Neuer Kontrollfaktor bei der Entwicklung von Gliedmaßen im Embryo entdeckt
Die Entwicklung eines Embryos ist ein hoch interaktiver Prozess, bei dem Signale aus verschiedenen Zellen koordiniert werden müssen. Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie haben jetzt einen Regulator entdeckt, der Signale im heranwachsenden Mausembryo so lange aufrecht erhält, bis die Zielzellen ein Signal erkannt und in ein bestimmtes Entwicklungsprogramm umgesetzt haben, das die Entwicklung der Gliedmaßen steuert. Entsprechende Regulator-Gene wurden auch bei der Fliege und beim Menschen gefunden. (Genes & Development 17, 2630-2635 (2003).)
Seit der Entdeckung der „Induktion“ durch Hans Spemann und Hilde Mangold (Nobelpreis für Physiologie und Medizin im Jahre 1935) ist bekannt, dass bei der Entwicklung von Geweben und Organen während der Embryogenese die einzelnen Entwicklungsschritte sich gegenseitig beeinflussen. Induktion bedeutet, dass Zellen miteinander kommunizieren: Manche Zellen setzen Signalstoffe frei, die von anderen Zellen erkannt und dort in ein abgestimmtes genetisches Programm übersetzt werden. Durch diese Wechselwirkung werden ausgewählte Gene zu einem Schaltkreis zusammengefasst, dessen Aktivität ein vorgegebenes Entwicklungsschicksal der Zellen auslöst. Wissenschaftler am Max-Planck Institut für biophysikalische Chemie (Göttingen) haben herausgefunden, dass es nicht ausreicht, die Signalstoffproduktion zu aktivieren, ihre Aktivität muss in den richtigen Zellen auch erhalten werden. Dafür gibt es zentrale Kontrollfaktoren, die im Tierreich vom Insekt bis hin zum Menschen sehr ähnlich sind und somit offenbar in der Evolution über mehr als 600 Millionen Jahre erhalten blieben.
Die Entwicklung der Gliedmaßen der Säugetiere setzt Signale voraus, die den Zellen mitteilen, welche Strukturen sie ausbilden sollen, ob sie sich entsprechend ihrer Position zu Teilen des Fußes, der Hüfte oder der Zwischenbereiche entwickeln sollen. Diese Signale, auch „Wachstumsfaktoren“ genannt, werden in kleinen Befehlszentren synthetisiert und an die Umgebung abgegeben. Die Arbeiten am Max-Planck-Institut weisen nun nach, dass es nicht ausreicht, die Synthese dieser Signale einmalig zu aktivieren, sondern dass ihre Bildung auch über einen bestimmten Zeitraum hinweg an der richtigen Stelle aufrecht erhalten werden muss. Für diesen Prozess ist bei der Maus ein neu entdecktes Regulatormolekül verantwortlich. Es sorgt dafür, dass Signalstoffe solange erhalten bleiben, bis alle Vorläuferzellen im Umfeld das Signal empfangen haben und die Anlagen der betreffenden Gliedmaßen vollständig ausgebildet sind.
Dieses Molekül, ein so genannter Transkriptionsfaktor, wurde bei der Maus entdeckt, ist aber im Tierreich bis hin zur Fruchtfliege Drosophila konserviert. Fehlt ein entsprechender Faktor bei der Fruchtfliege, dann entwickeln die mutierten Fliegenembryonen einen unvollständigen Kopf ohne Kiefer- und Antennensegmente. Wird aber das Regulator-Gen der Maus in die mutierten Fliegenembryonen eingebracht, so kann es dort das defekte Fliegen-Gen weitgehend ersetzen. Die Fliegen entwickeln sich dann normal. Da der entsprechende Transkriptionsfaktor auch im Erbgut des Menschen vorkommt, vermuten die Wissenschaftler, dass er auch eine Bedeutung für die Gliedmaßenentwicklung beim Menschen hat und eine Rolle bei bestimmten Erbkrankheiten spielt.
Originalveröffentlichung:
Dieter Treichel, Frieder Schöck, Herbert Jäckle, Peter Gruss and Ahmed Mansouri: mBtd is required to maintain signaling during limb development. Genes & Development 17, 2630-2635 (2003).
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Ahmed Mansouri, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, 37070 Göttingen, Tel. 0551 201 1490, Fax: 0551 201 1504
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