Bei Wassermangel verwandeln sich Bären in Tönnchen

Bärtierchen im aktiven Zustand

Unter Stressbedingungen bilden die Zellen der Bärtierchen spezielle Eiweiße

Bärtierchen sind mikroskopisch klein und genügsame Lebewesen. Sie haben weltweit viele Nischen erobert und leben zum Beispiel in der Tiefsee, im Himalaya oder in Sanddünen. Häufig sind sie in dem Wasserfilm zu finden, der Moose oder Flechten umgibt. Als besonders harte Burschen erweisen sich die Bärtierchen, wenn das Wasser in ihrer Umgebung knapp wird. Während bei den meisten anderen Lebewesen die Zellen bei extremer Trockenheit unwiederbringlich geschädigt werden, und der Organismus schließlich stirbt, halten Bärtierchen solche Strapazen lange aus. Sie kugeln sich bei Wasserentzug in einer Zyste zusammen und können bei Wasserzugabe einfach wieder aktiv werden. Die Tübinger Wissenschaftler Dr. Ralph O. Schill und Prof. Heinz-Rüdiger Köhler vom Zoologischen Institut, Abteilung Physiologische Ökologie der Tiere, sowie Dr. Günther Steinbrück vom Institut für Zellbiologie erforschen auf molekularer Ebene, welche Prozesse in den Zellen der Bärtierchen dabei ablaufen. Sie haben entdeckt, dass einige Eiweiße, die unter Stressbedingungen produziert werden, eine entscheidende Rolle beim Zellschutz spielen könnten. Ihre Ergebnisse haben sie jetzt im Journal of Experimental Biology veröffentlicht (The Journal of Experimental Biology 207, Seiten 1607-1613).

Auf die Idee, die urigen Mehrzeller mit Kopf, Rumpf und ihren vier Beinpaaren Wasserbären zu nennen, kann man wahrscheinlich nur bei der stark vergrößerten Betrachtung unter dem Mikroskop kommen. Denn auch die größten Arten der Bärtierchen werden höchstens anderthalb Millimeter groß. Ihre Silhouette ähnelt in der Form am ehesten einem Gummibärchen. Ralph Schill hat die landlebende, weit verbreitete Art Milnesium tardigradum genauer untersucht, die wie viele andere Bärtierchen die Fähigkeit zur Kryptobiose hat. Wenn das Tierchen austrocknet, werden alle Stoffwechselaktivitäten ausgesetzt, der Wassergehalt nimmt bis auf wenige Prozent ab und der Wasserbär nimmt eine Tönnchenform an. In dieser Gestalt können die Bärtierchen sehr lange lebensfeindliche Bedingungen wie hochenergetische Strahlung, organische Lösungsmittel, kurzzeitig hohe Temperaturen und lange sehr niedrige Temperaturen von minus 270 Grad, nahe am absoluten Nullpunkt, überleben. Wenn man wieder Wasser dazugibt, verwandeln sich die Tönnchen innerhalb von Minuten in stoffwechselaktive Tierchen.

Doch welche Vorgänge bei der Kryptobiose im Detail ablaufen müssen, liegt weitgehend im Dunkeln. Die Tübinger Biologen gingen Vermutungen nach, dass bei der Austrocknung ähnlich wie bei anderen Lebewesen, die in Stress geraten, die Bildung von so genannten Hitzeschock-Proteinen angeregt wird. Solche Proteine sind bereits bei vielen Pflanzenarten gefunden worden, zum Beispiel auch bei der Wiederauferstehungspflanze, die ähnlich wie die Bärtierchen starken Wassermangel in einem Trockenzustand überdauern kann. Ralph Schill konnte die Proteine in den Zellen der Bärtierchen jedoch nicht direkt untersuchen, weil die kleinen Tiere nur winzige Mengen produzieren. Der Bauplan der Proteine ist in der Erbsubstanz DNA festgeschrieben. Tatsächlich fanden sich beim Vergleich der DNA des Bärtierchens mit DNA-Sequenzen vieler anderer Lebewesen in einer Datenbank drei Gene, die aus anderen Lebewesen als Hitzeschock-Proteine der Gruppe Hsp 70 bekannt sind.

Doch hatten die drei Formen der Hitzeschock-Gene tatsächlich etwas mit dem Überleben der Bärtierchen bei extremer Trockenheit zu tun? Ralph Schill nutzte nun ein Verfahren, mit dem Forscher die Aktivität ausgewählter Gene indirekt über ein Fluoreszenzsignal messen können. Beim Übergang eines aktiven Bärtierchens in den Zustand der Kryptobiose zeigte sich, dass immer seltener die Form 1 der drei Hitzeschock-Gene abgelesen wurde, dagegen Form 2 sehr viel häufiger als zuvor. Bei der Zugabe von Wasser kehrten sich die Verhältnisse wieder um und Form 1 rückte wiederum in den Vordergrund. Die Form 3 konnte weniger bei der Kryptobiose, sondern bei sehr hohen Temperaturen beobachtet werden. Die Forscher schließen daraus, dass alle drei Hitzeschock-Gene tatsächlich auch in dem Bärtierchen vor allem bei Stress aktiviert werden und zumindest ein Teil davon auch beim Überstehen von Austrocknung eine Rolle spielt. Doch damit sind längst noch nicht alle Rätsel gelöst. Es bleibt auch zu klären, wie die Zellbestandteile bei Wassermangel geschützt werden. Das, was uns die Bärtierchen jeden Tag spielend vormachen – Zellen zu trocknen und gleichzeitig die Vitalität zu bewahren – könnte in Zukunft eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in den Biowissenschaften und der Medizin haben.

Nähere Informationen:

Dr. Ralph O. Schill
Zoologisches Institut
Abteilung Physiologische Ökologie der Tiere
Konrad-Adenauer-Straße. 20, 72072 Tübingen
Tel. 017 27 30 47 26; Fax 07071 757 3555
E-Mail: ralph.schill@uni-tuebingen.de

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Michael Seifert idw

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