Vom Rinderpansen zum Magengeschwür
Entschlüsselung des Genoms eines Rinder-Bakteriums hilft, verantwortliche Gene für bakterielle Infektionen beim Menschen zu identifizieren
In den letzten Jahre haben sich die Hinweise gemehrt, wonach schwerwiegende Krankheiten nicht nur auf körpereigene Ursachen zurückzuführen sind, sondern ihren Ausgang oftmals mit der Besiedelung des menschlichen Körpers durch krankheitserregenden Bakterien nehmen. Das zeigt sich besonders deutlich im Fall des kanzerogenen Bakteriums Helicobacter pylori, das als Erreger chronischer Gastritis, die im weiteren Verlauf zu Magenkrebs führen kann, identifiziert wurde. Zudem stellte sich in jüngster Zeit heraus, dass eine Infektion mit dem zu Helicobacter verwandten Bakterium Campylobacter jejuni zu akuten Durchfallerkrankungen sowie zu der mit Lähmungserscheinungen einhergehenden Autoimmunkrankheit Guillain-Barré-Syndrom führt. Wissenschaftler des Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie haben nun gemeinsam mit Kollegen der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität Bielefeld sowie des Rechenzentrums Garching der Max-Planck-Gesellschaft die Genomsequenz eines nahen Verwandten, des nicht-pathogenen Bakteriums Wolinella succinogenes entschlüsselt, das im Pansen von Rindern lebt. Durch vergleichende Genomanalyse ist es nun möglich, jene Gene systematisch zu identifizieren, die den Infektionsstrategien der beiden Krankheitserreger zugrunde liegen (PNAS, early edition, 19. September 2003).
Die vollständige Entschlüsselung der Erbinformation von Wolinella succinogenes, einem weiteren Vertreter der Bakteriengattung von Helicobacter pylori und Campylobacter jejuni, erlaubt jetzt erstmals den Vergleich dieses harmlosen Bewohners des Rinderpansens mit seinen den Menschen krankmachenden Verwandten. In einer vergleichenden Genomanalyse können sowohl die Gemeinsamkeiten aller Organismen als auch deren spezifische Unterschiede in der Erbinformation analysiert werden. Der einer Gattung gemeinsame Gen-Pool ist repräsentativ für generelle Strategien, die Bakterien einsetzen, um sich in einem Wirt erfolgreich anzusiedeln. Im Gegensatz dazu liefert der Organismus-spezifische Anteil am Genom Hinweise auf Gene, die für die Besiedelung eines bestimmten Wirts und bestimmter Gewebetypen notwendig sind. Dies erlaubt Rückschlüsse auf die spezifischen Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt.
Besonders auffallend im Genom des nicht-krankheitserregenden Bakteriums Wolinella succinogenes ist eine große Anzahl von Genen, die bisher nur in krankheitserregenden Bakterien vermutet wurden und dort essentiell für eine erfolgreiche Infektion sind. So enthalten alle drei Organismen einen Sekretionsapparat, der im Falle von Helicobacter und Campylobacter zur Ausschüttung von Zellgiften in die Wirtszelle benutzt wird. Darüber hinaus kodieren Wolinella und Campylobacter ein so genanntes Invasionsgen, das essentiell für die Besiedlung der Wirtszelle ist. Eine weitere besonders interessante Parallele zwischen Wolinella und Campylobacter besteht im Vorhandensein eines Glykosilierungssystems, das dazu dient, spezielle Zuckerrest-Gruppen an bakterielle Proteine anzuheften. Bakterien benutzen dieses System in einer Art molekularem Mimikry, um der Immunantwort des Wirtes zu entgehen. Im Fall von Campylobacter jejuni kann dies beim Menschen zu der Autoimmunkrankheit Guillain-Barré-Syndrom führen.
Zahlreiche Gene, die für pathogene Symptome verantwortlich gemacht werden, liegen auf wenigen kompakten Abschnitten des Erbguts, den so genannten Pathogenitätsinseln. Man vermutet, dass es sich hierbei um mobile DNA-Abschnitte handelt, die rasch zwischen Bakterien verschiedener Arten ausgetauscht werden können. Diesen Austausch von Genmaterial über Organismusgrenzen hinweg, auch „Horizontaler Gentransfer“ genannt, macht man daher für die hohe Variabilität und Anpassungsfähigkeit pathogener Bakterien verantwortlich. Neue komplexe Eigenschaften, die durch einfache Mutation nicht zu erreichen wären, können dadurch angenommen werden.
Ein Vergleich der Genomgröße der drei Organismen zeigt, dass das Wolinella-Chromosom etwa ein Drittel mehr an genetischer Information besitzt. Das sind ungefähr 450 zusätzliche Gene, die beispielweise einen Enzymkomplex zur Stickstofffixierung kodieren, den man in ähnlicher Form etwa bei Blaualgen findet. Darüber hinaus enthält Wolinella – bezogen auf die Genomgröße – die größte Anzahl an signalverarbeitenden Sensoren und Rezeptoren (Zwei-Komponenten-Transduktions-System), die je in einem Bakterium gefunden wurden.
Im Gegensatz dazu können die kleineren Genome der beiden verwandten Pathogene als Gradmesser dafür angesehen werden, wie stark sich diese Bakterien an ihren menschlichen Wirtsorganismus angepasst haben. Dieses Phänomen wird auch als Genomdegradation bezeichnet. Anhand der neu gewonnenen Daten lassen sich durch den subtraktiven Vergleich der genetischen Ausstattung aller drei Bakterienspezies einzelne Gene identifizieren, die dann in großem Maßstab in Reihenversuchen ausgeschaltet und analysiert werden können. In Zusammenarbeit mit anderen Forschergruppen in Deutschland und England werden die Tübinger Entwicklungsbiologen nun Gene, die durch die vergleichende Genomanalyse mit Wolinella identifiziert worden sind, im Tiermodell auf ihre mögliche Funktion im Infektionsprozess untersuchen.
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PD Dr. Stephan C. Schuster
Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen
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