Überlebenskünstler im Meer

Abb.: Ein Meister der Anpassung: Das Meeresbakterium Pirellula aus der Ostsee mit seinen charakteristischen Anheftungsfäden, aufgenommen unter dem Elektronenmikroskop. <br> <br>Foto: Universität Kiel/Schlesner

Deutsches Forscherteam entschlüsselt komplette Genomsequenz eines Meeresbakteriums und gewinnt überraschende Einblicke in die Lebensweise im Ökosystem Meer

Bakterien sind zwar so klein, dass sie nur mit dem Mikroskop zu entdecken sind, doch sie spielen in den globalen Stoffkreisläufen der Erde eine große Rolle. Erkennen kann man das auch daran, dass bis zu einer Milliarde von ihnen in nur einem Liter Meereswasser leben. Für eines dieser Kleinstlebewesen mit dem ungewöhnlichen Namen Pirellula (kleine Birne) hat jetzt ein Forscherteam der Max-Planck-Institute für Marine Mikrobiologie, Bremen, und für Molekulare Genetik, Berlin, sowie der Technischen Universität München und der Universität Kiel die komplette Genomsequenz entschlüsselt. Damit ist es jetzt möglich, nicht nur einen Blick auf seinen gesamten Bauplan zu werfen, sondern auch die Funktion unzähliger Enzyme und ihr Zusammenspiel den Stoffwechsel vorherzusagen. Dies erlaubt den Meeresbiologen neuartige Einblicke in die Lebensweise von Bakterien im Meer. Erreicht wurde dies im Rahmen des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojektes REGX (Real Environmental Genomics, www.regx.de).

Bakterien sind äußerst vielseitig, wenn es darum geht, unter wechselnden Lebensbedingungen im Meer zu überleben. Ihre Nahrung finden sie in organischem Material wie abgestorbenen Algen, die langsam aus den oberen Wasserschichten als Meeres-Schnee zu Boden sinken. Wie die Bremer Max-Planck-Wissenschaftler bereits aus früheren Studien wussten, lebt in den oberen sauerstoffreichen Schichten der Ostsee das Bakterium Pirellula, das sich auf den Abbau großer Zuckermoleküle spezialisiert hat. Ziel des gemeinsamen Forschungsprojekts ist es deshalb, diesen für das Ökosystem Meer wichtigen Schlüsselorganismus von Grund auf zu verstehen.

Aus Wasserproben von der Kieler Förde gelang es Dr. Heinz Schlesner, Universität Kiel, eine Reinkultur von Pirellula herzustellen, die – frei von störenden Verunreinigungen durch andere Bakterien – als Ausgangsmaterial für die Entschlüsselung des Genoms diente. Die Sequenzierung des Genoms erfolgte am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin-Dahlem (Arbeitsgruppe Reinhardt) unter Einsatz modernster Kapillarsequenzierautomaten. Dank der hohen Datenqualität – jeder DNA-Baustein wurde durchschnittlich achtmal bestätigt – war es möglich, die in einem zirkulären Chromosom organisierte Erbsubstanz komplett zu entschlüsseln. Mit mehr als 7 Millionen DNA-Bausteinen besitzt Pirellula eines der größten bislang vollständig sequenzierten bakteriellen Genome. Die Gen-Information aus der endlos erscheinenden Abfolge des genetischen Alphabets G,A,T und C den so genannten Basen – zu entziffern, erfolgte anschließend innerhalb von zwei Jahren in der Bioinformatikgruppe von Dr. Frank Oliver Glöckner am Bremer Max-Planck-Institut.

Vergleichbar mit einem Buch, das in einer unbekannten Sprache geschrieben wurde, mussten die Forscher die einzelnen Wörter, Sätze und Kapitel ordnen, um ihren Sinn nach und nach zu verstehen. Dabei kam viel Überraschendes zutage. Dank dieser Analyse ist es nun möglich, verschiedene Aspekte des Lebenszyklus von Pirellula in den Tiefen der Ostsee vorherzusagen. Dies beginnt an der sonnenbeschienenen Wasseroberfläche, wo die Algen, die Hauptnahrung der Bakterien, wachsen. Die Genomanalyse zeigt, dass Pirellula eine Reihe von Genen besitzt, die für die Herstellung eines Sonnenschutzfaktor kodieren. Dieser schützt das Bakterium – wie eine Sonnencreme – vor den schädlichen Auswirkungen der UV-Strahlung. In den oberen sauerstoffreichen Bereichen der Ostsee ist Pirellula bestens gerüstet, auch exotische Nahrungsquellen noch zu verwerten. Insbesondere mit Sulfat verbundene Kohlenhydrate kann es zur Energieversorgung nutzen. Hunderte von Genen sind für die Herstellung der dafür notwendigen Werkzeuge, der Enzyme, vorhanden.

Zum Überleben ist auch eine Stickstoffquelle notwendig, aber Nitrat ist oftmals Mangelware im Oberflächenwasser. Mit einem speziellen Nitrat-Transporter in der Außenhülle des Bakteriums, der ähnlich wie ein Förderband agiert, gelingt es diesem Organismus auch dort Nitrat aufzunehmen und zu überleben, wo andere Bakterien schon längst nicht mehr wachsen können. Mit einer Art Spezialkleber kann es sich dann an abgestorbenes organisches Material anheften. Huckepack geht es damit ab in die Tiefe, wobei das Transportmittel gleichzeitig als Reiseproviant dient.

Unten am Meeresboden wird der Sauerstoff knapp, doch dank spezieller Gene kann Pirellula auch noch bei extrem niedrigem Sauerstoffgehalt atmen. Sollte einmal gar kein Sauerstoff mehr vorhanden sein, sind weitere Gene vorhanden, um ein Überleben auch unter diesen Bedingungen zu ermöglichen. Doch irgendwann gehen die Nahrungsvorräte auf der abgesunkenen Schneeflocke auch einmal zu Ende. Um sich neue Nahrungsgründe zu erschließen, kann Pirellula, ähnlich wie die Bäckerhefe, Knospen ausbilden. Die daraus entstehenden, durch Geißeln beweglichen Schwärmerzellen schwärmen dann aus, schwimmen nach oben und der Lebenszyklus beginnt wieder von neuem.

Mit ihrem neuen Konzept, Genomanalysen in den Dienst der Umweltforschung zu stellen, wollen die Wissenschaftler ein tieferes und damit besseres Verständnis des Lebensraums Meer gewinnen. Die dort lebenden Bakterien sind wahre Künstler, wenn es darum geht, sich an wechselnde Umweltbedingungen anzupassen. Wie der Mechanismus der Anpassung auf molekularer Ebene tatsächlich abläuft, kann jetzt bei Pirellula verfolgt werden. Wichtig ist dabei, zwischen einer natürlichen Schwankung und dem Einfluss des Menschen auf die Umwelt unterscheiden zu lernen. Langfristig ist mit dieser Art von Biomonitoring eine bessere Umweltüberwachung denkbar.

Wenn schon das Genom eines einzelnen Umwelt-Bakteriums so viele Überraschungen enthält, kann man sicher sein, so die Einschätzung der Forscher, dass sich weitere Untersuchungen lohnen. Mit neuen Strategien, wie der Genom-Analyse von kompletten biologischen Gemeinschaften, der so genannten Metagenom-Analyse, sind sie derzeit dabei, auch die Erbinformation bisher noch nicht isolierter Bakterien zu untersuchen.

Originalveröffentlichung:

F. O. Glöckner, M. Kube, M. Bauer, H. Teeling, T. Lombardot, W. Ludwig, D. Gade, A. Beck, K. Borzym, K. Heitmann, R. Rabus, H. Schlesner, R. Amann, and R. Reinhardt
Complete genome sequence of the marine planctomyc

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Frank Oliver Glöckner
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, Abt. Molekulare Ökologie, Bremen
Tel.: 0421 2028 – 938
Fax.: 0421 2028 – 580
E-Mail: fog@mpi-bremen.de

Dr. Richard Reinhardt
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
Tel.: 030 8413 – 1226
Fax.: 030 8413 – 1365
E-Mail: rr@molgen.mpg.de

Dr. Manfred Schlösser (Pressebeauftragter)
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, Bremen
Tel.: 0421 2028 – 704
Fax.: 0421 2028 – 790
E-Mail: mschloes@mpi-bremen.de

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Spitzenforschung in der Bioprozesstechnik

Das IMC Krems University of Applied Sciences (IMC Krems) hat sich im Bereich Bioprocess Engineering (Bioprozess- oder Prozesstechnik) als Institution mit herausragender Expertise im Bereich Fermentationstechnologie etabliert. Unter der Leitung…

Datensammler am Meeresgrund

Neuer Messknoten vor Boknis Eck wurde heute installiert. In der Eckernförder Bucht, knapp zwei Kilometer vor der Küste, befindet sich eine der ältesten marinen Zeitserienstationen weltweit: Boknis Eck. Seit 1957…

Rotorblätter für Mega-Windkraftanlagen optimiert

Ein internationales Forschungsteam an der Fachhochschule (FH) Kiel hat die aerodynamischen Profile von Rotorblättern von Mega-Windkraftanlagen optimiert. Hierfür analysierte das Team den Übergangsbereich von Rotorblättern direkt an der Rotornabe, der…