Intelligenter Paketdienst in der Zelle

Ausschnitt aus einer elektronenmikroskopischen Aufnahme einer Hefezelle. Das endoplasmatische Retikulum ist blau, Transportvesikel sind grün und Golgi-Zisternen rot angefärbt. <br>Bild: Friedrich-Miescher-Laboratorium/Schwarz

Tübinger Max-Planck-Wissenschaftler haben bisher unbekannten Mechanismus entdeckt, wie Zellen ihren internen Transport optimieren

Die Zelle ist die einfachste lebensfähige Ansammlung von Materie. Die meisten ihrer Stoffwechselreaktionen spielen sich im Zytoplasma ab, das zahlreiche Organellen (Reaktionsräume) enthält, so dass viele chemische Vorgänge gleichzeitig ablaufen können. Doch die für Lebensprozesse essentiellen Proteine werden nur im Zytoplasma hergestellt. Deshalb herrscht zwischen den Organellen ein intensiver „Pakettransport“: Winzige Membranbläschen (Vesikel) transportieren Proteine und andere Substanzen gezielt von einem Ort zum anderen. Doch wie bewältigt es die Zelle, dass diese Pakete zur rechten Zeit am richtigen Ort ankommen? Wissenschaftler des Friedrich-Miescher-Laboratoriums der Max-Planck-Gesellschaft haben jetzt einen bisher nicht bekannten „Etikettierungsmechanismus“ entdeckt, der verhindert, das einmal abgeschickte Pakete mit sekretorischen Proteinen wieder zu ihrem Absender zurückkommen können (Science, 9. April 2004). Diese Erkenntnis ist von grundsätzlicher Bedeutung und praktischer Relevanz, bedeutet doch eine Störung des sekretorischen Transports den Tod der Zelle.

Zellen enthalten verschiedene Organellen, also Membran-umschlossene Kompartimente, die jeweils spezifische Funktionen erfüllen. Dazu enthält jedes Kompartiment ein ganz bestimmtes Repertoire an Proteinen. Doch die Proteine werden nur in einem Kompartiment, nämlich dem Zytoplasma hergestellt. Von dort müssen sie zu ihrer jeweiligen Wirkungsstätte transportiert werden. Welche die Wirkungsstätte sein soll, ist schon in der Erbinformation des Proteins gespeichert. Der Eintritt ins Transportsystem der Zelle erfolgt durch das endoplasmatische Retikulum. Dort wird die Funktionalität der Eiweissstoffe überprüft, bevor sie in Membranhohlkugeln (Vesikel) verpackt werden. Die Größe der Vesikel und die Aufnahme der Proteinfracht (Cargo) kontrollieren spezifische zytoplasmatische Hüllenproteine. Jedes Kompartiment hat seine eigenen Hüllenproteine als „Verpackung“, um Vesikel herzustellen. Zudem enthält jedes Vesikel ein Set an Signal-Proteinen, das sicherstellt, dass das Vesikel von der richtigen Zielmembran erkannt wird und schließlich damit verschmilzt.

Im Prinzip kann man sich den zellulären Transport von Vesikeln wie einen Paketversand per Post vorstellen: Das Zytoplasma stellt ein Produkt (Protein) her, das als Paket verschickt werden muss. Also bringt man es zum Postamt (endoplasmatische Retikulum ER). Vom Postamt kommt das Paket mit dem Lastwagen (mit COPII-Proteinen umhüllte Vesikel) zur Verteilerstelle (Golgi-Apparat). Von dort aus transportieren es dann die Postboten (mit Clathrin umhüllte Vesikel) zu den einzelnen Haushalten (verschiedene membranumhüllte Kompartimente der Zelle, wie Lysosom, Endosom etc.) oder es wird ins Ausland weitergeleitet (also aus der Zelle hinaus transportiert). Auf dem Rückwege nimmt der Lastwagen vom Verteileramt wieder Pakete mit, die für sein Postamt bestimmt sind oder die beschädigt wurden.

Proteine, die vom endoplasmatische Retikulum zum Golgi-Apparat gebracht werden müssen, benutzen COPII als Verpackung der Vesikel, während der Rücktransport vom Golgi zum ER durch COPI-umhüllte Vesikel erfolgt. Die Membran-gebundenen Transportfaktoren (v-SNAREs), die – wie ein „Adressaufkleber“ – die Erkennung der Vesikel am Golgi-Apparat erlauben, werden in COPI-Vesikel wieder zum ER zurückgebracht, und können dann an einen neuen Transportzyklus teilnehmen. Doch die v-SNAREs, die für die Erkennung der COPI-Vesikel mit dem ER gebraucht werden, müssen erst über COPII-Vesikel zum Golgi gebracht werden. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, dass die unterschiedlich verpackten (COPI- und COPII-)Vesikel das gleiche Set an „Aufklebern“ (SNARE-Proteinen) beinhalten. Die Hüllenproteine müssen die Vesikel verlassen, um die SNAREs zu exponieren und die Interaktion mit ähnlichen, spezifischen Proteinen (t-SNAREs) am Zielkompartiment zu erlauben.

Von daher ergibt sich die Frage, wie die vom ER kommenden, hüllenlosen Vesikel erkennen können, dass sie nun mit dem Golgi-Apparat fusionieren sollen und nicht wieder mit dem ER, da sowohl die vom Golgi als auch die vom ER kommenden Vesikel die gleichen v-SNAREs beinhalten? Oder anders ausgedrückt: Wodurch wird sichergestellt, dass der Transport im ER und Golgi in eine ganz bestimmte Richtung erfolgt? Dieser Frage sind die Wissenschaftler am Friedrich-Miescher Laboratorium der Max Planck Gesellschaft am Modellorganismus der Hefe Saccharomyces cerevisiae nachgegangen. Dabei haben sie eine Mutante identifiziert, bei der vom ER kommenden COPII-Vesikel tatsächlich mit dem ER verschmelzen können. Die Mutante Tip20-8 kann also die Rückfusion von COPII-Vesikeln mit dem ER nicht verhindern. Da Tip20 am ER lokalisiert ist und normalerweise zur Fusion von COPI-Vesikeln mit dem ER benötigt wird, kann man sich folgendes Wirkungsprinzip für dieses Protein vorstellen: Das nicht mutierte Protein Tip20 arbeitet wie der Chip-Leser am Eingang zu einem Geldautomaten: Entspricht der Chip den Vorgaben (ein vom Golgi kommender COPI-Vesikel), kann man zum Geldautomaten (der Vesikel fusioniert mit dem ER). Entspricht der Chip nicht der Definition (ein vom ER kommender COPII-Vesikel), öffnet sich die Tür nicht. Ist der Chipleser allerdings defekt (ein mutiertes Tip20-Protein: Tip20-8), kann natürlich jeder an den Geldautomaten heran (COPI- und COPII-Vesikel können mit dem ER fusionieren).

Diese Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass zusätzlich zu den bereits bekannten, spezifischen Transportfaktoren, die wie ein Adressaufkleber signalisieren, wohin das Vesikel soll, es noch ein weiteres System in der Zelle gibt, dass den Transport von Vesikeln und die Kommunikation in der Zelle steuert. Wie ein Beipack-Zettel enthält er die Botschaft „Nicht zurück zum Absender!“. Mit diesem einfachen Trick stellt die Zelle sicher, das der Transport zwischen den nah beieinander liegenden Organellen nur unidirektional erfolgen kann, Vesikel nur mit der Ziel- und nicht mit der Absendermembran verschmelzen.

Der gerichtete Transport und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Zellorganellen ist essentiell für das Überleben der Zelle. Die Kenntnis des jetzt entdeckten Mechanismus könnte deshalb einerseits neue Möglichkeiten eröffnen, den vesikulären Transport gezielt zu unterbrechen, zum Beispiel, um das Wachstum von Tumoren zu stoppen. Andererseits spielen Störungen des zellulären Transports bei bestimmten Krankheiten wie Diabetes oder Mukoviszidose eine wichtige Rolle. Inwieweit das am Beispiel der Hefe gewonnene Wissen auch dafür von Bedeutung ist, bleibt weiteren Untersuchungen überlassen.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Anne Spang
Friedrich-Miescher-Laboratorium
für biologische Arbeitsgruppen
in der Max-Planck-Gesellschaft, Tübingen
Tel.: 07071 601-840, Fax: -455
E-Mail: anne.spang@tuebingen.mpg.de

Media Contact

Dr. Anne Spang Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.tuebingen.mpg.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…