"DNA in der Klemme" – Struktur eines Schlüsselenzyms im Zellkern aufgeklärt

Verglichen mit anderen Enzymen ist sie ein wahrer Gigant – und jetzt ist endlich ihre komplette Struktur aufgeklärt. Die RNA-Polymerase II spielt eine wichtige Rolle bei der Umsetzung von genetischen, also im Erbmolekül DNA enthaltenen, Informationen in Proteine.

Das Enzym, kurz RNA-Pol II, fertigt in allen höheren Organismen Abschriften von Gensequenzen an, die dann aus dem Zellkern in die Zellflüssigkeit transportiert werden, wo die Umsetzung in Proteine erfolgt. Prof. Patrick Cramer und seinen Mitarbeitern Karim Armache und Hubert Kettenberger vom Genzentrum der LMU ist jetzt die Aufklärung der Struktur des gesamten Enzyms gelungen, das an so zentraler Stelle in der Zelle wirkt, dass es für alle biochemischen Prozesse von entscheidender Bedeutung ist. „Dies ist die größte bekannte Molekularstruktur eines asymmetrischen Proteinkomplexes“, betont Cramer. Die Arbeit ist online in den Proceedings of the National Academy of Sciences unter dem Titel „Architecture of initiation-competent 12-subunit RNA polymerase II“ erschienen. Eine Druckversion folgt in Kürze. „Unsere Arbeit ist für Biochemiker und Genetiker wichtig“, so Cramer. „Sie können jetzt anhand der von uns ermittelten Enzym-Struktur ihre Ergebnisse neu interpretieren und auch gezielt neue Experimente planen.“

Die menschliche Erbinformation ist in der DNA gespeichert. Wie bei einem Bauplan muss die Erbinformation aber auch umgesetzt werden. In der Zelle erfolgt die Übersetzung genetischer Information einzelner DNA-Abschnitte, der Gene, in Proteine. Dabei ist zunächst ein logistisches Problem zu bewältigen: Die DNA liegt im Zellkern und ist durch dessen Doppelmembran von der Zellflüssigkeit getrennt. Eben darin sind aber die Ribosomen, also Protein-synthetisierenden Zellbestandteile, enthalten. Die Zelle setzt zur Informationsübertragung kleine Boten ein. Dabei handelt es sich um kurze Molekülketten, Abschriften der Gene, die im Zellkern produziert und durch seine Doppelmembran in die Zellflüssigkeit gelangen können. Diese kurzen Molekülketten heißen, weil sie der DNA chemisch ähneln, RNA. Weil sie genetische Informationen transportieren, heißen sie auch „Boten-RNA“ oder englisch „messenger-RNA“, kurz „mRNA“.

Die Produktion der verschiedenen mRNAs ist ein entscheidender und streng kontrollierter Vorgang in der Zelle. Denn nur so kann die genetische Information der DNA umgesetzt werden. Wird ein Gen fälschlicherweise nicht in mRNA übertragen, kann ein wichtiges Protein fehlen. Wird aber ein Gen zum falschen Zeitpunkt aktiviert oder zuviel mRNA produziert, kann dies ebenfalls wichtige Prozesse im Körper stören. Der wichtige Vorgang der „Abschrift“ von Genen in mRNAs wird von einem Enzym übernommen, der RNA-Polymerase II, einem aus zwölf Untereinheiten bestehenden Protein-Komplex. Der Prozess der Gen-Abschrift unterteilt sich in mehrere Schritte, die alle mit hoher Genauigkeit vorgenommen werden müssen, um möglicherweise gravierende Konsequenzen zu vermeiden.

Zu den Aufgaben der RNA-Pol II gehört – und das ist einer der kritischen Schritte – die Erkennung von Genen, die in mRNA übersetzt werden sollen. Das Enzym „dröselt“ dann an der betreffenden Stelle die DNA auf, die zwei umeinander gezwirbelten Fäden gleicht. Die RNA-Pol II heftet sich an und schließt sich wie eine Klammer fest um einen der beiden DNA-Stränge, um ihn festzuhalten. Diese Funktion und außerordentliche Aktivität des Enzyms ist von besonderem Interesse für die Wissenschaftler – die jetzt ermittelte Struktur kann neue Erkenntnisse dazu liefern.

Das angelagerte Enzym gleitet dann an dem „umklammerten“ DNA-Strang entlang und produziert gleichzeitig einen mRNA-Strang, der der DNA-Gensequenz gleicht. Dazu muß die RNA-Polymerase den DNA-Doppelstrang immer weiter nach vorne hin öffnen und hinten gleichzeitig schließen. Die letzte Aufgabe besteht darin, das Ende einer Gensequenz zu erkennen und sich abzulösen. Ein RNA-Strang wird freigesetzt und von anderen Enzymen modifiziert, bevor er aus dem Zellkern transportiert wird. Erstaunlich daran ist nicht nur, dass das „Multi-tasking“-Talent RNA-Polymerase II derart viele Aufgaben gleichzeitig erfüllt, sondern dass dies noch dazu mit außerordentlicher Geschwindigkeit und extrem hoher Genauigkeit geschieht.

Der Prozeß der „DNA-Abschrift“ ist äußerst komplex, weswegen das Enzym von anderen Protein-Faktoren unterstützt wird, um Fehler zu vermeiden. „Wir haben bereits ein erstes Folgeprojekt erfolgreich initiiert, bei dem wir die RNA-Polymerase II mit ihren zwölf Untereinheiten um eines dieser regulatorischen Proteine erweitern“, berichtet Cramer. „Damit sind wir in der Lage, auch die dreidimensionale Architektur dieses noch größeren Komplexes zu bestimmen, was uns wichtige mechanistische Einblicke in die Regulation der Abschrift von Gensequenzen in RNA gibt.“ Mit dem jetzt erreichten Erfolg ist Cramer, der dieses Projekt in den USA begonnen hat, ein Durchbruch auf einem international besetzten Feld gelungen. „Für mich ist das ein wichtiges wissenschaftspolitisches Zeichen für anstehende Hochschulreformen“, so Cramer. „Es zeigt, dass man in Deutschland mit jüngerem Alter und fehlender Habilitation erfolgreich sein kann.“

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Patrick Cramer
Institut für Biochemie und Genzentrum der LMU
Telefon: 089 – 2180-76953
email: cramer@LMB.uni-muenchen.de

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Cornelia Glees-zur Bonsen idw

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