Schnelle Evolution
Biologe der Universität Potsdam veröffentlicht neueste Forschungsergebnisse in „Nature“
Tier- und Pflanzenpopulationen, die in der Natur gemeinsam auftreten, haben in der Regel keine konstante Größe, sondern ändern ihre Individuenzahlen ständig. Solche Dynamiken zu erklären oder gar vorherzusagen ist ein uraltes Anliegen der Ökologie. Wissenschaftler an der Cornell University im US-Bundesstaat New York und an der Universität Potsdam sind nun zu einem verblüffenden Ergebnis gekommen. Auch Evolution kann die Populationsdynamik von planktischen Labororganismen entscheidend beeinflussen.
Obwohl die landläufige Meinung, Evolution sei ein langsamer, Äonen dauernder Prozess, wissenschaftlich längst widerlegt ist, wurde evolutiven Mechanismen bei schnell ablaufenden Populationsänderungen kaum eine bedeutende Rolle zugetraut. Den experimentellen Gegenbeweis, nämlich dass Ökologie und Evolution durchaus auf ein und derselben Zeitskala ablaufen können, liefern die Postdoktoranden Dr. Takehito Yoshida, Dr. Laura Jones und Dr. Gregor Fussmann um die beiden Cornell-Ökologen Prof. Nelson Hairston Jr. und Prof. Stephen Ellner. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in zwei Artikeln, die im Mai und Juli als Titelgeschichten in den Zeitschriften „Nature“ und „Proceedings of the Royal Society of London“ erschienen.
Für ihren Beitrag in „Nature“ studierten die Evolutionsökologen gemischte Laborkulturen einzelliger, mikroskopisch kleiner Algen und ihrer Räuber, Rotatorien, mehrzelliger, doch nur ein fünftel Millimeter großer Tiere des Süßwasserplanktons. Aus der Interaktion zwischen Algen und Tieren kann ein wechselseitiges Auf und Ab der beiden Populationen resultieren, so genannte Räuber-Beute-Zyklen. Klassische Zyklen traten in den Kulturen jedoch nur auf, wenn die Algenpopulation ein Klon war, also aus genetisch identischen Organismen bestand. Mischkulturen mit verschiedenen Klonen führten zu untypischen, ungewöhnlich langen Zyklen. In einer Reihe von Experimenten und mit Hilfe mathematischer Modelle wiesen die Wissenschaftler nach, dass permanente Selektion unter den verschiedenen Algenklonen die untypischen Fluktuationen verursachte. Besonders beeindruckend ist, dass die Richtung der Selektion sich ebenfalls zyklisch ändert, denn welche Algenklone am „fittesten“ sind, hängt davon ab, ob sich gerade viele oder wenige Räuber in der Kultur befinden.
Mit ihren Ergebnissen zeigen die Wissenschaftler auch, dass sich die Natur nicht an akademische Fächergrenzen hält. Zumindest für die Interdisziplinarität von Ökologie und Evolutionsbiologie besitzen die beiden Studien Signalwirkung.
Gregor Fussmann wurde 1965 in Velbert geboren und studierte von 1985 bis 1991 Biologie an der Freien Universität Berlin. Er promovierte 1996 am Max-Planck-Institut für Limnologie in Plön. Von 1997 bis 2001 war er Postdoc an der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York, USA. Seit 2001 ist Gregor Fußmann wissenschaftlicher Assistent an der Universität Potsdam. Er arbeitet in der Arbeitsgruppe „Ökologie und Ökosystemmodellierung“ am Institut für Biochemie und Biologie.
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