Hautmodell ersetzt Tierversuche

Mit dem von Dr. Thomas Graeve entwickelten Hautmodell können Kosmetika kostengünstig und zuverlässig auf ihre Wirkung untersucht werden. ©Bernd Müller, Fraunhofer-Gesellschaft


Bevor neue Cremes, Lotionen oder Lippenstifte auf den Markt kommen, müssen sie auf ihre Hautverträglichkeit untersucht werden. In Deutschland sind Tierversuche in der Kosmetikindustrie jedoch nicht mehr erlaubt. Die Alternative: ein menschliches Hautmodell. Damit können nicht nur Kosmetika, sondern auch pharmazeutische Tinkturen oder Chemikalien schnell, kostengünstig und zuverlässig auf ihre Wirkung untersucht werden. Für diese Entwicklung erhielt Thomas Graeve vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart den Joseph-von-Fraunhofer-Preis.

Farbstoffe in T-Shirts, Tenside in Waschmitteln, Duftstoffe in Cremes – täglich kommt unsere Haut mit unzähligen chemischen Substanzen in Kontakt. Doch einige Stoffe können beim Menschen Allergien oder Ausschläge auslösen. Ob bestimmte Substanzen für das größte Organ des Menschen, die Haut, unschädlich sind, wurde früher in Tierversuchen getestet. Doch die sind in Deutschland mittlerweile für den Test von Kosmetika verboten. Statt dessen werden mehr und mehr Gewebemodelle eingesetzt, um die Wirkung von Chemikalien, pharmazeutischen Wirkstoffen oder Cremes zu untersuchen. Viele Testmethoden haben jedoch einen Nachteil: Die Hautmodelle bestehen nur aus einem einzigen Zelltyp – zum Beispiel der Oberhaupt (Epidermis). Wechselwirkungen mit der Unterhaut (Dermis) können an diesen Kulturen nicht untersucht werden. Anders bei dem von Dr. Thomas Graeve entwickelten dreidimensionalen Hautmodell: Es besteht aus dermalen Fibroblasten (Unterhaut) und einer mehrschichtigen Oberhaut mit Verhornungsschicht. »Dieses Modell kommt in seiner Struktur der menschlichen Haut sehr nahe«, erläutert der Wissenschaftler. »Das Äquivalent bildet sogar wie natürliche Haut eine Grenzschicht zwischen Ober- und Unterhaut, die Basallamina, aus.«

Um das dreidimensionale Modell aufzubauen, nutzen die Forscher menschliche Haut, die zum Beispiel bei Operationen anfällt. Aus diesem Biopsiegewebe isolieren sie zwei unterschiedliche Zelltypen: Die dermalen Fibroblasten (Unterhaut) und die Keratinozyten, aus denen sich die oberste Hautschicht bildet. Zunächst bettet man die Fibroblasten in eine Proteinlösung ein. Darauf werden die Keratinozyten ausgesät. Während der dreiwöchigen Kulturzeit bildet sich dann aus den Keratinozyten die Oberhaut.

Das etwa fingernagelgroße Hautmodell lässt sich vielfältig einsetzen. Mit dem Hautäquivalent kann untersucht werden, ob bestimmte Körperlotionen Hautirritationen hervorrufen oder einzelne Stoffe Allergien auslösen. Das System eignet sich auch für pharmakologische Untersuchungen. So kann man zum Beispiel prüfen, ob eine Brandsalbe die Wundheilung fördert oder nicht. »Mit dem Hautmodell können Substanzen schneller, kostengünstiger und zuverlässiger als im Tierversuch getestet werden«, hebt Dr. Graeve die Vorzüge des Systems hervor. Sogar immunologische, histologische und molekularbiologische Untersuchungen sind mit dem Modell möglich.

Das Testsystem wurde im Auftrag der Firma CellSystem entwickelt, die es mittlerweile weltweit vertreibt. Das große Potential des Hautmodells haben aber auch zwei ehemalige Mitarbeiterinnen des IGB erkannt. Sie gründeten das Unternehmen IN VITRO BIOTEC, in dem mit Hilfe von Gewebekulturen aus menschlichen Zellen nicht nur Verträglichkeit von Chemikalien, sondern auch die spezifische Wirkung von Krebsmedikamenten getestet wird.

Der Fraunhofer-Preis wurde am 25. Oktober von dem Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft Prof. Dr.-Ing. Hans-Jürgen Warnecke in Berlin an Dr. Graeve überreicht.
Birgit Niesing

Joseph-von-Fraunhofer-Preis
Seit 1978 verleiht die Fraunhofer-Gesellschaft alljährlich Preise für herausragende wissenschaftliche Leistungen ihrer Mitarbeiter zur Lösung anwendungsnaher Probleme. Der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert.

Ansprechpartner:
Dr. Thomas Graeve
Telefon 07 11/9 70-41 17, Telefax 07 11/9 70-2 00
Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB
Nobelstraße 12, D-70569 Stuttgart
E-Mail: grae@igb.fhg.de

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Dr. Johannes Ehrlenspiel idw

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