Brachten Pilze den Sex in die Welt?
Mikrobiologin der Uni Jena erforscht entwicklungsbiologische Zusammenhänge an Jochpilzen
Wie viel Mensch steckt im Pilz und umgekehrt? Bei Pilzen fallen den Meisten spontan der lästige Fußpilz oder Schimmelpilze ein. Nützlich erscheinen sie uns lediglich für die Herstellung von Camembert oder wenn sie als Champignon oder Trüffel kulinarischen Genuss versprechen. Das sieht Dr. Kerstin Voigt von der Friedrich-Schiller-Universität anders. Für sie sind Pilze ein offenes Buch, in dem wir etwas über unsere eigene Entwicklung nachlesen können. „Wahrscheinlich liefern Pilze sogar den Schlüssel zur Frage, wie der Sex (die sexuelle Fortpflanzung) auf die Welt kam“, berichtet die Biologin, die am Pilzreferenzzentrum der Uni Jena forscht.
Viele Pilzarten zeichnen sich durch eine parasitische Lebensweise aus. Sexualität soll sich aus parasitären Systemen entwickelt haben. Ihre kürzlich vorgelegte Habilitation über Jochpilze – in der sie mittels genetischer Untersuchungen sowohl den verwandtschaftlichen Beziehungen der Pilze untereinander als auch zwischen Pilz und Mensch nachgeht – ist ein kleiner Baustein der verblüffenden Beweisführung, dass Pilze unsere Vorfahren sind.
„Rein evolutionsgenetisch sind Pilze dem Reich der Tiere, nicht dem der Pflanzen zuzuordnen“, berichtet Voigt. Sie sind quasi „stationäre Tiere“. Dabei stellen gerade die von ihr untersuchten Jochpilze entwicklungsbiologisch gesehen innerhalb der Pilze ein Bindeglied zu sich geschlechtlich fortpflanzenden Lebewesen dar. Ihre Vertreter leben parasitisch auf anderen Pilzen, auf Pflanzen und in Menschen mit schwachem Immunsystem. „Die Mechanismen, mit denen die Pilze ihren jeweiligen Wirt dazu „überreden“, sie auf ihm leben zu lassen und nicht gleich zu vernichten sind dieselben, die sie auch zur geschlechtlichen Fortpflanzung untereinander befähigen“, berichtet die Jenaer Mikrobiologin.
Die Pilze hatten ihren jeweiligen Wirt „zum Fressen gern“ und wollten ihn daher möglichst lange am Leben erhalten. Indem die Urpilze auf Pilzen lebten, also auch ihre nächsten Verwandten ausnutzten, „erfanden sie den Sex“. Denn sie begannen untereinander genetisches Material auszutauschen – sozusagen als Gastgeschenk, um den Wirt milde zu stimmen. Damit legten sie zum einen den Grundstein für ihre eigene weite Verbreitung. Im Lauf der Jahrhunderte überlebten sie in teils parasitisch, teils symbiotischen Lebensgemeinschaften. In Gemeinschaft mit Algen, nämlich als Flechten, konnten sie sogar die Gipfel des Himalaja stürmen. Zum anderen, so die Theorie der Evolutionsbiologen, wiesen sie den Weg aus der wenig flexiblen ungeschlechtlichen Reproduktionsmisere hin zur Artenvielfalt höher entwickelter Lebewesen durch geschlechtliche Fortpflanzung.
„Aber nicht nur die gemeinsamen Ursprünge von Pilzen und Menschen, sondern auch die Unterschiede hat Dr. Kerstin Voigt genauer untersucht. Denn was den Pilz zum Pilz macht und von uns Menschen unterscheidet, hilft auch bei seiner spezifischen Bekämpfung. Dabei ist die eigentliche Härte der Pilze, nämlich ihr robuster Chitinmantel, den sie mit den Krebsen und Insekten gemein haben, ihre Schwäche. Denn Substanzen, die die Bildung der „Chitin-Schutzhaut“ hemmen, eignen sich als Wirkstoff für Antipilzmedikamente. Solche spezifischen Antimykotika könnten Menschen mit schwachem Immunsystem, deren Lungen von gewissen Arten der Mucorales (einer Jochpilzordnung) befallen sind, im wahrsten Sinne des Wortes aufatmen lassen. Bisher wird befallenes Gewebe chirurgisch entfernt oder mit unspezifischeren Mitteln therapiert, die auch das Lungengewebe selbst schädigen. Die breit angelegte Habilitations-Arbeit von Dr. Kerstin Voigt liefert daher neben den verblüffenden entwicklungsbiologischen Argumenten auch Ansätze für die Diagnose und Therapie von Pilzerkrankungen. Eine Symbiose von Grundlagen- und angewandter Forschung oder doch Parasitismus?
Kontakt:
PD Dr. Kerstin Voigt
Pilz-Referenz-Zentrum am Institut für Mikrobiologie der Universität Jena
Neugasse 24, 07743 Jena
Tel.: 03641 – 949321
E-Mail: b5kevo@uni-jena.de
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