Ist der Bauplan unseres Körpers bereits vor der Befruchtung festgelegt?
Wissenschaftler des Freiburger Max-Planck-Instituts für Immunbiologie berichten, dass die spätere Form des Embryos in Eizellen von Säugetieren noch nicht festgelegt ist
Mit Ausnahme der Säugetiere sind bei den meisten Tieren die Körperachsen, wie Vorder- und Rückseite, Kopf und Schwanz, rechts und links, bereits in der Eizelle festgelegt. Neuere Untersuchungen hatten allerdings Hinweise geliefert, dass gewisse morphologische Eigenschaften der Säugetier-Eizelle die zukünftige embryonale Achse vorgeben könnten. Eine am Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg bei Mäusen durchgeführte detaillierte Studie mit Hilfe von Zeitrafferaufnahmen (Time-Lapse-Imaging) hat jetzt jedoch gezeigt, dass sich die Ebene der ersten Zellteilung unabhängig von morphologischen Strukturen in der Eizelle entwickelt. Sie wird vielmehr durch die zufällige Topologie der beiden Vorkerne von Ei- und Samenzelle (Pronuklei) bestimmt. Säugetiereizellen besitzen also anscheinend keine Marker, die die Form des späteren Embryos beeinflussen – eine wichtige Erkenntnis angesichts von über einer Million Babys, die bis heute durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden (Nature, 15. Juli 2004).
Besitzt die anscheinend homogene Eizelle von Säugetieren irgend etwas, das es ermöglichen würde, die dreidimensionale Anlage des späteren Embryos vorauszusagen, wie es bei den meisten anderen Spezies möglich ist? Die Herausbildung der Polarität im Präimplantationsembryo von Säugetieren ist seit langem eine unter Wissenschaftlern umstrittene Frage. Doch gerade die Prädetermination in der menschlichen Eizelle ist von zentraler Bedeutung, wenn man die jüngsten Fortschritte in der Reproduktionsmedizin betrachtet: Weltweit sind bisher mehr als eine Million ART (Assisted Reproductive Technology)-Säuglinge entstanden, wobei eine zunehmende Anzahl durch direkte Injektion der Spermien in eine zumeist zufällig gewählte Stelle innerhalb des menschlichen Oozyten mittels ICSI (intracytoplasmic sperm injection) erzeugt wird.
Entwicklungsbiologen nahmen bisher an, dass Säugetiere die einzigen Lebewesen sind, bei denen vorgebildete Orientierungssignale in der befruchteten Eizelle fehlen. Neuere Studien hatten jedoch gezeigt, dass die embryonische-abembryonische (Em-Ab) Achse der Mausblastozyste senkrecht zur ersten Furchungsebene entsteht. Der zweite Polkörper (2pb), das Überbleibsel der zweiten meiotischen Teilung in dem Oozyten, wurde als ein stationärer Marker des animalen Pols (A-Pol) der Eizelle verwendet und angenommen, dass die erste Furchungsebene stets meridional (nord-südlich) zu und übereinstimmend mit der angenommenen animal-vegetalen (A-V) Achse der Eizelle erfolgt. Deshalb meinte man, dass die Polarität des Mäuse-Embryos bereits in der Eizelle festgelegt wird, also wie bei den meisten anderen Spezies.
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie in Freiburg haben nun die Entwicklung zahlreicher Mäuse-Embryonen von der Eizelle bis zum Zweizellen-Stadium unter einem eigens dazu entwickelten Aufnahmeverfahren gewissermaßen im „Zeitraffer“ verfolgt. Dabei stellten sie überraschend fest, dass bei etwa der Hälfte der Embryonen die erste Furchung getrennt von der A-V-Achse der Eizelle stattfindet und dass sich der zweite Polkörper der Teilungsfurche vor und nach der Teilung annähert. Dies deutet darauf hin, dass der zweite Polkörper – im Gegensatz zu bisherigen Annahmen – keinen stationären „Nordpol“ (A-Pol) für den Embryo markiert, und dass deshalb – mangels einer stabilen morphologischen Bezugspunktes, der die A-V-Achse definieren könnte – die These einer vordeterminierten A-V-Achse in der Eizelle von Säugetieren verworfen werden muss.
Doch was bestimmt dann die erste Teilungsebene in der Säugetiereizelle? Handelt es sich um einen vollkommen zufälligen Vorgang? Die Freiburger Wissenschaftler beobachteten, dass sich bei der Maus einige Stunden nach der Befruchtung zwei Vorkerne (Pronuklei) mit jeweils den weiblichen Chromosomen bzw. den männlichen Chromosomen in der Peripherie der Eizelle bilden. Während der folgenden 20 Stunden bewegen sich diese Vorkerne auf das Zentrum der Eizelle zu und stehen sich schließlich gegenüber, ohne zu fusionieren. Anschließend findet die Mitose, also die eigentliche Kernteilung, statt. Deren detaillierte Analyse zeigte nun, dass die erste Furchungsebene immer mit der Ebene, welche die beiden gegenüberliegenden Vorkerne trennt, im Zentrum der Eizelle zusammentrifft (vgl. Abb. 2).
Die Immunfluoreszenzfärbung für das Zytoskelett deutet darauf hin, dass die mikrotubulären Netzwerke bei der Entwicklung dieses Vorgangs eine wichtige Rolle spielen: Hierbei muss die Zelle zwei elterliche Chromosomensätze in ihr Zentrum bringen, bevor sie diese gleichmäßig in zwei Tochterzellen teilt. Die experimentellen Untersuchungen zeigten, dass die erste Furchungsebene nicht in der frühen Interphase bestimmt, sondern vielmehr durch die neu gebildete Topologie der beiden Vorkerne festgesetzt wird.
Für ihre Untersuchungen hatten die Forscher eine spezielle Aufnahmetechnik (Time-Lapse-Imaging) entwickelt, mit der die Entwicklung in der Eizelle dynamisch verfolgt werden kann. Dadurch wurde offensichtlich, dass die Eizelle der Maus keine prädeterminierte Polarität besitzt. Weiterhin noch unbeantwortet bleibt die Frage, wann und wie sich dann die Polarität im Säugetier-Embryo entwickelt. Diese Fragestellung wollen die Forscher als nächstes untersuchen.
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