Sichtbarer Austausch von Protonen in chemischen Reaktionen

Wissenschaftlern des Max-Born-Instituts für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) im Forschungsverbund Berlin e.V. ist gelungen – in einer Kooperation mit einer Forschungsgruppe der Ben-Gurion-Universität in Israel -, den ultraschnellen Austausch von Protonen in chemischen Reaktionen sichtbar zu machen.

Protonen sind Elementarteilchen, aus denen Atomkerne aufgebaut sind. Für ihre Studie verwendeten die MBI-Forscher eine so genannte Photosäure auf der Basis von Pyren, die sie mit Acetat reagieren ließen. Die Untersuchung ermöglicht grundlegende Einblicke in Prozesse, wie sie etwa in Zellen ablaufen. Außerdem erweitert sie das gängige Modell des Protonentransfers um einen wichtigen Schritt. Die Forscher berichten darüber im renommierten US-Wissenschaftsmagazin Science (Band 301, Seite 349-352).

Das Besondere einer Photosäure ist, dass sie in zwei Zuständen vorkommt. Einmal ist die Flüssigkeit nur schwach sauer und damit wenig reaktionsfreudig. Wird sie jedoch durch Lichtbeschuss quasi mit Photonen „aufgeladen“, so ändert sich der Säuregrad schlagartig – mit einem Mal will die Säure heftig reagieren. „Man schießt also mit einem ultravioletten Laserstrahl in die Flüssigkeit“, erläutert Studienautor Dr. Erik Nibbering, „und gibt damit das Signal ,ab jetzt bist du sauer!’“ Dieser Effekt ist wichtig, weil sich dadurch der Anfangszeitpunkt einer Reaktion genau festlegen lässt.

Nach der Anregung durch das UV-Licht tasteten die Experten des MBI die Flüssigkeit mit einem anderen Laser ab. Dieser strahlte im Infrarotbereich. „Man benutzt die Sensitivität von Molekularschwingungen zu Infrarotlicht“, sagt Nibbering. Daraus wiederum ließen sich viele Informationen gewinnen. Vor allem konnte die Arbeitsgruppe mit dem extrem schnellen Anrege-Abtast-Experiment exakt bestimmen, wann ein Proton die Säure verlässt und wann eines bei der Base ankommt.

„Das muss nicht unbedingt das gleiche Proton sein“, berichtet Nibbering. Vielmehr könne man sich das so vorstellen wie die Kugelspiele, die manchmal auf Schreibtischen stehen. Dabei hängen fünf oder sechs Kugeln aufgereiht nebeneinander, die sich alle berühren. Zieht man nun an einem Ende des Gestells eine Kugel weg und lässt sich auf die anderen Kugeln klickern, so pflanzt sich der Impuls durch alle anderen Kugeln fort, und am Ende springt die letzte Kugel der Reihe weg und klickt wieder zurück. Diese Messungen des Protonentransfers nahmen die Forscher im 100-Femtosekunden-Takt vor. „Das ist unvorstellbar schnell“, sagt der Doktorand Matteo Rini. „Zum Vergleich: Knipst man einen Laserstrahl an und lässt ihn eine Sekunde leuchten, so ist der Strahl fast auf dem Mond angekommen. Nach 100 Femtosekunden dagegen hat der Laserstrahl eine Länge, die ungefähr dem Durchmesser eines Haares entspricht.“

Die chemischen Reaktionen und die Messungen spielen sich also auf sehr kleinem Raum und in extrem kurzer Zeit ab. Die Forscher pumpten für ihre Studie das Säure-Basen-Wasser-Gemisch durch einen sehr schmalen Schlitz. So entstand eine Art Miniaturwasserfall mit einer Breite von etwa 5 Millimetern. Der „Flüssigkeitsvorhang“ ist dabei nur rund hundert Mikrometer dick, zweimal die Breite eines Haares. Durch diesen „Vorhang“ schossen die Forscher für ihre Versuche UV-Licht: Die Säure wurde „scharf“ und fing an zu reagieren. Zeitgleich begannen die Messungen per Infrarotlaser, um festzustellen, wie die Protonen von der Photosäure zur Base wandern. In der Theorie ist dieser Vorgang bereits vor Jahrzehnten von dem deutschen Chemie-Nobelpreisträger Manfred Eigen beschrieben worden. Eigens Arbeit mündete in das so genannte Eigen-Weller-Modell des Protonentransfers. Dem muss jetzt jedoch eine neue Facette hinzugefügt werden. Wenn Photosäure und Base in direktem Kontakt sind, findet der Protonentransfer rasch statt. Müssen sich aber Photosäure und Base erst aufeinander zubewegen, dann verzögert irgendetwas den Protonenfluss, der Kontakt zwischen Säure und Base findet später statt als von Eigen und Weller vorhergesagt. Wieso? „Wir wissen es noch nicht“, sagt Nibbering. Er spekuliert, dass vielleicht erst Wassermoleküle zwischen Säure und Base verschwinden müssten. „Oder die Protonen ,hopsen’ über Zwischenstationen zur Base.“ Auf jeden Fall müsse ein Zwischenschritt in das Eigen-Weller-Modell integriert werden.

Jenes Modell, das Reaktionsgeschwindigkeiten im Pikosekundenbereich vorhersagte, konnte zum Zeitpunkt seiner Einführung nicht experimentell überprüft werden. Manfred Eigen hatte seinerzeit von „immeasurably fast reactions“ geschrieben – die Reaktionen seien unmessbar schnell. Zwar gab es damals schon Laser, und auch in den Bereich der Nanosekunden war man schon vorgedrungen. Eine Nanosekunde ist eine Milliardstel Sekunde. Man konnte sich aber kaum vorstellen, jemals in den Bereich Picosekunden (tausendmal kürzel als Nano) oder gar Femtosekunden (noch einmal tausendmal kürzer) vorzustoßen. Jetzt spricht man dagegen schon von der Attosekundenphysik – auch am Berliner MBI. Eine Attosekunde ist der milliardste Teil einer Millionstelsekunde (10-15).

Und was hat man nun davon, wenn man Protonen beim Wandern zusehen kann? „Das ist Grundlagenforschung“, sagt Nibbering. „Aber sie erlaubt uns ein besseres Verständnis der Leitfähigkeit von Wasser für Protonen, also auch ein besseres Verständnis von Prozessen, wie sie an Biomembranen ablaufen.“ Möglicherweise lasse sich einmal ein molekularer Schalter konstruieren, der auf der Basis einer Photosäure funktioniert, spekuliert der Physiker. Auf jeden Fall aber zeigen die Versuche eines: Was einmal in der Physik als unmöglich galt, muss nicht unmöglich bleiben.

Ansprechpartner:

Dr. Erik Nibbering, Tel. 030 – 6392-1477, nibberin@mbi-berlin.de
Matteo Rini, Tel. 030 – 6392-1414, rini@mbi-berlin.de

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Josef Zens idw

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