beobachtungen von Stammzell-Experimenten, nicht nur im Gehirn.“
In einem Kommentar zu dieser Veröffentlichung (Nature Reviews Neuroscience, vol. 4, Februar 2003) heißt es: „Die Forscher haben eine hochauflösende Imaging-Methode entwickelt, mit der implantierte Stammzellen im Hirn verfolgt werden können. Das dürfte extrem wichtig sein, um den Erfolg von Stammzell-Transplantationen im Labor und später in der Klinik überprüfen zu können.“ Mathias Höhn geht davon aus, dass die Weiterentwicklung des Magnetresonanz-Systems sogar die Detektion und Verfolgung einzelner markierter Zellen ermöglichen und so Wissenschaftlern helfen könnte, die Differenzierung von Stammzellen für unterschiedliche therapeutische Zwecke zu kontrollieren und zu steuern.
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