Balancierte Aufrüstung im Pflanzenreich
Jenaer Max-Planck-Wissenschaftler belegen, dass je nach Umweltbedingungen andere Varianten einer Pflanzenart in der chemischen Abwehr von Insekten erfolgreich sein können
Die Produktion abschreckender und giftiger Substanzen ist ein wichtiger Bestandteil der pflanzlichen Abwehr von Schädlingen. Diese Eigenschaft variiert genetisch in vielen Pflanzenpopulationen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie, Jena, untersuchen die evolutionären und ökologischen Faktoren, die dafür verantwortlich sind, dass genetische Variation für Insektenresistenz in Pflanzenpopulationen entsteht und aufrechterhalten wird. Die Forscher um Prof. Thomas Mitchell-Olds haben jetzt bei der Pflanze Arabidopsis thaliana nachgewiesen, dass eine Gen-Familie, die unmittelbar an der Produktion von Abwehrstoffen beteiligt ist, auch zur Resistenz der Pflanze gegen Insekten beiträgt. Doch der zugrundeliegende Genort ist in verschiedenen A. thaliana-Ökotypen sehr variabel organisiert: So fehlen einzelne Genabschnitte oder ganze Gene oder Genabschnitte sind zwischen den tandemartig angeordneten Gen-Kopien ausgetauscht. Unterschiedliche Varianten des Genortes haben Unterschiede in der Zusammensetzung und Menge der Abwehrstoffe zur Folge, die sich dann je nach Umweltbedingungen als vorteilhaft oder als nachteilig für die Entwicklung der Pflanze herausstellen (PNAS, 23. September 2003).
Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insekten werden großteils durch Produkte des Sekundärstoffwechsels der Pflanzen vermittelt. In der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana und anderen Kreuzblütlern bilden Glucosinolate (Senfölglycoside) eine wichtige Komponente des Sekundärstoffwechsels. Arabidopsis-Pflanzen, die weltweit an unterschiedlichen Standorten gesammelt wurden (so genannte „Ökotypen“), unterscheiden sich durch die in den Pflanzenorganen eingelagerten Glucosinolate. Verantwortlich für die Variation der Glucosinolatprofile ist unter anderem GSElong, ein Genort auf dem Chromosom V im Arabidopsis-Genom. Dieser Genort besteht aus einer kleinen Familie von MAM-Genen, deren Genprodukte, die Methylthioalkylmalatsynthasen, einen frühen Schritt der Glucosinolat-Biosynthese katalysieren. Die Jenaer Max-Planck-Wissenschaftler stellten nun fest, dass GSElong in den verschiedenen Arabidopsis-Ökotypen extrem variabel organisiert ist, dass die resultierenden Unterschiede in den Glucosinolatprofilen ökologisch relevant sind und dass balancierende Selektion zur Aufrechterhaltung genetischer Variation für Insektenresistenz beiträgt.
Die Jenaer Wissenschaftler erzeugten durch Kreuzung zweier Ökotypen genetisch nahezu identische Linien. Diese unterschieden sich in der Zusammensetzung der MAM-Gene am GSElong-Genort, waren im restlichen Genom ansonsten aber weitgehend identisch. Dieses Vorgehen erlaubte es, die Auswirkungen unterschiedlicher Konfigurationen von MAM-Genen auf den Phänotyp der Pflanzen zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass die Organisation der MAM-Gene nicht nur die Zusammensetzung der Glucosinolate in Arabidopsis-Pflanzen bestimmt, sondern auch deren Menge. Derartige Genorte, die also das Ausmaß einer Eigenschaft beeinflussen, bezeichnet man in der Genetik als QTL („quantitative trait locus“).
Die durch verschiedene Varianten der MAM-Gene hervorgerufenen Unterschiede in den Glucosinolat-Profilen wirken sich wiederum auf die Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegenüber Insekten aus: Fraßstudien zeigten, dass bestimmte Varianten der MAM-Gene die Resistenz gegen die Zuckerrübeneule Spodoptera exigua erhöhen, einem Insekt, das neben Kreuzblütlern auch Pflanzen aus ganz anderen Familien als Wirtspflanzen nutzt. GSElong ist daher nicht nur ein QTL für die Menge an Glucosinolat, sondern auch für die Resistenz gegenüber Insekten. Hingegen änderte sich die Widerstandsfähigheit von Arabidopsis mit unterschiedlichem Glucosinolat-Profil nicht gegenüber der Kohlmotte (Plutella xylostella), einem Insekt, das auf Kreuzblütler spezialisiert ist. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit früheren Forschungsergebnissen, bei denen die Jenaer Wissenschaftler im Verdauungstrakt von Plutella xylostella ein Enzym entdeckt hatten, das die Entstehung giftiger Glucosinolat-Abbauprodukte effektiv verhindert (vgl. „Die Entschärfung der Senföl-Bombe“, PRI B 40/ C 18/ 2002 (82)).
Eine Erkenntnis der Populationsgenetik besagt, dass sich Gene, die einen selektiven Vorteil vermitteln, relativ rasch in einer Population durchsetzen, während „unterlegene“ Varianten im Laufe der Zeit verschwinden. Im Falle des GSElong-Genortes von Arabidopsis thaliana hingegen existieren offensichtlich verschiedene MAM-Varianten mit unterschiedlicher ökologischer Relevanz nebeneinander. Die Jenaer Wissenschaftler haben deshalb statistische Methoden der molekularen Populationsgenetik herangezogen, um die Verteilung von Nukleotid-Polymorphismen in den Arabidopsis-Linien zu untersuchen: Sie analysierten, wie sich die Polymorphismen in Allelen (also den Alternativen eines Gens) einer Stichprobe im Vergleich zu der erwarteten Verteilung von Polymorphismen in einem „neutralen“ Modell der Evolution verteilen, also bei Abwesenheit von Selektion.
Diese Tests deuten darauf hin, dass zumindest eines der Gene im GSElong-Intervall, nämlich MAM2, unter dem Einfluss balancierender Selektion steht. Balancierende Selektion impliziert, dass unter verschiedenen Umweltbedingungen ganz andere Phänotypen einer Pflanze bevorzugt werden. So kann einerseits die Aufrechterhaltung einer starken Verteidigung hohe energetische Kosten (Allokationskosten) verursachen. Bei Abwesenheit der Schädlinge würden dann unnötig Ressourcen beansprucht und „vergeudet“, die ansonsten für das Wachstum und die Reproduktion der Pflanze zur Verfügung ständen. Andererseits können die für die Verteidigung verwendeten Stoffwechsel-Produkte ganz unterschiedliche Wirkungen auf verschiedene Insektenarten haben, so dass Vorteile in der Verteidigung gegenüber „Allesfressern“ (Generalisten) mit Nachteilen in der Interaktion mit „Feinschmeckern“ (Spezialisten) erkauft werden, und vice versa.
In den gleichen nahezu isogenen Linien, die für die quantitative Analyse von Glucosinolatmenge und Insektenresistenz verwendet wurden, und unter den gleichen experimentellen Bedingungen, konnten die Forscher keinen Unterschied in der Wachstumsrate der Pflanzen feststellen. Dies legt nahe, dass Allokationskosten zumindest bei der durch Glucosinolate vermittelten Insektenresistenz nur eine untergeordnete Rolle spielen. Andererseits nutzen viele spezialisierte Insekten, so auch die Kohlmotte (Plutella xylostella), Glucosinolate und deren flüchtige Abbauprodukte zur Lokalisation ihrer Wirtspflanzen für die Eiablage. Zudem lassen sich einige der Spezialisten durch diese Komponenten in ihrem Fraßverhalten stimulieren, während sie selbst Mechanismen besitzen, die durch Glucosinolate vermittelte Verteidigung der Pflanzen zu unterlaufen.
Dementsprechend deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass sich Selektion für Variabilität am GSElong-Genort besser durch entgegengesetzte Effekte der resultierenden Glucosinolatprofile auf Generalisten und Spezialisten erklären lässt: Bei Anwesenheit von Generalisten, wie Spodoptera exigua, zahlt es sich für die Pflanze aus, MAM-Varianten zu besitzen, die eine hohe Glucosinolat-Menge zur Folge haben. Stellen jedoch Spezialisten den Hauptteil der herbvivoren Insekten im Umfeld der Pflanzen, ist es von Vorteil, geringere Mengen an Glucosinolaten zu produzieren und so weniger „aufzufallen“. Über viele Generationen gleichen sich die Vor- und Nachteile der verschiedenen MAM-Varianten aus, so dass in der Population mehr als eine Variante erhalten bleibt.
Die vorliegende Studie zeigt, dass Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und herbivoren Insekten eine komplexe genetische Grundlage haben können. „Die Wechselwirkungen in einem Ökosystem sind viel komplexer, als häufig vermutet wird,“ so Jürgen Kroymann, einer der Autoren dieser Studie. Die daraus resultierende ökologische und evolutionäre Dynamik zu erforschen, ist eine wesentliche Aufgabe der Abteilung Genetik und Evolution im Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Jürgen Kroymann
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena
Tel.: 03641 57 – 1412, Fax.: – 1402
E-Mail: kroymann@ice.mpg.de
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