Einblicke in Schlüsselschritte der biologischen Signalübertragung
Max-Planck-Forschern beobachten erstmals, wie Nervenzellen die Ausschüttung von Vesikeln über einströmendes Kalzium steuern
Synapsen sind Schnittstellen zwischen Nervenzellen, wo elektrische Impulse in chemische Signale umgewandelt und damit Signale übertragen werden. Durch einen Nervenimpuls werden Vesikel, winzige mit Botenstoffen gefüllte Bläschen, freigesetzt und entleeren ihren Inhalt in die nachgeschaltete Zelle. Eine Forschergruppe des Max-Planck Instituts für experimentelle Medizin (Göttingen) und der École Supérieure de Physique et Chimie (Paris) hat jetzt erstmals direkt beobachtet, wie die Fusion einzelner Vesikel mit der Zellmembran durch eine lokale Erhöhung der Kalziumkonzentration gesteuert wird. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“ berichten die Wissenschaftler, dass Kalziumeinstrom und Vesikel nur weniger als einen Millonstel Meter voneinander entfernt sein dürfen, damit es tatsächlich zu einer Signalübertragung kommt. Zur Überraschung der Forscher führt eine erste Nervenreizung zu einer vorübergehenden Annäherung von Kalziumkanälen und Vesikeln in der Zelle, so dass die nachfolgenden Nervenimpulse eine bessere Chance haben, übertragen zu werden. Die Nervenzelle merkt sich also den ersten Impuls und geht in Position, um weitere Impulse dann mit höchster Effizienz übertragen zu können (Nature Neuroscience, 6. Juli 2003). Diese Einsichten sind von grundlegender Bedeutung für das Verständnis der Signalübertragung im Nervensystem.
Wenn Nervenzellen elektrische Impulse feuern, führt eine erneute Stimulation in kurzem zeitlichen Abstand häufig zu einer erhöhten Ausschüttung von Botenstoffen und damit zu einer verstärkten elektrischen Antwort der nachgeschalteten postsynaptischen Zelle. Wenn wir zum Beispiel erschrecken, setzen neuroendokrine Zellen des Nebennierenmarks große Mengen von Adrenalin in die Blutbahn frei. Unsere Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit wird dadurch erhöht. Interessanterweise beruhen diese Vorgänge auf einem sehr ähnlichen Prozess – der kontrollierten Ausschüttung von Botenstoffen durch Freisetzung von Vesikeln.
Neuroendokrine Zellen und Nervenzellen „verpacken“ chemische Botenstoffe und Neurotransmitter in winzige, membranumhüllte Speicherbläschen, die Vesikel. Diese Container der Signalübertragung werden im Zellinneren gefüllt und an den Zellrand transportiert, wo sie erst nach einer Stimulation mit der äußeren Zellmembran verschmelzen. Dabei wird ihr Inhalt ausgeschüttet. Während bei der Hormonausschüttung typischerweise Hunderte von Vesikeln freigesetzt werden, bewirkt ein elektrischer Nervenimpuls häufig nur die Freisetzung eines einzelnen Bläschens. Die Fusion dieses Vesikels mit der Zellmembran löst eine kurzzeitige Erhöhung der Kalziumionen-Konzentration im Zellinneren aus. Dieser Anstieg erfolgt über spannungsabhängige Ionenkanäle in der Zellmembran: Durch eine elektrische Stimulation der Zelle öffnen sich diese Kanäle und Kalziumionen strömen ins Zellinnere. Kalzium-Sensormoleküle auf den Vesikeln detektieren diese erhöhte Kalziumkonzentrationen und leiten die Verschmelzung der Vesikel mit der Zellmembran ein.
Doch die Freisetzung der Vesikel erfolgt nicht automatisch: Nicht jede elektrische Erregung setzt ein Vesikel frei, und manche Ausschüttung geschieht spontan, ohne vorherigen Nervenimpuls. Bislang war bekannt, dass ein Vesikel erst dann freigesetzt wird, wenn die Kalziumkonzentration in der Zelle extrem steigt. Die beobachtete „Unzuverlässigkeit“ der Datenübertragung ließe sich also dadurch erklären, dass die Kalziumkonzentration in der Nähe einzelner Vesikel unterschiedlich stark ansteigt. Das Kalzium wiederum gelangt durch spannungsabhängige Ionenkanäle, die durch einen elektrischen Nervenimpuls geöffnet werden, in das Zellinnere. Modellrechnungen sagen nun voraus, dass Vesikel vor allem dann freigesetzt werden, wenn sie sich in der Nähe von offenen Kalziumionenkanälen befinden.
Biophysikalische Experimente haben andererseits ergeben, dass sich Zellen vor zu hohen Kalziumkonzentrationen schützen, indem starke Kalziumpuffer den Großteil des einströmenden Kalziums wieder binden. Auf diese Weise begrenzen sie den Anstieg der intrazellulären Kalziumkonzentration räumlich und zeitlich. In Nervenzellen vergeht zwischen einer elektrischen Stimulation und der Freisetzung eines Vesikels weniger als eine tausendstel Sekunde. Diese Tatsache, zusammen mit der starken Abhängigkeit der Vesikelausschüttung von der Kalziumkonzentration, legen die Vermutung nahe, dass Kalziumionenkanäle und Vesikel dicht nebeneinander liegen sollten. Dann führt ein Kalziumeinstrom durch offene Ionenkanäle zu einem sprunghaften Anstieg der Kalziumkonzentration in der unmittelbarer Umgebung des an der Zellmembran verankerten Vesikels. Umgekehrt erklärt dieses Modell der „Kalzium-Mikrodomänen“, warum die synaptische Übertragung manchmal auch nicht funktioniert: In diesem Fall sind Vesikel und Ionenkanal zu weit voreinander entfernt, so dass der Kalziumsensor des Vesikels diese Ionen nicht messen kann und die Verschmelzung mit der Zellmembran unterbleibt.
Der deutsch-französischen Forschergruppe ist es nun gelungen, sowohl die winzigen Vesikel und Kalziummikrodomänen als auch die Kalziumkonzentration in unmittelbarer Nähe der Vesikel direkt zu beobachten. Auf diese Weise erhielten die Wissenschaftler einen unmittelbaren Einblick in die Abfolge von Vesikeldynamik, lokalem Kalziumeinstrom und der Freisetzung des Botenstoffs. Für die Beobachtung der Vesikel nutzen die Wissenschaftler einen speziellen optischen Trick: Sie richteten einen Laserstrahl in einem flachen Winkel auf den Objektträger, auf dem sich die zu untersuchende Zelle befand. Durch den flachen Winkel wird der Laserstrahl an der Grenzfläche reflektiert wird (Totalreflexion). Ein Teil des Lichts dringt weniger als einen tausendstel Millimeter in die Zelle ein. Anstatt – wie sonst üblich – die Zelle insgesamt zu beobachten, ist diese Beleuchtung der Zelle auf eine dünne Schicht in unmittelbarer Nähe der Zellmembran beschränkt. Diese „Totalreflexionsmikroskopie“ erlaubt es, Vorgänge, die im Kontaktbereich zwischen der Zelle und dem Objektträger stattfinden, also nahe der Zellmembran, gezielt zu beobachten.
Um gleichzeitig die Kalziumkonzentrationen messen zu können, wurden die neuroendokrinen Zellen mit zwei verschiedenen Farbstoffen markiert, die selektiv einerseits das Kalzium und andererseits die Vesikel hervorheben. Auf diese Weise wird bei der Verschmelzung eines Vesikels nicht nur der Botenstoff, sondern auch der Farbstoff ausgeschüttet, so dass eine kleine Farbwolke sichtbar wird (siehe Abbildung 2). Durch diese Kombination aus einem Kalziumfarbstoff, der nur bei sehr hohen Kalziumkonzentrationen sichtbares Fluoreszenzlicht erzeugt, und einer begrenzten Laser-Beleuchtung gelang es den Forschern, einzelne Kalziummikrodomainen als Lichtblitze zu beobachten. Aus dem Vergleich ihres räumlichen und zeitlichen Auftretens mit der Fusion einzelner Vesikel konnten die Wissenschaftler dann bestimmen, wie nahe Kalziumeinstrom und Vesikel beieinander liegen müssen, damit es tatsächlich zu einer Freisetzung des Botenstoffes kommt: 300 Nanometer sind die Grenze, ab der die Signalübertragung zuverlässig funktioniert.
Gleichzeitig beobachteten die Forscher, dass sich Kalziumionenkanäle auch ohne vorherige elektrische Stimulation öffneten, was die eher seltene spontane Ausschüttung von Botenstoffen erklärt. Hingegen öffnet ein elektrischer Nervenimpuls die Kalziumkanäle unmittelbar und erhöht so die Wahrscheinlichkeit der Verschmelzung eines Vesikels mit der Zellmembran. Überraschenderweise scheinen die Zellen selbst diese Abhängigkeit auszunutzen, um die Vesikelfusion präzise zu regeln: Die Forscher stellten fest, dass nach einem Kalziumeinstrom nicht nur die Wahrscheinlichkeit der Vesikelfusion erhöht ist, sondern auch, dass die Vesikel vorübergehend – dem Ort des Kalziumeinstroms näher rückten. Eine erneute elektrische Stimulation hat so in einem begrenzten Zeitfenster eine höhere Chance, übertragen zu werden.
Kontakt:
Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin, Göttingen
Prof. Walter Stühmer
Tel.: 0551 – 3899-646, Fax: -644
E-Mail: wstuehm@gwdg.de
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